analyse & kritik

Zeitung für linke Debatte & Praxis

|ak 668 | Geschichte

Ein antifaschistischer Generalstreik

Vor 80 Jahren begann in Amsterdam eine massenhafte Widerstandsaktion gegen den NS-Faschismus und seinen anti-jüdischen Terror

Von David Szustkowski

Jedes Jahr gedenken Amsterdamer*innen dem Februarstreik von 1941, hier am 25. Februar 1947. Foto: Nationaal Archief, CC0

Als die deutsche Besatzung der Niederlande im Mai 1940 begann, schien sich die niederländische Bevölkerung zunächst relativ schnell an die neue Situation anzupassen. Die Besatzer*innen traten deutlich gemäßigter auf als anfangs befürchtet. Die Niederlande wurden in der NS-Ideologie als »germanisches Brudervolk« gesehen, man wollte die Bevölkerung auf seine Seite ziehen. Ähnlich wie in Frankreich und Belgien strebten die Nazis eine Zusammenarbeit mit den nationalen Behörden an, die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, eine schrittweise Anpassung an die NS-Politik und eine möglichst reibungslose Einbindung der Wirtschaft zugunsten Deutschlands. Zur Verwaltung des besetzten Gebietes wurden niederländische Nationalsozialisten eingesetzt, rekrutiert aus der Partei Nationaal-Socialistische Beweging in Nederland (Nationalsozialistische Bewegung in den Niederlanden, NSB), die bereits 1931 gegründet wurde.

Ab Sommer 1940 gab es die ersten anti-jüdischen Maßnahmen in den Niederlanden, welche die schrittweise Isolierung der jüdischen Bevölkerung anstrebten. Da die ersten Schritte vergleichsweise harmlos waren, gab es kaum nennenswerten Widerstand dagegen. Einzig an den Hochschulen Leiden und Delft gab es Proteste gegen die Entlassung jüdischer Kolleg*innen, was von den Deutschen mit Verhaftungen und Schließungen der Universitäten beantwortet wurde.

Erst ab Anfang 1941 nahm die physische Bedrohung von Jüdinnen und Juden und ihrem Eigentum zu. Mitglieder der Weerbaarheidsafdeling (deutsch etwa Wehrabteilung, kurz WA), die große Ähnlichkeit zur deutschen SA hatte, fielen immer häufiger im Amsterdamer »Judenviertel« ein, demütigten die Bewohner*innen des überwiegend ärmlichen Viertels, stahlen Eigentum und provozierten Krawalle und Schlägereien. Die Bewohner*innen des jüdischen Viertels gründeten daraufhin, zusammen mit solidarischen, meist kommunistischen Unterstützer*innen und weiteren Bewohner*innen des Viertels, »Bürgerwehren«, die den physischen Kampf mit der WA nicht scheuten.

Bei einer großen Straßenschlacht während eines Aufmarsches der WA im jüdischen Viertel am 11. Februar 1941 wurde der WA-Mann Hendrik Koot schwer verletzt und starb drei Tage später. Die Deutschen schlachteten die Unruhen und vor allem den Tod des WA-Mannes propagandistisch aus: Koot sei auf bestialische Weise ermordet worden, seine Kehle sei durchgebissen worden, und Juden hätten sein Blut ausgesaugt – eine Anspielung auf die alte antisemitische Ritualmordlegende. Sie benutzten den Tod von Koot als Vorwand für weitergehende Maßnahmen gegen die jüdische Bevölkerung.

»Der Tod von Koot«

Als erstes wurde das jüdische Viertel abgeriegelt, und auch wenn die Isolierung einige Tage später wieder aufgehoben wurde, wurden Schilder mit der Aufschrift »Judenviertel« an allen Zufahrtsstraßen aufgestellt, sodass ein »optisches Ghetto« entstand.

Die schon bestehenden Spannungen eskalierten schließlich am 17. Februar 1941, als deutsche Ordnungspolizisten in den jüdisch geführten Eissalon »Koco« im jüdischen Viertel eindringen wollten. Der Eissalon wurde allerdings durch eine aus jüdischen und nicht-jüdischen Mitgliedern bestehende Bürgerwehr aus der Nachbarschaft verteidigt. Eine heftige Prügelei entstand, bei der die deutschen Ordnungspolizisten unter anderem mit Ammoniakgas, das zur Kühlung des Eises verwendet wurde, besprüht wurden. Bis heute ist nicht abschließend geklärt, ob das Gas gezielt von den Verteidiger*innen eingesetzt wurde oder es sich um einen Unfall handelte.

Hanns Albin Rauter, »Generalkommissar für das Sicherheitswesen in Nederland«, meldete den Vorfall am 20. Februar 1941 an Heinrich Himmler und gab dabei mit dem Hinweis auf das Ammoniakgas an, dass die Eigentümer einen mutwilligen Anschlag auf die Ordnungspolizei geplant hätten.

Die Unruhen und der Tod Koots waren für die Besatzungsmacht Vorwand und Grund genug, hart durchgreifen zu können, was zu Razzien im jüdischen Viertel führte. Auf persönlichen Befehl Himmlers wurden am 22. und 23. Februar 1941 425 jüdische Männer zwischen 20 und 35 Jahren verhaftet und auf dem Jonas-Daniël-Meijerplein zusammengebracht. Die verhafteten Männer wurden nach Zwischenstationen in den Konzentrationslagern Schoorl bei Alkmar und Buchenwald nach Mauthausen deportiert. Nach einigen Monaten gab es viele Todesnachrichten der Deportierten aus Mauthausen, sodass »Mauthausen« unter den in den Niederlanden lebenden Juden bald als Symbol für einen schnellen Tod galt. Insgesamt haben von den 425 Verhafteten nur zwei Personen überlebt.

Da am 23. Februar Markt auf dem Waterlooplein im jüdischen Viertel war, auf dem auch nicht-jüdische Amsterdamer*innen einkauften, wurden zahlreiche Menschen zu Zeug*innen der brutalen Razzien. Auch die niederländische Polizei war vorab nicht über die Razzien informiert worden. Das Vorgehen der Deutschen war im Vergleich zu den Monaten zuvor deutlich brutaler und gewaltvoller, was viele Niederländer*innen schockierte. Dies lieferte die Motivation für den darauffolgenden Februarstreik.

Der Februarstreik

Schon seit Anfang Februar 1941 plante die Führung der verbotenen Communistische Partij van Nederland, der Kommunistischen Partei der Niederlande (CPN), einen Generalstreik gegen die Besatzung zu organisieren. Ursprünglich sollte ein erfolgreicher Streik von Metallarbeitern in Amsterdam-Nord am 17. Februar ausgeweitet werden. Dieser richtete sich gegen die geplante Entsendung von Metallarbeitern nach Deutschland. Da die Deutschen den Forderungen der streikenden Metallarbeiter nachgaben und die Pläne zur Entsendung nach Deutschland aussetzten, entfiel der Streikgrund aber.

Durch die Razzien sah die CPN eine Chance, die ausgefallenen Streiks doch noch durchzuführen. Am 24. Februar trafen sich bei einer Versammlung auf dem Noordermarkt in Amsterdam ca. 400 Kader der CPN, die den Streikaufruf für den 25. und 26. Februar in die Betriebe tragen sollten. Dort wurden auch eilig und heimlich gedruckte Streikaufrufe verteilt, auf denen der bis heute in den Niederlanden bekannte Aufruf »Staakt! Staakt! Staakt!« (»Streikt, Streikt, Streikt!«) stand.

