analyse & kritik

Zeitung für linke Debatte & Praxis

|ak 659 | Deutschland

Neuigkeiten im Prepper-Keller

Corona-Komplott, satanische Zirkel und Trump als Exorzist – eine Art Superverschwörungstheorie geht nun auch in Deutschland viral

Von Carina Book

Atemschutzmasken sind in den Kellern von Preppern noch vorrätig. Foto: Lizenzfrei

Die QAnon-Bewegung verbreitet eine antisemitische Erzählung, die alles enthält, was rechte Verschwörer*innen begehren. Aus der rechten Onlineplattform 8chan und der Alt-Right in den USA ist sie schon lange nicht mehr wegzudenken. Nun hat sie auch in Deutschland einen neuen prominenten Apologeten gefunden. Xavier Naidoo gilt hierzulande als einer der einflussreichsten Aluhut-Träger. In einem Internetvideo weinte er kürzlich Krokodilstränen und erklärte, er habe nun verstanden, dass »in diesen Momenten in verschiedenen Ländern der Erde Kinder aus den Händen pädophiler Netzwerke befreit« würden.

Den Stoff hierfür liefern ein vermeintlicher Whistleblower aus dem Umfeld Donald Trumps, der sich »Q« nennt, und seine Anhänger*innen, die »QAnons«. Das Q soll dabei andeuten, dass die Person Zugang zu Informationen der Geheimhaltungsstufe »Q clearance« des US-Energieministeriums haben soll. Sie verbreiten die Geschichte vom globalen Staat im Staate, der in der Hand »satanischer Mächte« sei. Diese entführten (weiße) Kinder, die sie in Lagern quälten, um aus ihrem Blut einen verjüngenden Stoff namens Adrenochrom zu gewinnen. Zugeschnitten wurde diese Verschwörungstheorie auf die Dämonisierung von Hillary Clinton, Barack Obama und George Soros. QAnon behauptet, diese Akteure arbeiteten daran, die USA und letztlich den Rest der Welt in ein diabolisches, totalitäres Regime zu verwandeln. Daraus leiten die QAnon-Anhänger*innen wiederum ein Widerstandsrecht ab.

QAnon stellt den vermeintlich bösen Kräften, im Unterschied zu vielen anderen Verschwörungstheorien, eine reale und als messianisch aufgebaute Person entgegen: Donald Trump. Er ist derjenige, der als Befreier und regelrechter Exorzist vereehrt wird. Hält er öffentliche Veranstaltungen ab, tummeln sich QAnon-Anhänger*innen mit Schildern, auf denen der Buchstabe Q zu sehen ist und huldigen ihrem Erretter. Laut QAnon sei die Corona-Pandemie von den Eliten des liberalen Establishments fingiert, um davon abzulenken, dass eine globale, von Trump organisierte Befreiungsaktion der angeblichen Kinderlager laufe.

Die antisemitischen Erzählungen über Ritualmorde an Kindern reichen bis in das 12. Jahrhundert zurück und wurden immer wieder benutzt, um die Verfolgung von Minderheiten, insbesondere von Jüdinnen und Juden, zu rechtfertigen. Auch in den 1978 veröffentlichten »Turner Diaries« findet sich eine nahezu wortgleiche Propaganda. Der US-amerikanische Roman liest sich wie eine Anleitung für den »Rassenkrieg« und ist eines der wichtigsten Dokumente für Rechtsterroristen auf der ganzen Welt. Sie dienten unter anderem dem norwegischen Neonazi-Attentäter Anders Breivik, dem Thüringer Heimatschutz und dem NSU mit dem Konzept des führerlosen Widerstandes als Blaupause. In den fiktiven Tagebucheinträgen tauchen immer wieder »ritualmordende, satanische Klubs« auf. Auch hier zentral: ein angebliches Komplott aus Jüdinnen und Juden und der Regierung. Amerika müsse davon befreit werden. Dafür seien Attentate und Bombenanschläge nötig. Durch sie könne der Zerfall Amerikas beschleunigt werden, der den Sieg der »weißen Rasse« ankündige.

Corona als Untergangsbeschleuniger

Auch vor der Verbreitung von QAnon wurden das Corona-Virus und der dazugehörige Ausnahmezustand von deutschen Preppern, Verschwörungsgläubigen, Reichsbürgern und umstürzlerischen Neonazis als ersehnter Untergangsbeschleuniger für eine »dekadente, multi-kulti Welt« interpretiert. Ihre Keller sind prall gefüllt mit Dosenfleisch, Katana-Messern und Atemvollschutzmasken. Jetzt heißt es für sie warten, dass ihr Tag X anbricht. Dieser soll kommen, wenn der Auftakt zum finalen Bürgerkrieg gemacht ist, an dessen Ende sie die Macht übernehmen wollen.

Ein deutsches Spezifikum ist, dass man in der Reichsbürgerszene seit langem überzeugt ist, die Bundesrepublik sei kein eigenständiger Staat, sondern eine GmbH der US-Alliierten und somit ein besetztes Land. In der deutschen Interpretation von QAnon wird US-Präsident Donald Trump allerdings als Befreier interpretiert. Die umstrittene NATO-Übung Defender 2020 (ak 658) sei eigentlich eine Befreiungsaktion des US-Militärs. Sie würden in Trumps Auftrag unterirdische Kinderlager evakuieren, den tiefen Staat in Deutschland beseitigen und die Bundesregierung vor Gericht stellen, was QAnon-Anhänger »Nürnberger Prozesse Teil II« nennen.

Um die Zeit bis zum Umsturz zu beschleunigen, soll eine Verunsicherung in der Gesellschaft gegenüber den offiziellen Darstellungen von Politiker*innen oder Medien gefördert werden. Und das scheint in der deutschen Gesellschaft ein Leichtes zu sein. Immerhin durfte Xavier Naidoo bis März 2020, trotz zahlreichen, längst nachgewiesenen Antisemitismus, Rassismus- und Reichsbürgeräußerungen, weiterhin durch das samstägliche RTL-Abendprogramm führen, und auch nach den neuesten rechten Abgründen muss er keine Sorge vor leeren Konzerthallen haben. Warum das so ist, zeigen Jahr für Jahr die sogenannten Mittestudien. Sie attestieren ein manifestes Antisemitismusproblem und Verschwörungsmentalitäten in Deutschland. Zuletzt stellte die von der Friedrich Ebert Stiftung in Auftrag gegebene, repräsentative Mittestudie fest, dass 45,7 Prozent der Befragten der Aussage zustimmten: »Es gibt geheime Organisationen, die großen Einfluss auf politische Entscheidungen haben.« 32,7 Prozent gaben an, sie glaubten, dass »Politiker und andere Führungspersönlichkeiten nur Marionetten der dahinterstehenden Mächte« seien. Diese Zahlen machen verständlich, wieso es QAnon-Anhänger*innen und anderen Verschwörungstheoretiker*innen ohne große Mühe gelingt, ihre Reichweite zu vervielfachen. Mittlerweile unterhalten QAnon-Anhänger*innen in Deutschland die größten bestehenden Telegramchat-Gruppen im deutschsprachigen Raum. In ihnen tauschen sich mehr als 30.000 Verschwörungsgläubige aus.

Dass es hier nicht nur um einige Verwirrte geht, die in der Quarantäne viel Zeit im Internet verbracht haben, ist längst überdeutlich geworden: Erst Ende März hatte ein Anhänger rechter Verschwörungstheorien ein Bombenattentat auf ein Krankenhaus in Missouri (USA) geplant. Er war der Überzeugung, dass Corona eine »Erfindung der Juden« sei. Nur einige Tage später entgleiste ein QAnon-Anhänger absichtlich einen Zug mit hoher Geschwindigkeit in der Nähe des Hafens von Los Angeles. Laut Staatsanwaltschaft hatte er beabsichtigt, dadurch ein Lazarettschiff zu beschädigen. Er habe das Schiff für verdächtig gehalten und glaube, dass das Schiff nicht das sei, »wofür es angeblich bestimmt sei«.

Rechte Terrorwelle

Auch in Deutschland haben Anhänger*innen dieser rechten Ideologie bereits Anschläge verübt. An Jom Kippur 2019 versuchte der rechte Attentäter Stephan B., in eine Synagoge in Halle einzudringen, um dort möglichst viele Menschen zu töten. Zwei Menschen wurden von ihm ermordet. Seine Taten streamte er live ins Internet mit der Hoffnung, dadurch Nachahmer zu motivieren, ganz nach dem Vorbild des Attentäters von Christchurch/Neuseeland. Er richtete sich an eine virtuelle, globale Bewegung von gewaltbereiten, rassistischen und antisemitischen White Surpremacists und begann das Video auf Englisch mit den Worten: »Hi, my name is Anon, and I think the Holocaust never happened.«

Am 19. Februar 2020 tötete der neonazistische Attentäter von Hanau zehn Menschen und sich selbst. Auch er hatte vor seiner Tat ein Video bei Youtube hochgeladen. In diesem wandte er sich an »alle Amerikaner«. Amerika werde von geheimen Mächten beherrscht, die dem Teufel huldigten. Diese würden in Militäreinrichtungen Kinder misshandeln und töten. Die amerikanischen Bürger*innen müssten aufwachen und »jetzt kämpfen«. Zuletzt ermordete am 9. April 2020 Daniel S. einen 15-jährigen geflüchteten Eziden in Celle mit einem Messer. Recherchen von Zeit Online zeigten, dass sich auch der Täter von Celle im Internet auf die QAnon-Ideologie bezogen hatte.

Wie ein Hologramm aus den Turner Diaries erleben wir eine rechte Terrorserie bislang ungekannten Ausmaßes mit Attentätern, die kein Parteibuch der AfD und keinen Zugang zu klassisch rechtsterroristischen Milieus wie Combat 18 mehr benötigen. Ihre Bewegung konstituiert sich online und global. Weder, dass die AfD derzeit mit sich selbst beschäftigt zu sein scheint, noch dass viele der klassischen rechtsterroristischen Strukturen derzeit unter dem Repressionsdruck damit beschäftigt sind, Beweise zu vernichten, sollte jemanden vorzeitig beruhigen. Es ist höchste Alarmbereitschaft geboten.

Carina Book

ist Redakteurin bei ak.