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|ak 697 | Diskussion

Klimantifa for beginners

Die Klimabewegung muss ohne den antifossilen Kampf aufzugeben zu einer gesellschaftlichen Resilienzbewegung werden

Von Tadzio Müller

Viele Menschen in Maleranzügen auf Pipelineröhren - im Vordergrund ein Polizist.
Sind Besetzungsaktionen noch sinnvoll, wenn die Klimakatastrophe schon eingetreten ist und der Faschismus nach der Macht greift? Ende-Gelände-Aktivist*innen besetzen Rohre im Hafen von Mukran auf Rügen. Foto: Philippe Pernot

Der Faschismus stellt eine reale Bedrohung dar und das Klima kollabiert. Siehe die Wahlerfolge der AfD bei den letzten Landtagswahlen, siehe der wärmste Juli, August und September seit Beginn der Aufzeichnungen. Diese beiden Dynamiken produzieren gesellschaftliche Kollapsdynamiken, die wiederum die Ursprungsdynamiken antreiben.

Und die Klimabewegungen? Strategiefrei stolpern sie durch die Gegend. Die Kampagne der Letzten Generation in Bayern, deren Ziel (!) es war, 100 Menschen in den Knast zu bekommen, ist gescheitert, es wurden »nur« 40 in Präventivhaft genommen, die erhoffte Solidarisierungswelle blieb aus. Fridays For Future hält Wahlkampfpressekonferenzen für die Grünen in Bayern und sind de facto zu einer Vorfeldorganisation der Partei verkommen. Ende Gelände (EG) schafft es zwar weiterhin, ihre Blockadeziele zu erreichen, zuletzt auf Rügen (Seite 21), aber eine unrepräsentative Umfrage in meinem Umfeld legt nahe, dass nicht einmal innerhalb der radikalen Klimabubble viele mitbekamen, was da auf Rügen geschah.

Die bisherigen Aktionsformen sollen zur Verhinderung des Klimakollapses beitragen. Wenn das Klima kollabiert, sind sie jedoch nicht notwendigerweise besonders nützlich, mobilisierend und inspirierend. Was hätte EG im Ahrtal gemacht – die Fluten blockiert?

Klimantifa heißt nicht, dass ab jetzt alles, was wir Klimas machen, nur noch antifa sein darf; es heißt aber, dass alles, was wir Klimas machen, auch antifa sein muss.

Keine Spur also davon, dass wir uns als Bewegung auf die neue Situation einstellen. Dabei ist die Klimabewegung immer noch die mobilisierungsstärkste Bewegung in Deutschland, trotz sinkender Legitimität. Den Kampf gegen den Faschismus mit anzuführen, der auch aus globaler Gerechtigkeitsperspektive die zentrale Gefahr im Klimakollaps ist, ist eine unserer zentralen Zukunftsaufgaben. Und im Gegensatz zum Kampf gegen den Klimakollaps ist der gegen den neuen Faschismus noch lange nicht verloren. Tatsächlich könnten wir den sogar noch gewinnen. Ich habe dafür den Begriff Klimantifa vorgeschlagen, eine Synthese von Klimagerechtigkeits- und antifaschistischen Kämpfen.

Was meint das? Der Klimakollaps wird zu Situationen führen, in denen notwendige Güter und Dienstleistungen nicht wie gewohnt erhältlich sind. In diesen Situationen werden politische Projekte von den Menschen weniger wegen ihrer »ideologischen« Positionen (für den Kapitalismus oder dagegen etc.) selektiert, sondern mensch geht dorthin, wo es das gibt, was man braucht, und zwar mit am wenigsten Nerv und der meisten Offenheit, Liebe und Solidarität.

Das bedeutet für die Klimabewegung, dass wir uns in die Lage versetzen müssen, sowohl in kurzfristigen Katastrophensituationen als auch in längerfristigen Kollapsdynamiken bestimmte notwendige Güter und Dienstleistungen bereitzustellen. Die solidarische Gesundheitsversorgung zum Beispiel. Wusstet ihr, dass die erste öffentliche Klinik, die in New Orleans nach der Zerstörung durch den Hurricane Katrina aufgemacht wurde, eine von Anarchist*innen geleitete Einrichtung war?

Der Kernbegriff hierfür ist die von vielen ungeliebte »Resilienz«: Wir als Klimabewegung müssen Menschen zeigen, dass wir nicht nur Sachen blockieren können, sondern dazu beitragen können, gesellschaftliche Resilienz auf verschiedenen Ebenen aufzubauen, am besten und am wichtigsten dort, wo Staat und Markt schwach sind oder nicht hinwollen. In Berlin könnte das zum Beispiel Vorbereitungen auf den zunehmenden Wasserstress sein oder der Aufbau lokaler Plätze, an denen Menschen Zuflucht vor extremer Hitze suchen können.

So könnte die mögliche Synthese von Klimaaktivismus und Kampf gegen den Faschismus aussehen. Denn: Starke horizontale soziale Beziehungen, die vor allem vor Ort aufgebaut werden, können uns helfen, die Orte, an denen wir wohnen, zu »Bunkern« gegen die faschistische Offensive zu machen.

Ohne den antifossilen Kampf ganz aufzugeben, müssen wir beginnen, zu einer gesellschaftlichen Resilienzbewegung zu werden. Denn was in der Klimakatastrophe hilft – Solidarität, gemeinsame Vorbereitung, Schaffung lokaler und regionaler Netzwerke, teilen von Skills und Ressourcen etc. –, hilft auch im Kampf gegen den Faschismus. Es bereitet Menschen darauf vor, wenn es mal auf der Straße gegen die Faschos und um alles geht. Dann wissen wir, wer mit uns steht: diejenigen, mit denen wir zusammen unsere Leben gerettet, verbessert, wieder lebenswert gemacht haben werden. Klimantifa heißt also nicht, dass ab jetzt alles, was wir Klimas machen, nur noch antifa sein darf; es heißt aber, dass alles, was wir Klimas machen, auch antifa sein muss.

Tadzio Müller

betreibt auf dem Portal Steady den Newsletter Friedliche Sabotage; dort findet sich auch die ungekürzte Fassung dieses Beitrages.