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Mach ma mit links?

Am 11. Oktober 2020 wird in Wien gewählt. Auf dem Stimmzettel ist auch die neue Partei Links

Von Jannik Eder

Die neue Partei Links will ein Sammlungsbecken links von SPÖ und Grünen werden. Foto: Links

Die Wiener Grünen präsentierten im Juni dieses Jahres ein Konzept für einen »autofreien« ersten Bezirk. Allerdings mit 16 Ausnahmen: Beispielsweise dürfen alle Bewohner*innen des ersten Bezirks, der auch Innere Stadt genannt wird, dort weiter mit dem Auto fahren. Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) nannte die Kampagne zur vermeintlichen Autoverbannung »Aktionismus» und grollte: »Wenn die Interessen der Bevölkerung nicht wahrgenommen werden, werde ich mich als Bürgermeister lautstark dazu äußern und gegebenenfalls auch eingreifen.« Der in verkehrspolitischen Fragen wenig progressive Ludwig setzt bei der Landtags- und Gemeinderatswahl in Wien im Oktober einerseits auf die Autofahrer*innen. Andererseits ärgerte ihn, dass sein grüner Koalitionspartner unter Vizebürgermeisterin Birgit Hebein den Plan mit dem ÖVP-Bezirksvorsteher der Inneren Stadt entwickelt hatte. Bahnt sich in Wien so wie im Bund eine Koalition aus ÖVP und Grünen an?

ÖVP im Aufwind, FPÖ am Boden

Keineswegs. Auch wenn manche Bezirke umkämpft sind, gilt als sicher: Rot-Grün wird in Wien weiter regieren. Die SPÖ steuert die 40-Prozent-Marke an, die Grünen lagen in Umfragen zuletzt bei 14 Prozent.

Die ÖVP tut sich traditionell schwer, in Wien gute Ergebnisse zu erzielen, nur neun Prozent der Stimmen holte sie bei der letzten Wahl 2015. Allerdings: Dieses Mal könnten es über 20 Prozent werden. Die ÖVP profitiert in der Hauptstadt von ihrer Stärke auf Bundesebene. Ebenso kommt ihr der Absturz der FPÖ zugute. 2015 war sie mit fast 31 Prozent zweitstärkste Kraft in Wien. Ihr damaliger Spitzenkandidat Heinz-Christian Strache schielte auf das Bürgermeisteramt. Doch der Ibiza-Skandal traf die Partei schwer, die Regierungskoalition zerbrach, und die Zustimmung für die Partei sank massiv. Heute liegt sie in Wien bei elf Prozent. Strache, Protagonist im Ibiza-Video, wurde nach einer Spesenaffäre aus der Partei ausgeschlossen. Er tritt nun mit eigener Liste an, dem Team HC. Zuletzt wurden ihm vier Prozent vorhergesagt.

Neu auf dem Stimmzettel ist Links. Die Kleinpartei löst das Wahlbündnis »Wien anders« ab, das 2015 den Einzug in den Gemeinderat verpasste, aber seitdem je ein Mandat in fünf Bezirksvertretungen hält. Die Bündnisstruktur von »Wien anders« brachte also für die Wiener Linke nicht den erhofften Erfolg. Bei Links spricht man von sich selbst lieber als Organisation denn als Partei. Das Ziel ist jedenfalls, sich als politisches Sammelbecken links der SPÖ zu etablieren.

Neue linke Opposition

Der ausgebliebene Erfolg von »Wien anders« wurde in Debatten als eine Folge der inneren – und nach außen hin deutlich wahrnehmbaren – Fragmentierung erklärt. Die Kommunistische Partei Österreichs (KPÖ) wollte bei »Wien anders« den Platzhirsch spielen, lautete eine oft geäußerte Kritik. Nun tritt die KPÖ gemeinsam mit Links an. Und wieder sprechen manche Aktivist*innen hinter halb vorgehaltener Hand davon, dass die KPÖ eine Sonderstellung für sich beansprucht. Außenstehende können sich auf den Social-Media-Kanälen der KPÖ ein Bild machen: Bildbeiträge entsprechen durchgängig dem eigenwilligen KPÖ-Design, das Links-Logo ist bloß ins Eck geklatscht.

Die Links-Spitzenkandidat*innen Angelika Adamsamer, Anna Svec und Can Gülcü wiegeln ab und betonen, dass Links verschiedene politische Kulturen und Strukturen zusammenbringen möchte. Mit Blick auf die KPÖ sagen sie diplomatisch: »Wir sind sehr froh, dass uns letztlich gelungen ist, wienweit nicht nebeneinander, sondern miteinander anzutreten und unsere Kräfte gemeinsam einzusetzen.«

Besagte andere politische Kulturen und Strukturen bringen bei Links etwa die Aktivist*innen der Donnerstagsdemos mit, die in den letzten zwei Jahren gegen die ÖVP-FPÖ-Bundesregierung auf die Straße gingen. Sie sorgen für einen Bewegungscharakter. Die Mobilisierung gegen die Verfestigung eines rechten Machtblocks ist als ein entscheidender Impuls für die Gründung von Links zu sehen. »Die katastrophale, unsoziale Performance der Grünen in der Bundesregierung und der rechte Kurs der Wiener SPÖ unter Bürgermeister Michael Ludwig machen eine linke Opposition notwendig«, sagte Can Gülcü, Drittplatzierter der Liste, bei der Vorstellung des Wahlprogramms. In dessen Zentrum stehen bedingungslose Existenzsicherung, Kritik an Überwachung und Polizei, Reformen bei Arbeitszeit, Pensionen, Wahlrecht, Wohnraumpolitik.

Jedoch ist schwer zu sagen, was das entscheidende Anliegen ist, mit dem Links bei der Wahl punkten will. Von der Kampagne bleibt in vielen Köpfen kaum mehr hängen, als dass ein neuer Akteur zu SPÖ und Grünen in Konkurrenz tritt. Sympathie bekunden vor allem jene Linken, die man nicht mehr überzeugen muss. In linksliberalen Kreisen verfängt das Versprechen, dass man sich dank Links nicht mehr mit der Wahl des kleineren Übels vertrösten müsse, aber selten.

Bei Links ist man sich sicher, dass die Wahlpräferenzen der Wiener Bevölkerung durch die Corona-Krise in Bewegung geraten sind. Starkes Stimmenpotenzial orten die Spitzenkandidat*innen bei durch Fridays for Future und Black Lives Matter politisierten Erstwähler*innen oder von der Mehrheitsgesellschaft ausgegrenzten Migrant*innen der zweiten und dritten Generation. Außerdem sei man eine Kraft, »die gekommen ist, um zu bleiben«. Sprich, politische Arbeit soll unabhängig von der Wahl verrichtet werden. Dafür wäre jedes Bezirksmandat wertvoll. Für den Gemeinderat wird es am 11. Oktober voraussichtlich nicht reichen. In den Umfragen zählt Links zur Kategorie »Sonstiges«, wo sie ihr Dasein etwa mit der BPÖ, der Bierpartei Österreich, fristen muss.

Rot-Grün forever?

Die Machtverhältnisse in Wien sind also mittelfristig klar, eine linke Opposition im Gemeinderat käme überraschend. Aber im Gegensatz zu ihrer Stärke in Wien erreicht die SPÖ bundesweit keine 20 Prozent. Den Grünen wird oft vorgeworfen, dass sie als Juniorpartner von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) diesem nur als Feigenblatt für seine neoliberale, rechtskonservative Politik dienen.

Das Manöver zur »autofreien« Inneren Stadt mutete wie ein Erproben alternativer Koalitionsoptionen an. Zwar ist Schwarz-Grün rechnerisch momentan nicht möglich, und Vizebürgermeisterin Hebein bekundete: »Entweder, es wird wieder Rot-Grün, oder wir gehen in Opposition.« Doch manchmal kann es schnell gehen, auch in Österreich. Wer hätte vor Ibiza schon darauf gewettet, dass die ÖVP bald zusammen mit den Grünen das Land regiert?

Jannik Eder

Jannik Eder lebt und arbeitet in Wien. Dort studierte er Politikwissenschaft und war lange Redakteur der Politik- und Kulturzeitschrift MALMOE.