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|ak 682 | Alltag |Kolumne: Jawoll, euer Ehren

Adornos Arche

Von Moritz Assall

Für das eine oder andere Vieh, sind Gerichtsurteile ziemlich zum kotzen. Foto: onnola / Flickr, CC BY-SA 2.0

Im April 1965 verfasste Adorno einen absolut herzerwärmenden Brief an den Direktor des Frankfurter Zoos, Bernhard Grzimek. Er schrieb: »Wäre es nicht schön, wenn der Frankfurter Zoo ein Wombat-Pärchen erwerben könnte? Ich kann mich an diese freundlichen und rundlichen Tiere mit viel Identifikation aus meiner Kindheit erinnern und wäre sehr froh, wenn ich sie wiedersehen dürfte.« Ich gestehe: Die Welt ist düster, aber so etwas wie diese Zeilen wirkt bei mir irgendwie als Seelenbalsam, sofort geht es mir besser. Eher Verwunderung hinterlässt hingegen die Lektüre des Telegramms, das Adorno im Oktober 1939 an seine Mutter verfasste: »die ehrfürchtigsten glückwünsche der ehrwürdigen mutter MARINUMBA VON BAUCHSCHLEIFER, von ihren treuen kindern NILPFERDKÖNIG ARCHIBALD und gemahlin DIE LIEBE GIRAFFE GAZELLE MIT DEN HÖRNCHEN genannt GAZELLENHÖRNCHEN«. Gerne adressierte Adorno seine Mutter auch als das »liebe treue alte Wundernilstutentier«, ein Brief endet mit den Worten »Seid aufs innigste geküßt von Euren nunmehr hörbar wiehernden Pferden Hottilein und Rossilein«.

Adorno (übrigens Mitglied der Zoologischen Gesellschaft) scheint ohnehin eine besondere Beziehung zu Tieren gehabt zu haben. Kühe, Tiger, Murmeltiere, Hunde, Lurche, Hasen, Walfische, Frösche, Lämmergeier, Wölfe, Mammuts und Eidechsen, in seinen Schriften kreucht und fleucht es wie seit Noahs Arche nicht mehr. Meist erscheinen die Tiere dabei als Sinnbild des Guten und der Utopie, am prominentesten vielleicht im berühmten und einfach wunderschönen Aphorismus 100 der Minima Moralia: »Rien faire comme une bête, auf dem Wasser liegen und friedlich in den Himmel schauen, sein, sonst nichts«. Und so überrascht es dann auch nicht, wenn Adorno an anderer Stelle schreibt: »In die Tiere vermummt sich die Utopie. Das macht sie den Kindern lieb und ihre Betrachtung selig.«

Ein schöner Gedanke. Leider aber zweifelhaft, zumindest, wenn man etwas die Rechtsprechung zur Tierwelt studiert. Vor Gericht sorgen Tiere nämlich oft eher weniger für Frieden, Seligkeit oder utopische Phantasien, sondern für Abscheu, Hass und Beseitigungswillen. Die Viecher sollen weg, so wie etwa der Thüringer Waldziegenbock »Zoltan«, über den das Landgericht Bayreuth in einer immissionsschutzrechtlichen Sache zu entscheiden hatte. Denn er stinkt. Und das laut Besitzerin »besonders, wenn er eben Bock« hat. Für das Gericht zu viel maskuliner Duft: »Die von Zeugen geschilderten üblen und als unerträglich empfundenen Gerüche (konnten) nicht mit einer mangelnden Gewöhnung an das Landleben, wie es bei Städtern der Fall sein möge, erklärt werden«. Städternäschen Adorno hätte also ziemlich sicher die Polizei gerufen, die unterlegene Besitzerin hingegen verkündete der Presse, hier werde »doch nur ein Bock zum Sündenbock« gemacht.

Kein Tier wird allerdings so inbrünstig verabscheut wie der nachbarliche Hahn. Und mal im Ernst: Nicht ganz zu Unrecht, sind Hähne doch die tiergewordene Inkarnation des Weckerklingelns am Montagmorgen, vereint mit einer gewissen Attitüde toxischer Männlichkeit. Machen diese Tiere eigentlich noch was anderes im Leben, als Menschen aus dem Bett zu quälen und im Hühnerstall rumzumackern? Volle Solidarität jedenfalls mit dem Kläger, der vor dem Landgericht München erstritt, dass der Nachbarshahn »täglich von 20.00 Uhr abends bis 08.00 Uhr morgens« nicht rumkrähen darf, sondern »schalldicht aufbewahrt« werden muss. Weniger Nerven schonend entschied hingegen das Landgericht Kleve in einem ähnlichen Fall. Zwar krähte hier der betreffende Hahn regelmäßig gegen drei Uhr nachts los und hielt die umliegend wohnende Menschheit vom Schlafen ab. Das tat er aber laut Urteil in einem »dörflichen«, aber doch auch »ländlichen« Gebiet, und dort sei man eben zur Duldung von Tierlärm verpflichtet, selbst in Form von Weckrufen nachts um drei. Stadtmenschen mit Landambitionen, think twice. Dann statt des ländlichen Hahnes doch lieber die Schnecke, denn immerhin sind deren Fühlhörner laut Adorno »das Wahrzeichen der Intelligenz«, warum auch immer. Und außerdem sind sie nachts leise.

Moritz Assall

ist Jurist und Kriminalsoziologe. Er arbeitet für die Linksfraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft.