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|ak 694 | Alltag |Kolumne: Jawoll, euer Ehren

Imbiss mit Taschenabstellmöglichkeit

Von Moritz Assall

Man sieht auf dem Bild einen Sushi-Teller. Sollte dieses Sushi in einem Spezialitäten-Restaurant hergestellt worden sein, hat die zubereitende Person eine Bleibeperspektive. kommt dieses Sushi aus einem Imbiss mit Taschenabstellmöglichkeit, kann eine Abschiebung drohen.
Sollte dieses Sushi in einem Spezialitäten-Restaurant hergestellt worden sein, hat die zubereitende Person eine Bleibeperspektive. kommt dieses Sushi aus einem Imbiss mit Taschenabstellmöglichkeit, kann eine Abschiebung drohen. Foto: Antti T. Nissinen/Flickr, CC BY 2.0

Der Philosoph Andreas Cassee, Vertreter eines Rechts auf globale Bewegungsfreiheit, schrieb einmal: »Irgendwie leben wir Menschen alle auf der Oberfläche eines Planeten. Und mit welchem Recht kann da eine Gruppe von Menschen sagen, das hier ist unser Land, da darf niemand anderes rein. Also was rechtfertigt eigentlich diesen Zwang, der von Grenzwächtern ausgeht?« Oder ganz konkret: Wie lässt sich philosophisch erklären, dass ein Mensch aus Tarifa in Spanien problemlos in Berlin leben und arbeiten kann, während ein Mensch aus dem gut 20 Kilometer entfernten Tanger in Marokko dafür oft sein Leben aufs Spiel setzen muss? Ethisch ist das schwer begründbar, zumal geschlossene Grenzen faktisch tödlich sind. Laut UNHCR starben allein 2022 mehr als 1.940 Menschen beim Versuch, über das Mittelmeer die europäischen Außengrenzen zu überwinden. Tatsächlich dürften es deutlich mehr sein. Jeder einzelne Tod hätte verhindert werden können, wenn die Rechtslage eine andere wäre.

Der Visumsantrag wurde vom deutschen Konsulat allerdings abgelehnt, mit der Begründung, es handele sich bei dem Betrieb der Arbeitgeberin nicht um ein Spezialitätenrestaurant.

In der Juristerei, die sich zwar sehr ethisch und unpolitisch gibt, letztlich aber Ausdruck von politischen Kräfteverhältnissen und den entsprechenden hegemonialen Anschauungen ist, entscheiden sich solche Fragen deutlich einfacher. Zum Beispiel daran, ob ein Dönerimbiss als Spezialitätenrestaurant einzuordnen ist. Hierüber hatte das Verwaltungsgericht Berlin Ende letzten Jahres zu entscheiden. Geklagt hatte ein Koch mit türkischer Staatsangehörigkeit, der in München leben und arbeiten wollte. Der Visumsantrag wurde vom deutschen Konsulat allerdings abgelehnt, mit der Begründung, es »handele sich bei dem Betrieb der Arbeitgeberin nicht um ein Spezialitätenrestaurant, sondern um einen Imbiss mit Selbstbedienung«. Hiergegen erhob der Koch Klage mit dem Argument, es handele sich durchaus um ein Spezialitätenrestaurant, genauer: um »ein Selbstbedienungsspeisespezialitätenrestaurant«.

Das ist nach deutschem Recht deswegen bedeutsam, weil in der »Verordnung über die Beschäftigung von Ausländerinnen und Ausländern« geregelt ist, dass die Zustimmung zur Visumserteilung »für Spezialitätenköchinnen und Spezialitätenköche für die Ausübung einer Vollzeitbeschäftigung in Spezialitätenrestaurants« erteilt werden kann. Das ist letztlich eine speziellere Ausformulierung des Grundsatzes im Aufenthaltsgesetz, nach der »einem Ausländer im begründeten Einzelfall eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden (kann), wenn an seiner Beschäftigung ein öffentliches, (…) wirtschaftliches oder arbeitsmarktpolitisches Interesse besteht«. Ob Max Weber an solche Gesetze dachte, als er von der »Unterwerfung des Menschen unter die kalten Skeletthände rationaler Ordnungen« schrieb? Vielleicht.

Jedenfalls befasste sich das Verwaltungsgericht Berlin nun mit der Frage, ob es sich bei der Lokalität des potenziellen Arbeitgebers denn um ein »Spezialitätenrestaurant« handelt, der Kläger also in Deutschland leben und arbeiten darf. Das Gericht schreibt im Urteil: »Ein Restaurant bezeichnet nach allgemeinem Sprachempfinden eine Speisegaststätte (…) in der die Gäste im Allgemeinen eine gewisse Zeit verweilen.« Ein »Spezialitätenrestaurant« wiederum erhalte »sein Gepräge insbesondere durch das Angebot ausländischer, nach Rezepten des jeweiligen Landes zubereiteter Speisen« sowie durch einen »bestimmten äußeren Rahmen (…), der dem Erscheinungsbild einer gehobenen Gastronomie entspreche.« Imbisslokale seien darum keine »Spezialitätenrestaurants«.

Also kein Aufenthaltsrecht für den Kläger, denn, wie im Urteil zu lesen ist, handele es sich »bereits nicht um ein Restaurant. Der Betrieb stellt vielmehr einen Schnellimbiss mit Selbstbedienung dar. Vor einem typischen Dönerspieß werden an einem Imbiss-Verkaufstresen mit Frischwarenvitrine und Taschenabstellmöglichkeit auf offen einsehbaren Fertigungsflächen zubereitete Speisen produziert und zum Mitnehmen oder zum Verzehr vor Ort an vorhandenen Sitzmöglichkeiten abverkauft.« Für diesen Fall ist die Frage von Andreas Cassee, wie der Zwang der Grenzwächter begründet ist, zumindest juristisch also beantwortet. Es ist ein Imbiss. Mit Taschenabstellmöglichkeit.

Moritz Assall

ist Jurist und Kriminalsoziologe. Er arbeitet für die Linksfraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft.