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|ak 690 | Ökologie

»Was, wenn plötzlich die Schienen nach oben ragen?«

In Kolumbien wurde der Kohleabbau infolge der Sanktionspolitik intensiviert – doch Widerstand regt sich

Von Rolf Schümer

Die kolumbianische Mine El Cerrejon: Wo vor zehn Jahren noch dichter Urwald stand, graben sich heute schwere Maschinen in den staubigen Boden. Foto: Tanenhaus/Flickr, CC BY 2.0

Er liegt im äußersten Nordosten des Landes auf der Halbinsel Guajira dicht an der Grenze zu Venezuela. Zunächst ist er nicht zu sehen, aber zu spüren. Die Luft ist schlecht, je nach Windrichtung enthält sie mehr Wüstensand oder mehr Kohlenstaub.

Knapp 70.000 Hektar misst der weltgrößte Steinkohlentagebau, der aus mehreren Abbaufeldern besteht, weitere sind in Vorbereitung, dann wird er der Fläche der deutschen Hauptstadt entsprechen. Die Minengesellschaft beschleunigt die Erweiterung seit sie mehr Aufträge aus Europa erhält, weil dort die russische Kohle nicht mehr abgenommen wird. Die großen deutschen Energiekonzerne gehören zu den wichtigsten Kunden. Der Betreiber der Mine El Cerrejon, der Schweizer Multi Glencore, blickt optimistisch in die Zukunft, und der aktuelle Kurs seiner Aktien bestätigt es mit steilem Anstieg. Anders sieht es bei den Menschen in den umliegenden Gemeinden aus. Denn der Kohlenstaub verbreitet sich in der gesamten Umgebung, er hat längst die Küste erreicht. Der ehemals weiße Sand trägt seine Farbe, die Korallenriffe sind abgestorben.

Fast die gesamte Fördermenge verlässt das Land, weil Kolumbien kaum Bedarf an Steinkohle hat. Die meiste Energie wird mit Wasserkraftwerken erzeugt, der restliche Bedarf kann mit Windrädern oder Photovoltaikanlagen gedeckt werden.

Wo heute die Bagger schaufeln, Lkw laden und Güterzüge die 150 Kilometer der firmeneigenen Bahnlinie zum Hafen herunterzuckeln, stand noch vor zehn Jahren dichter Urwald. Dort lebte das indigene Volk der Wayuu, und ihr Dorf Tamaquito sollte dem Tagebau weichen. Die Wayuu wehrten sich. Sie lebten nicht nur von Landwirtschaft und Viehzucht, sondern auch von der Jagd. Außerdem fanden sie im Urwald die Heilpflanzen, die sie von der Schulmedizin unabhängig machten und hatten saubere Wasserquellen für die Trinkwasserversorgung.

Nichts mit »buena vida«

Glencore versprach, ein neues Dorf mit modernen Steinhäusern zu bauen und die Gemeinde großzügig und dauerhaft finanziell zu unterstützen. Es gäbe dort viel Wasser, die Wayuu würden Dank der reichen Ernteerträgen ohne Jagd ein gutes Leben führen. »La buena vida«, das gute Leben, so hieß auch der preisgekrönte Dokumentarstreifen, den der Filmemacher Jens Schanze über den Konflikt drehte. Wie überall in Lateinamerika war der Widerstand vor allem weiblich. Mehr als die Männer, von denen einige auf gut bezahlte Jobs in der Mine hofften, engagierten sich die Frauen. Sie befürchteten nicht nur eine Verschlechterung der Lebensbedingungen am neuen Standort, sondern sorgten sich um den Erhalt der Kultur und der Traditionen ihres Volkes. Doch die Wälder wurden abgeholzt, und die Wayuu mussten nach Neu-Tamaquito umsiedeln. Es befindet sich in der Nähe von Barrancas, nicht weit vom Tagebau entfernt.

Hier gibt es keine Spur vom angeblichen Wasserreichtum. Das neue Dorf liegt in einer kargen Steppenlandschaft. Ohne Bewässerung wächst hier außer Kakteen kaum etwas. Ein nahe gelegener Fluss war schon bei der Ankunft der Wayuu versiegt, denn der Tagebau-Betrieb verschlingt enorme Wassermengen. Also mussten eine Pumpanlage und eine Aufbereitungsanlage her. Alle Bewohner*innen spendeten dafür, denn die versprochenen Zahlungen von Glencore wurden nach sechs Monaten ohne Begründung eingestellt. Immer wieder müsse etwas investiert werden, weil der Grundwasserspiegel inzwischen auf 40 Meter gesunken sei, erklärt Jairo Fuentes, Ortsvorsteher der indigenen Gemeinde. »Die Wassermenge ist viel zu gering. Zum Kochen und Waschen, für Pflanzen und Tiere haben wir nur acht Liter pro Kopf täglich. Alle Familien müssen Wasser kaufen. Außerdem hat die Mine das Grundwasser vergiftet. Selbst nach der Aufbereitung ist es für Menschen nicht trinkbar.«

Die Mine hat das Grundwasser vergiftet. Selbst nach der Aufbereitung ist es für Menschen nicht trinkbar.

Der Schweizer Minenbetreiber will davon nichts wissen. Zum Weltwassertag 2022 veröffentlichte er auf seiner Homepage einen Beitrag, in dem er sich für seinen weltweiten Einsatz für ausgezeichnete Grundwasserqualität lobt. Ortsvorsteher Fuentes schüttelt den Kopf über derartig unverfrorenes Greenwashing: »Unser Kampf geht weiter. Wir haben beim kolumbianischen Parlament eine Petition eingereicht, in der wir Maßnahmen zur Verbesserung unserer Lage fordern. Hier weht ständig Wind, wir haben viel Sonnenschein. Mit Windkraft und Sonnenenergie könnten wir stärkere Pumpen betreiben, um mehr Wasser zu fördern. Aber es muss auch im soziokulturellen Bereich investiert werden. Fast alle jungen Leute sind arbeitslos, es gibt Probleme mit Alkoholismus. Auch unsere Dorfschule ist materiell und personell schlecht ausgestattet, es gibt nur zwei Lehrkräfte für mehr als vierzig Kinder. Doch wenn unsere Forderungen unerfüllt bleiben, wissen wir, wo die Achillesferse der Mine liegt.« Verschmitzt lächelnd zeigt Jairo mit dem Finger in Richtung der Minen-Bahn. »Was macht wohl der Lokführer, wenn plötzlich die Schienen fehlen oder nach oben ragen?«

Was bringt die Linksregierung?

Jairo setzt große Hoffnungen auf den neuen Präsidenten Gustavo Petro, der als Kandidat des Linksbündnis Pacto Historico einen grundsätzlichen Wandel in Kolumbien versprochen hat. Er hofft, dass die Genehmigung zur Erweiterung des Tagebaus, die wenige Wochen vor der Vereidigung Petros von der alten Regierung erteilt wurde, wieder rückgängig gemacht wird. Sonst käme es zu weiteren Zwangsumsiedlungen indigener Gemeinschaften und noch größeren Umweltschäden.

Wird die neue Linksregierung Kolumbiens ihre im Wahlkampf gemachten Versprechen halten? Vor der Wahl stand der Ausstieg aus fossilen Brennstoffen ganz oben auf der Prioritätenliste des ersten linken Präsidenten Kolumbiens und der afrokolumbianischen Umweltaktivistin Francia Márquez, die mittlerweile Vizepräsidentin ist. Aktuell sieht es nicht danach aus. Nach Informationen des Statistischen Bundesamtes haben sich allein die deutschen Steinkohle-Importe aus Kolumbien als Folge der Sanktionen gegen Russland bis Ende des Jahres 2022 fast verdreifacht. Die neue Regierung in Bogota will zwar langfristig an ihren Zielen festhalten und keine neuen Lizenzen mehr für künftige Tagebauprojekte erteilen.

Aber davon ist der Tagebau El Cerrejon nicht betroffen, da eine gültige Lizenz seit langem vorliegt. Die kolumbianische Regierung appellierte lediglich an den Betreiber, die Menschen in der Region mehr von den steigenden Gewinnen profitieren zu lassen.

In der Vergangenheit kam es auf Hauptversammlungen deutscher Energiekonzerne, die Kohle aus Kolumbien importierten, stets zu heftigen Protesten. Auch die Partei Die Grünen hatte diese Importe immer wieder heftig kritisiert. Mit Robert Habeck als Leiter des Wirtschafts- und Klimaschutzministeriums kam die Kehrtwendung, grünes Licht für mehr Steinkohle aus Kolumbien.

Bereits im Herbst 2022 organisierten die Wayuu und Afrokolumbianer mehrtägige Straßenblockaden rund um den Tagebau. Internationale Vernetzung und Solidarität machten Fortschritte, zwischen den deutschen Klima-Aktivist*innen von Ende Gelände und kolumbianischen Umweltgruppen verbesserte sich die Zusammenarbeit.

Doch gegen multinationale Rohstoff-Konzerne, die die schonungslose Ausplünderung des globalen Südens beschleunigen und die als Kriegsprofiteure die Sanktionspolitik gegen Russland zu ihren Gunsten wenden, bedarf es einer viel größeren Dimension des Widerstands.

Rolf Schümer

ist freier Journalist und Mitglied im Landesverband Sachsen-Anhalt der Partei Die Linke.