analyse & kritik

Zeitung für linke Debatte & Praxis

|ak 691 | Alltag |Kolumne: Jawoll, euer Ehren

Ampeln und Gesslerhüte

Von Moritz Assall

Pictogramm einer Ampel, auf der zwei Menschen in Kleidern sich die Hände halten und mit Herzchen
Ist hier ein sich liebendes Pärchen zu sehen? Nein, sagt ein Kläger vor dem Bayerischen Gerichtshof. Foto: karstensfotos / Wikimedia , CC BY-SA 2.0

Margarete Stokowski schrieb einmal: »Political Correctness will nichts anderes als Anstand, Höflichkeit, Respekt, Genauigkeit. Sind das nicht die Werte, auf die man hier stolz ist – und mit Recht?« Ähnlich der Schriftsteller Till Raether, der in der Süddeutschen Zeitung der Political Correctness geradezu eine Liebeserklärung machte, denn sie sei eine »wunderbare Sache, die man eigentlich nur lieben kann. Vielleicht sollten wir sie anders nennen. Menschenfreundlichkeit. Gutes Benehmen. Respekt.« Auch wenn ich ganz persönlich manchmal den Eindruck habe, dass die Wirkmacht von Sprache und Symbolik etwas über- und der materielle Unterbau gesellschaftlicher Verhältnisse etwas unterbewertet wird: Da haben sie recht, finde ich. Und ich finde es schön, dass vielen Menschen diese sprachliche Form von Repräsentanz und Anerkennung eröffnet wird – und allen diese Möglichkeit, Menschenfreundlichkeit und Respekt Ausdruck zu verleihen. Eigentlich eine Win-Win-Angelegenheit.

Das sehen bekanntermaßen nicht alle Menschen so. Gefühlt wird über wenige Dinge so erbittert gestritten wie über Aspekte der Political Correctness. Zum Beispiel in einem Verfahren Mitte letzten Jahres vor dem Bayerischen Gerichtshof. Anlässlich des Christopher Street Days 2015 wurden in München an einigen Ampeln Ampelpärchen eingesetzt, die gleichgeschlechtliche Paarmotive zeigten. Einige dieser Ampelpärchen wurden an sechs Übergängen fest installiert. Eines der Ampelpaarmotive zeigt zwei Frauen, die händchenhaltend nebeneinander laufen, zwischen ihnen ein kleines Herz. Was könnte das wohl symbolisieren? Liebe? Zuneigung? Weit gefehlt! Der Kläger klärt auf: Es sei offensichtlich so, erklärte er dem Gericht, dass die eine »von blinder Gier getrieben die andere zum weiteren Vollzug sexueller Handlungen hinter sich her ziehe«. Insgesamt seien die Ampelsymbole »Dauerzwangspropaganda für entgrenzten Sex« und verletzten seine »Weltanschauungsfreiheit«, insbesondere in Bezug auf »Gender-Ansichten«. Das sah das Gericht aber anders. Es urteilte, die Ampelmotive sollten »ersichtlich eine Botschaft der Sympathie und Toleranz an homosexuelle Menschen senden, aber auch eine Aufforderung an die Mehrheitsgesellschaft zu Toleranz gegenüber Menschen mit abweichender sexueller Orientierung«.

Das Urteil des Gerichts ist übrigens nicht gegendert, was nicht überrascht, denn insgesamt gibt es gegenderte Urteile nur ungefähr so häufig wie gegenderte Ampelmotive in München: Geschätzt unterer Promillebereich, wenn überhaupt. Dennoch ist auch hier bei manchen die Aufregung groß. Der Rechtsprofessor Arnd Diringer etwa warnt in der Welt am Sonntag vor dem »Gender-Sprech« der Gerichte. Gendern drücke eine politisch-ideologische Haltung aus, ist da zu lesen, es sei ein Bekenntnis zur Identitätspolitik. Wenn Gerichte dieses Bekenntnis ablegen würden, werde das Vertrauen in die neutrale Justiz erschüttert, es sei für den Rechtsstaat nichts weniger als fatal. Ist der Rechtsstaat so labil, dass ihn schon Gendersternchen in homöopathischen Dosen erschüttern können? Ich habe Zweifel. Herr Diringer nicht. Gendern, steht da weiter, sei ein »Grüßen des Gesslerhutes«. Ein Gesslerhut, Symbol aus Schillers Wilhelm Tell, ist laut Wikipedia »eine Einrichtung, deren einzig sinnfälliger Zweck die öffentliche Erzwingung untertänigen Verhaltens ist«. Soso.

In ein ähnliches Horn stößt der ehemalige Richter des Bundesgerichtshofs und Publizist Thomas Fischer. Fischer schreibt, Political Correctness entspreche dem Sprachstil »antidemokratischer und autoritärer Subkulturen«. Und weiter, ganz demokratischer Freiheitskämpfer: »Verstöße gegen die P.C. sind nicht ohne Weiteres Beleidigungen (…) Der Begriff ›N.‹ (Anm. d. Red.: im zitierten Original ist das N-Wort ausgeschrieben und fett markiert), der heute als herabwürdigend angesehen wird (ähnlich Z.) (Anm. d. Red.: im zitierten Original ist das Z-Wort ausgeschrieben und fett markiert) umfasst eine Bedeutungsvielfalt und ist selbst dann keine Beleidigung, wenn er unter (allgemeiner) Zustimmung zur rassistischen Konnotation verwendet wird.« Selten habe ich mich so sehr nach Anstand, Höflichkeit, Respekt und Genauigkeit gesehnt.

Moritz Assall

ist Jurist und Kriminalsoziologe. Er arbeitet für die Linksfraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft.