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Ein Rückblick auf den Aufstand von FLINT-Personen in Polen

Von Zofia nierodzińska

»Ich wünschte, ich könnte meine Regierung abtreiben.« Diesen Wunsch scheinen dieser Tage nicht nur Protestierende in Danzig zu haben. Foto: Lukasz Katlewa/Wikimedia , CC BY-SA 4.0

Als ich vor fünf Jahren in Berlin anfing, mich bei Ciocia Basia, einer aktivistischen Gruppe, die sichere Abtreibungen in Polen organisiert, zu engagieren, fand in Polen gerade der Czarny Protest (Schwarzer Protest) statt. Auf dem Höhepunkt der Proteste am 3. Oktober 2016 gingen in mehreren polnischen Klein- und Großstädten zwischen 100.000 und 200.000 schwarz gekleidete Menschen auf die Straße. Es war eine Reaktion auf den von der Inititiative Stop Aborcji (Stoppt Abtreibungen) formulierten Gesetzentwurf, der wenige Tage zuvor in erster Lesung im Sejm, dem polnischen Parlament, genehmigt worden war und für Schwangerschaftsabbrüche bis zu fünf Jahre Haft vorsieht. Die Konservativen waren damals erschrocken über den Aufstand von FLINT-Personen (1) und lehnten den Gesetzesentwurf letztendlich ab.

Einige Jahre später, am 20. Oktober 2020, wurde durch eine Entscheidung des politisierten Verfassungsgerichts mit illegal ernannten Richter*innen das bis dato geltende Abtreibungsgsetz für verfassungswidrig erklärt und Abtreibungen so de facto verboten. Die Entscheidung des Verfassungsgerichts wurde jedoch vorerst nicht veröffentlicht und war damit nicht sofort wirksam. (ak 665)

Diesmal war die Mobilisierung noch größer als vier Jahre zuvor: Streiks, Blockaden, Proteste und Aktionen des zivilen Ungehorsams fanden an allen Orten in Polen statt. Auf dem Höhepunkt der Proteste am 30. Oktober 2020 unter dem Motto Na Warszawę (Nach Warschau) versammelten sich alleine in der Hauptstadt mindestens 100.000 Menschen. Die Demonstrant*innen wandten sich gegen die despotische Macht der Partei Prawo i Sprawiedliwość (PiS, Recht und Gerechtigkeit), der faschistischen Partei Konfederacja Wolność i Niepodległość (Konfederacja; Konföderation der Freiheit und Unabhängigkeit) und gegen die katholische Kirche, die nach der Wende in Polen enorme Privilegien auf Kosten der Rechte von FLINT-Personen und Minderheiten erlangt hatte. Schon 1993, im sogenannten »freien« Polen, haben Politiker*innen der Solidarność einen als Kompromiss getarnten Deal mit der Kirche gemacht und den in Polen lebenden FLINT-Personen das Recht auf eine bis dahin legale Abtreibung genommen.

Im Namen der Mutter, Tochter und Schwester

Vertreter der Kirche, angeführt von Erzbischof Gądecki, drückten ihre »große Freude über die epochale Veränderung« aus, die vielen FLINT-Personen ihre Menschenrechte entzieht. Nach dieser Erklärung flogen in ganz Polen Eier an Kirchenmauern, die Telefonnummer der Organisation Aborcja Bez Granic (Abtreibung ohne Grenzen) erschien an den Kirchenpforten und an die allgegenwärtigen Denkmäler für Johannes Paul II. wurden Kleiderbügel als Symbol für illegalisierte Abtreibungen, gehängt.  

In die feministische Widerstandsgeschichte wird das Foto einer jungen Frau eingehen, die mit einem Schild mit der Aufschrift »Lasst uns für das Recht auf Abtreibung beten«  vor einem Altar einer Warschauer Kirche steht. In einem viral gegangenen Video aus der Kleinstadt Szczecinek riefen wütende Jugendliche  einem Priester zu: »Gott ist eine Frau« und wiesen ihn an, »zurück in die Kirche zu gehen«, wo er hingehört, anstatt sich mit ihren Gebärmüttern zu beschäftigen. Das Ausmaß des antiklerikalen Aufstandes überraschte die Fundamentalist*innen. Zur Verteidigung der »unterdrückten« Priester und der »traditionellen Werte« fühlte sich neben Jarosław Kaczyński auch der Justizminister Zbigniew Ziobro berufen, der gleichzeitig und verfassungswidrig das Amt des Generalstaatsanwalts innehat. Er befahl Staatsanwält*innen im ganzen Land, antiklerikale Aktivist*innen aufzuspüren und strafrechtlich zu verfolgen. Viele von ihnen wurden der Beleidigung religiöser Gefühle beschuldigt, einige wurden gewaltsam aus ihren Häusern gezerrt, andere wurden mit Polizei- und Gendarmerie-Razzien schikaniert, so wie es auch bei mir der Fall war. Am 24. Oktober warf ich drei Eier aus Freilandhaltung auf die nächstgelegene Kirche, die sich in der Straße, in der ich wohne, befindet. Es stellte sich heraus, dass es sich um eine Garnisonskirche handelt und die Geistlichen, denen ich sie zuwarf, auch militärische Ämter innehaben. Wegen meines Widerstandes drohen auch mir bis zu zwei Jahre Gefängnis.

Der Regenbogen beleidigt nicht

Bisher haben die Organisator*innen der Proteste ihre Strafprozesse gewonnen, weil das Regime während der Pandemie keinen »Ausnahmezustand« eingeführt hat, der öffentliche Versammlungen rechtlich verbietet. Was den Paragraphen des Strafgesetzbuches gegen die Verletzung religiöser Gefühle betrifft, sind die Fälle noch anhängig. Im Moment sind wir Zeug*innen eines Prozesses gegen Elżbieta Podleśna, Anna Mazur und Joanna Gzyra-Iskandar – Aktivistinnen und Urheberinnen von Aufklebern mit einer Regenbogenmadonna. Sie schufen das Symbol vor zwei Jahren als Reaktion auf die Osterinstallation des Heiligen Grabes in der St.-Dominikus-Kirche in Plock. Über einem großen Kreuz mit einer rot-weißen Schleife stand dort damals die Inschrift »Bewahre uns vor dem Feuer des Unglaubens«. An darunter drapierten kleinen Kistchen wurden die Namen der Sünden »Hass«, »Verachtung«, »Gier«, »Diebstahl«, aber auch »Gender«, »LGBT« und »Perversion« angebracht. Die Aktivistinnen klebten daraufhin Aufkleber mit einer Regenbogenmadonna in die Kirche. Das Urteil soll im März gesprochen werden. Ihnen drohen bis zu zwei Jahre Gefängnis.

An die Denkmäler für Johannes Paul II. wurden Kleiderbügel als Symbol für illegalisierte Abtreibungen gehängt.

Am 27. Januar 2021 wurde das Urteil des Verfassungsgerichts veröffentlicht. Damit gesellt sich Polen zu den Ländern mit einem sehr beschränkten Abtreibungsrecht. Argentinien, das Heimatland von Papst Franziskus, hat unterdessen den Zugang zum Schwangerschaftsabbruch bis zur 14. Schwangerschaftswoche liberalisiert. In Deutschland ist die Rechtslage zwar deutlich besser als in Polen, lässt aber immer noch viel zu wünschen übrig. Eine Abtreibung gilt hier immer noch als strafbare Handlung, die nur unter bestimmten Bedingungen straffrei bleibt. In Deutschland wird aufgrund mangelnder Lehre im Medizinstudium weiterhin jeder zehnte Schwangerschaftsabbruch mit der veralteten Methode der Ausschabung statt der sichereren Vakuum-Absaugmethode, durchgeführt. Die Zahl der Ärzt*innen, die Abbrüche durchführen können, schwindet jährlich.

Abtreibung international

In Polen legen derweil unabhängige Abtreibungsbefürworter-Organisationen zusammen mit linken Parlamentarier*innen nicht die Schirme, ein Symbol des feministischen Widerstands in Polen, nieder. Sie sammeln Unterschriften für einen Gesetzentwurf »Legale Abtreibung ohne Kompromisse«, der den Abbruch bis zur 12. Schwangerschaftswoche ohne Angabe von Gründen erlauben soll. Die Gruppe »Frauenrechte« des Konsultativrates des gesamtpolnischen Frauenstreiks, Strajk Kobiet, formuliert noch weitergehende Forderungen und verlangt die Einführung des bedingungslosen, zeitlich und rechtlich unbeschränkten Zugangs zur freien Abtreibung nach kanadischem Vorbild. Das verändert die Art und Weise, wie über Abtreibung gesprochen wird. Es verleiht der schwangeren Person den Status eines Subjektes, das selbstständig und ohne unnötige Formalitäten über den Abbruch oder die Fortsetzung der Schwangerschaft entscheidet. Medizinisches Personal soll die Entscheidung einer schwangeren Person mit Fachwissen unterstützen, ohne moralisch zu urteilen oder sich hinter der »Gewissensklausel« zu verstecken.

Polinnen nehmen nach Angaben unabhängiger Organisationen wie »Abortion Dream Team« und FEDERA (Föderation für Frauen und Familienplanung) jährlich etwa 150.000 Abtreibungen vor, die meisten davon in Kliniken im Ausland. Zum Vergleich: Die legalen Abtreibungen belaufen sich auf etwas mehr als 1000; 98 Prozent davon wurden bisher aufgrund irreversibler Defekte des Fötus durchgeführt. Darüber hinaus ist in Polen kein Medikament mit den Wirkstoffen Misoprostol und Mifepriston zugelassen, das einen Schwangerschaftsabbruch auf pharmakologische Weise ermöglicht. Die Organisationen »Women Help Women« und »Women on Web« ermöglichen es Schwangeren deshalb, die Pillen online auf ihren Webseiten zu bestellen. Unterstützung erhalten Schwangere auch von unabhängigen Kollektiven und Organisationen wie Abtreibung ohne Grenzen in Polen, Ciocia Basia in Berlin, Ciocia Frania in Frankfurt, Ciocia Monia in München, Ciocia Wienia in Wien, Abortion Network Amsterdam, Ciocia Czesia in Prag. Sie können auch auf die Unterstützung von tschechischen, schwedischen, dänischen, norwegischen und isländischen FLINT-Personen zählen, die Petitionen an ihre jeweilige Regierung gerichtet haben, um kostenlose Abtreibungen für Menschen aus Polen zu ermöglichen. Die Proteste, Blockaden und Aktionen des zivilen Ungehorsams werden in Polen weitergehen.

Zofia nierodzińska

ist Autorin und Kuratorin. Sie lebt in Berlin

Die Redakteurin bedankt sich bei Maximilian Czarnecki für die Redaktion des Textes.

Anmerkung:

1) Die Abkürzung FLINT steht für Frauen und Lesben sowie inter, trans und nicht-binäre Personen.