analyse & kritik

Zeitung für linke Debatte & Praxis

|ak 659 | Alltag |Kolumne: Torten & Tabletten

Bessere Bezahlung?

Von Frédéric Valin

Bessere Bezahlung, bessere Bezahlung, bessere Bezahlung. Das ist der Refrain des Liedes, das man gerade häufig hört, und die Strophen gehen so: für Kassenpersonal, für Reinigungskräfte, für Pflegepersonal. Und es ist sicher nett gemeint, aber nett gemeint hat eine große Schwester. Ich kann nicht für andere Berufsgruppen sprechen, in der Pflege aber wird bessere Bezahlung nicht viele Probleme lösen.

Ich hab da einen Arbeitskollegen, ein netter Kerl auf den ersten Blick. Hört Punk, raucht Selbstgedrehte, hält sich für links. Vor zwei Jahren hat er gekündigt, um stattdessen bei einer Leasingfirma anzuheuern, weil: Da kann er sich seine Dienste selber aussuchen, kann sich seinen Urlaub frei legen, hat weniger Verantwortung und bekommt – bessere Bezahlung. Man muss schon an sich selbst denken, sonst tut es ja keiner; das Elend der deutschen Gefühlslinken, schauen nur nach oben, statt sich mal nach unten oder unter Gleichen zu solidarisieren.

Aber okay, das hab ich noch akzeptiert. Zum Arschloch hat ihn was anderes gemacht: Er ist auch Musiker, und zwei Tage vor den Kontaktsperren hätte er ein Konzert geben wollen. Warum schreibe ich da den Konjunktiv hin: hat er ein Konzert gegeben, in einer vollbesetzten Kneipe. Umrahmt waren seine sieben Veranstaltungshinweise auf Facebook von Posts Marke »Aber die Grippe«, »YOLO« und »Freut euch des Lebens«. Der Typ arbeitet mit Immunschwachen, Alten, Kranken, und er wird jeden Tag in einem anderen Heim eingesetzt. Auf Hinweise reagierte er, sagen wir mal, unwirsch. Vier Kolleg*innen von Nachbargruppen waren mit auf dem Konzert.

Als ihn und die Kolleg*innen erste Berichte aus italienischen Notaufnahmen erreichten (die aus Asien haben ja alle ignoriert, wegen Rassismus), schwieg er zwei Tage, bis sich seine Kommunikation fundamental drehte: Ab dann postete er nur noch, was für einen aufopferungsvollen Job er mache und wie sehr er besser bezahlt werden wollen würde. Zwei der vier Kolleg*innen tun es ihm gleich. Das sind die Leute, auf die von den Balkonen der Republik der Applaus herunterregnet.

Ein Einzelfall? Ich hab ziemlich viele dieser Einzelfälle erlebt. Vor vier Wochen schlug ich der Bereichsleitung folgende Maßnahmen vor: keine Leasingkräfte mehr, Teamsitzungen ab sofort nur noch telefonisch, wenn möglich keine Doppeldienste mehr, Maskenpflicht. Dann war ich wegen Grippesymptomen zwei Wochen in Quarantäne (Testergebnis negativ, danke der Nachfrage) und hatte danach eine Woche Urlaub.

Letzte Woche kam ich wieder in den Dienst, und dort haben sie tatsächlich bis 31. März noch Leasingkräfte, die nicht dringend gebraucht wurden, eingesetzt (waren ja schon gebucht), niemand trug eine Maske, Teamsitzungen wurden immer noch vor Ort mit Anwesenheitspflicht durchgeführt, und Doppeldienste waren eher die Regel als die Ausnahme, weil sonst die Mitarbeitenden ja nicht auf ihre Stunden kommen. Innerhalb der drei Wochen sind da sicher 300 Mitarbeiter*innen durchgelaufen, und keine*r hat mal gesagt: Ihr gefährdet Menschenleben, damit die Stundenzettel sauber aussehen?!

Am Ende hab ich mich dann bei der Geschäftsleitung – eine Ebene über der Bereichsleitung – beschwert, und die hat dann gesagt: Was, nein, vor vier Wochen haben wir folgende Maßnahmen erlassen: keine überflüssigen Doppeldienste, keine Teamsitzungen vor Ort, keine Leasingkräfte. Die Bereichsleitung hatte sie nur nicht umgesetzt. Jetzt hassen mich alle, weil ich gepetzt habe.

Okay, genug gejammert. Zusätzlich zu besserer Bezahlung für alle hier meine Vorschläge zur Güte: Erleichterungen für alle, die zu Hause auch noch Care-Arbeit leisten. Hort frei, Schulessen frei, Nahverkehrstickets frei und so weiter. Dreifaches Gehalt für Alleinerziehende. Und Pflegende, die sich nicht nur als Held*innen feiern lassen, sondern auch mal Scheiße sagen, wenn es Scheiße läuft.

Frédéric Valin

ist Autor. In ak schrieb er die Kolumne »Torten & Tabletten«. Zuletzt erschien sein autobiografischer Roman »Ein Haus voller Wände« (Verbrecher-Verlag 2022) über seine Arbeit als Pfleger.