Am 25. Februar begann der Streik frühmorgens mit dem völligen Erliegen des Tram-Verkehrs. Tram-Fahrer*innen, die beim Streik nicht gleich mitmachen wollten, wurden gezwungen anzuhalten. Nach und nach breitete sich der Streik auf die ganze Stadt Amsterdam aus, der Hafen, die Metallindustrie wurden bestreikt, später verließen selbst Schüler*innen ihre Klassenräume, und die meisten Geschäfte in der Stadt schlossen. Schon gegen Mittag konnte man in Amsterdam von einem Generalstreik sprechen – früher, als die Organisator*innen erwartet hatten. Von Amsterdam breitete sich der Streik aus, unter anderem nach Haarlem, Hilversum und Utrecht. Die CPN versuchte den Streik noch auf weitere Städte auszubreiten, doch unter anderem bei den Angestellten des Verkehrsbetriebs in Den Haag gab es keine Streikbereitschaft.

Dennoch gehen Schätzungen davon aus, dass am 25. und 26. Februar 1941 etwa 300.000 Menschen in Nordholland in den Streik getreten waren. Die Nazis wurden davon völlig überrascht und fingen erst langsam mit Gegenmaßnahmen an. Diese fielen dann aber umso härter aus, der Streik wurde gewaltsam niedergeschlagen. Dabei starben neun Menschen, 24 wurden schwer verletzt, unzählige verhaftet. Durch die Gegenmaßnahmen, den Umstand, dass der Streik von vornherein nur auf zwei Tage angesetzt war, und den Druck der Stadtregierung, die Arbeit wieder aufzunehmen, endete der Streik nach genau zwei Tagen.

Die Städte, die am Streik beteiligt waren, mussten hohe Strafzahlungen an die Besatzer*innen leisten. Die Verfolgung von Kommunist*innen erreichte in den folgenden Wochen und Monaten ein bisher unerreichtes Level: Im März 1941 fingen die ersten Erschießungskommandos an, Kommunist*innen hinzurichten. Wegen des hohen Verfolgungsdrucks konnte ein für den 6. März 1941 geplanter Folge-Generalstreik nicht mehr durchgeführt werden, zu viele führende Kader der Kommunist*innen waren bereits verhaftet.

Den Deutschen wurde durch den Streik klar, dass das »germanische Brudervolk« offenbar nicht freiwillig auf einen nationalsozialistischen Kurs umschwenken würde, und erhöhte in der Folge den Druck. Der Februarstreik von 1941 läutete eine Phase zunehmender Unterdrückung ein, die ab Frühjahr 1943 ihren Höhepunkt fand.

Durch den zukünftigen Verzicht auf öffentliche Gewalt – insofern war der Februarstreik auch für die Nazis eine Lehre – zur Unterdrückung der Jüdinnen und Juden gelang es den Nazis, viele Jüdinnen und Juden ohne nennenswerten Widerstand in die Vernichtungslager in Osteuropa zu deportieren. Größeren Widerstand gab es in den Niederlanden erst ab Frühjahr 1943, als auch die nicht-jüdische Bevölkerung immer mehr die repressive Besatzung zu spüren bekam. Einige tausend Niederländer*innen haben Jüdinnen und Juden versteckt, dennoch war es in den folgenden Jahren auch für Nicht-Juden, beispielsweise verratene Widerstandskämpfer*innen, einfacher, ein Versteck zu finden. So stellten die Besatzer*innen bereits 1943 »zufrieden« fest, dass Amsterdam »judenfrei« sei.

Der Februarstreik war also leider ein singuläres Ereignis, sowohl in Bezug auf den Widerstand in den Niederlanden als auch bezogen auf das gesamte besetzte Gebiet Nazideutschlands. Dennoch, der Februarstreik 1941 war ein wichtiger Moment des Widerstandes gegen das mörderische NS-Regime, hauptsächlich organisiert von nicht-jüdischen Kommunist*innen, bei dem sehr große Teile der nordholländischen Bevölkerung in Solidarität mit ihren jüdischen Mitmenschen die Arbeit niederlegten und auf die Straße gingen.

David Szustkowski

ist Aktivist unter anderem im Bereich Gesundheitspolitik und studiert nebenbei Politikwissenschaft und Geschichte an der Uni Kassel.