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|ak 664 | Alltag |Kolumne: Torten & Tabletten

Aufruf an alle Pflegenden

Von Frédéric Valin

Ich habe gekündigt, im Sommer schon. Und weil diese Kolumne darauf ausgelegt war, aus der Praxis zu erzählen, endet nun auch sie. Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll, ohne eitel zu klingen: Das ist schade, weil es mehr Texte aus der Pflege braucht. Viel viel mehr Texte.

Zu Beginn der Covid-Pandemie habe ich hier und da ein paar Kommentare geschrieben, unter anderem darüber, warum die Leute auf den Balkonen mit dem beschissenen Applaus aufhören sollen. (Spoiler: Die meisten haben sich selbst applaudiert dafür, dass sie jetzt in dieser harten Zeit an Pflegende denken und so zeigen konnten, dass sie gute Menschen sind.) Daraufhin rief mich der Deutschlandfunk an, sie wollten ein Interview. Der zuständige Redakteur fragte mich dann, was man denn tun könne für die Pflege, wenn Klatschen nichts bringe. Ich fragte ihn zurück, wie viele Pflegende er kenne, die öffentlich in Erscheinung träten, und er sagte: Na diesen einen, den Fjorde, und dann noch eine Frau, die er in der gleichen Sendung interviewt hatte und die also die Redaktion kurz vorher herbeigegoogelt hatte.

Das ist einfach zu wenig. Und klar kann man jetzt sagen: Die blöden Medien, die blöde Öffentlichkeit, die nehmen uns nicht wahr. Aber je mehr ich geschrieben habe über die Zustände und Erfahrungen in der Pflege, desto mehr habe ich den Eindruck: Es liegt auch an der Pflege selbst. Sie erzählt sich nicht. Im Grunde ist sie Komplizin eines Systems, von dem sie weiß, dass es nicht taugt.

Deswegen möchte ich diesen Text all jenen widmen, die selbst in Pflegeberufen tätig sind: Artikuliert euch. Schreibt Texte darüber, wie es ist in der Pflege, und wenn ihr euch unsicher seid, wie die Texte klingen, schickt sie mir. Schickt Texte an Redaktionen, und wenn ihr nicht wisst, an wen ihr sie schicken sollt, schickt sie mir. Ich lese über alles drüber, ich gebe alles weiter. Und wenn ihr andere Leute habt, denen ihr sie schicken könntet: umso besser. Schickt sie denen. Aber: Macht was draus. Schreibt über das, was ihr erlebt, was eure Klient*innen erleben. Wehrt euch, seid laut. Bildet Banden.

Lustig wäre gewesen, die nächsten 2.000 Zeichen freizulassen, damit jede*r da ihre*seine Erfahrungen eintragen kann. Aber alle Witze sind stabilisierend; deswegen nein. Es geht so nicht weiter in der Pflege, deswegen sagt was. Es geht so nicht weiter, wehrt euch. Versteckt euch nicht, hört auf damit. Es wollen sehr viele Leute wissen, wie Demente sterben, weil sie wissen, dass sie so sterben werden: Erzählt es den Leuten. Versteckt euch nicht ständig. Seid da.

Hier sind die Leute, die mich am Arsch lecken können: alle, die eine Stufe höher die Hierarchie hochgekraucht sind. Alle, die nur glauben, was Gutes zu tun, und dafür dann in der Supervision gelobt werden wollen. Alle, die glauben, sie hätten genug gemacht und müssten weiter stabilisieren. Alle, die glauben, es sei gut, wie es ist. Alle, die glauben, es sei vielleicht nicht ganz gut, wie es ist, aber wie es ist, würde ihnen vielleicht, da es ist, wie es ist, die Rente garantieren.

Ihr könnt mich alle am Arsch lecken. Dem Rest will ich sagen: Wenn ihr nicht erzählt, seid ihr auch Arschlöcher. Erzählt, verdammt nochmal! Hört auf, so zu tun, als wärt ihr außen vor. Ihr seid keine Lehrer*innen. Macht Alarm. Ihr wisst nicht, wie? Weiß ich auch nicht. Ich bin nicht organisiert. Scheißegal, seid sauer, seid laut! Erzählt euch! Hört auf zu jammern, fangt an zu tun!

Hört auf, euch hinter dem System zu verstecken. Hört auf zu jammern, bloß weil ihr beklatscht werdet. Seid frech, seid da. Macht was aus uns. Be proud. Und warum sollte der Schlachtruf »Die Häuser denen, die drin wohnen« nicht auch für Demente gelten? Was hast du getan – außer zu erben? Tu was, verdammich. Tu was.

Frédéric Valin

ist Autor. In ak schrieb er die Kolumne »Torten & Tabletten«. Zuletzt erschien sein autobiografischer Roman »Ein Haus voller Wände« (Verbrecher-Verlag 2022) über seine Arbeit als Pfleger.