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Den Weg gezeichnet

Der Filmemacher Souleymane Cissé produzierte kritische Filme, die die Wahrnehmung des afrikanischen Kinos neu definierten

Von Enoka Ayemba

Filmstill von zwei Menschen, die in weiß gekleidet durch ein grünes Feld mit langem Gras laufen
Szene aus dem preisgekrönten Film »Finyé« (Der Wind). Foto: © trigon-film

Eigentlich hätte der burkinische Regisseur Dani Kouyaté beim diesjährigen panafrikanischen Film- und Fernsehfestival Fespaco den Preis für seinen Spielfilm »Katanga, la danse des scorpions« (Katanga, der Tanz der Skorpione) aus den Händen von Souleymane Cissé erhalten sollen. Der malische Filmemacher war beim Festival als Jury-Präsident vorgesehen. Doch er starb, sehr überraschend, nach kurzer Krankheit mit 84 Jahren kurz vor Beginn des Festivals am 19. Februar 2025 in Malis Hauptstadt Bamako. Die Festivalleitung verzichtete daraufhin aus Respekt vor Cissé auf eine Nachbesetzung der Jury.

Souleymane Cissé ist ohne Zweifel neben dem senegalesischen Filmregisseur Sembène Ousmane (1923-2007) einer der am meisten bewunderten Filmschaffenden mit Weltformat aus dem afrikanischen Kontinent. Die Biografien der beiden Ikonen zeigen durchaus einige Parallelen und Berührungen.

Geboren am 21. April 1940 in Bamako, lebte der junge Souleymane in den 1950er Jahre in Dakar (Senegal), wo er eine Sekundarschule besuchte. Er kehrte erst 1960 nach Bamako zurück. Beide Filmemacher waren außerdem zwischen Juni und September 1960 faktisch Bürger des gleichen Landes, der kurzlebigen Mali-Konföderation (jetzt Mali und Senegal). Die beiden von Frankreich kontrollierten westafrikanischen Territorien wollten nach ihrer jeweiligen Unabhängigkeit gemeinsame Sache machen und die teilweise absurden Grenzen aus der Kolonialzeit verschwinden lassen. Das Projekt scheiterte jedoch an nationalistischen Interessen.

Cissé erhält 1963 ein Stipendium der malischen Regierung für ein Studium an der berühmten Moskauer Hochschule für Film – im gleichen Jahr, als Sembène Ousmane, frischer Absolvent der Schule, seinen Kurzfilm »Barom Sarret« herausbringt. Darin erzählt er die Geschichte eines armen Karrenfahrers, der versucht, seinen Lebensunterhalt und den seiner Familie in der postkolonialen Stadt Dakar zu bestreiten. Der junge Cissé schreibt sich zunächst für Fotografie ein, studiert dann aber später Kamera und Regie.

Trotz verschiedener Regimewechsel in seinem Land denkt er nie daran, Mali zu verlassen.

Seinen Hang zu bewegten Bildern entdeckte er bereits als Kind. Seine älteren Brüder nahmen ihn regelmäßig mit ins Kino, dort wurden vor allem Westernfilme aus Hollywood gezeigt. Ab 1960, im Alter von 20 Jahren, engagiert er sich in der Jugendorganisation der Partei Union Soudanaise-Rassemblement Démocratique Africain (US-RDA). Diese setzt sich weltweit ein für panafrikanische Ideale, insbesondere für die Einheit aller Menschen afrikanischer Kultur und Herkunft. Cissé organisiert in einem Jugendklub in Bamako Filmvorstellungen und führt anschließend politische Diskussionen.

Cissé und seine Genoss*innen sehen in dieser Zeit auch die von Paulin Soumanou Vieyra – dem ersten ausgebildeten Filmemacher aus Benin/Senegal und Pionier in diesem Feld – aufbereiteten »Wochenschauen« aus Dakar. Die Vorführung einer solchen »Wochenschau« über den damaligen kongolesischen Premier Minister Patrice Lumumba wird für ihn zum Schlüsselerlebnis: Er sieht gebannt und fassungslos, wie die Ikone der afrikanischen antikolonialen Bewegung nach seiner Verhaftung im Dezember 1960 durch die Söldner des Putschisten und späteren Diktators Mobutu Sese Seko gedemütigt wird – später wird er mit Hilfe vom US-Geheimdienst und der belgischen Regierung ermordet. Sein Entschluss ist gefasst, er möchte Filmemacher werden.

Ein Auge für die Gesellschaft

Mit dem mittellangen Film »Cinq jours d’une vie« (Fünf Tage eines Lebens) aus dem Jahr 1972 startet Souleymane Cissé seine bemerkenswerte Karriere. Es ist die Geschichte eines jungen Mannes vom Land, der die Koranschule verlässt, um sich auf den Straßen von Bamako herumzutreiben und von kleinen Diebstählen zu leben. Der Film wurde bei den Filmtagen von Karthago uraufgeführt und dort auch mit einem Preis ausgezeichnet. Von diesem Zeitpunkt an verzichtet der Autor und Regisseur für seine weiteren Filme komplett auf französische Titel.

Die 1970er und 1980er Jahre sind die wichtigste und produktivste Periode in der Karriere von Souleymane Cissé, der die Drehbücher für seine Filme stets selbst schreibt, mit einem scharfen Blick für die Entwicklung der malischen Gesellschaft.

Souleymane Cissé im schicken Anzug steht neben einem Filmprojektor und schaut in die Kamera
Souleymane Cissé beim Cines del Sur, 2009. Foto: Cines del Sur / Wikimedia , CC BY-SA 2.0

Trotz verschiedener Regimewechsel in seinem Land denkt er nie daran, Mali zu verlassen, auch nicht, nachdem er 1975 für seinen ersten Spielfilm »Den Muso« (Das Mädchen) unter fadenscheinigen Vorwänden kurzzeitig inhaftiert und dann mit drei Jahren Berufsverbot belegt wird. »Den Muso«, der erste fiktionale Film aus Mali in der Bambara-Sprache, erzählt die tragische Geschichte eines stummen Mädchens, das von einem jungen Mann vergewaltigt wird. Als sie schwanger ist, erfährt sie die Ablehnung ihrer Familie und des Vaters des Kindes, der sich weigert, das Kind anzuerkennen.

1977 lässt sich Souleymane Cissé als Staatsbeamter beurlauben, um sich ganz dem Filmgeschäft zu widmen, und gründet seine Produktionsfirma Sisé Filimu (Cissés Filme). Er zeigt 1978 mit »Baara« (Der Lastenträger) eine sehr politische Sicht auf die Veränderungen in seinem Land. Der Film erzählt vom Aufstand von Arbeitern einer Fabrik, die sich gegen ihre Bosse stellen. Seine Absicht stellt er klar: »Ich denke, es ist nicht in Ordnung, dass Filmemacher an den Problemen ihrer Gesellschaft vorbeigehen. Ich meine, wir haben alle eine Verantwortung, jeder auf seinem Gebiet.«

Entstanden im Schatten der brutalen Niederschlagung der Studentenrevolte in Mali 1980, überträgt Cissé in »Finyé« (Der Wind) aus dem Jahr 1981 den Konflikt auf einen kleineren Maßstab: Es geht um den Kampf gegen einen Militärgouverneur, der für den damaligen Staatschef Moussa Traoré steht. Er nimmt erneut seine politische Verantwortung gegenüber der malischen Gesellschaft wahr, prangert die Straflosigkeit einer willkürlichen Polizei an und reflektiert die Stellung der Frau auf poetische und zugleich politische Weise.

Für »Baara« und »Finyé« wurde Souleymane Cissé auf den beiden größten afrikanischen Filmfestivals (in Karthago und Ouagadougou) geehrt.

Neue Narrative

Cissés berühmtester Film ist zweifelsohne »Yeelen« (Das Licht) aus dem Jahr 1987, mit dem er den Großen Preis der Jury auf dem Filmfestival von Cannes gewann.

»Yeelen« ist ein kulturelles Werk, das die Wahrnehmung des afrikanischen Kinos in der ganzen Welt neu definiert. Die Handlung spielt im Mali des 13. Jahrhunderts und erzählt die Geschichte des jungen Nianankoro, der durch das alte Land reist, um seinem machthungrigen Vater zu entkommen. »Yeelen« zeichnet sich durch seine visuelle Erzählweise aus – ein ästhetischer Ansatz, der Geschichte, Mythologie und Realismus miteinander verbindet.

Der Film, der auf mündlichen Überlieferungen des Mandinkavolkes und der Legende von Sundjata Keita, dem Gründer des Königreichs Mali, basiert, lässt Zuschauer*innen in die spirituelle Tiefe des vorkolonialen Mali eintauchen und erforscht universelle Themen wie Macht, Wissen und sozialen Wandel sowie Tradition, Spiritualität und Identität. Der Film hinterfragt auch externe Narrative über den afrikanischen Kontinent, insbesondere jene, die von der westlichen Filmtradition etabliert wurden. Zu »Yeelen« sagt Souleymane Cissé: »Es ist an der Zeit, unseren Kontinent mit Würde und Noblesse zu zeigen. Unsere Kultur steht der anderer Völker in nichts nach. Und wir, die Filmemacher, haben eine wichtige Rolle zu spielen: das Bild zu korrigieren, das andere seit jeher von uns haben.«

Filmstill aus »Yeelen«, in der Wüste übergibt ein kleiner junge einer Erwachsenen Person ein Ei, das von der dahinterstehenden Sonne erhellt wird.
»Yeelen«, das im Königkreich Mali im 13. Jahrhundert spielt, ist Cissés bekanntetes Werk. Foto: © trigon-film

Mit »Waati« (Die Zeit), einem Anti-Apartheidsdrama, kehrt Cissé 1995 noch einmal auf die große Bühne in Cannes zurück, aber der internationale Erfolg bleibt ihm diesmal verwehrt, ebenso wie bei seinen weiteren Filmen »Min Yé« (2009) und »O Ka« (2015).

Was Souleymane Cissé für die nachfolgenden Generationen afrikanischer Filmemacher bedeutet hat, lässt sich aus den Worten des Preisträgers Dani Kouyaté beim FESPACO 2025 erkennen. In seiner Dankesrede würdigte er ihn: »Er hat den Weg gezeichnet, den wir gehen. Souleymane Cissé hat mich inspiriert. Ich habe den Meister verloren, der meinen Weg im Kino vorgezeichnet hat.«

Enoka Ayemba

arbeitet als unabhängiger Filmkurator und Festivalberater mit Fokus auf afrikanische und afro-diasporische Kinematografien sowie antikoloniale Bewegungen. Er lebt und arbeitet in Berlin.