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|ak 664 | Soziale Kämpfe

Kampagne zur Stärkung des Klassenbewusstseins

Das Bündnis »Wer hat, der gibt« will Verteilungskämpfe von links politisieren - und kommt damit gerade noch rechtzeitig zur zweiten Corona-Welle

Von İnci Arslan

Mann im Anzug vor einem Luxusauto
Die effektive Besteuerung solcher Typen, um etwa den Gesundheitsbereich aufzuwerten – das wär’s. Foto: Unsplash

Ist die Corona-Pandemie die Räuberleiter für progressive, solidarische, transformatorische Ideen, weil sie ökonomische Funktionsweisen und Ungleichheiten gnadenlos offenlegt? Kaum zu glauben, dass Linke diese Frage vor einem halben Jahr – als das Corona-Virus sich in Europa ausbreitete und viele Länder in den ersten Lockdown gingen – ernsthaft debattiert und oftmals bejaht haben. Recht schnell zeigte sich: Es ändert sich gar nichts, weil Linke kaum in der Position sind, »Chancen« zu ergreifen, daher wird ganz im Gegenteil der Wind rauer, nicht solidarischer; harte Verteilungskämpfe stehen an und trotz gestiegenen Selbstbewusstseins der »systemrelevanten Berufe« bleibt es verdammt schwer, Verbesserungen durchzusetzen beziehungsweise in manchen Bereichen auch nur den Status quo zu halten.

Nachdem also zu Beginn der Pandemie nicht wenige linke Analysen eine gesellschaftliche Neuordnung und vermeintlich große Chancen prognostiziert hatten, starrten viele wenige Wochen später, im Sommer, ebenso gelähmt wie fasziniert fast nur noch auf die rechten Demos der Corona-Leugner*innen.

Die Reichen sollen zahlen

Etwas anderes versprach und verspricht die Kampagne »Wer hat, der gibt«. Das Bündnis aus linken Gruppen und Kampagnen, vornehmlich aus Hamburg sowie Berlin, hatte sich bereits im Sommer zusammengefunden. Zu einem Aktionstag am 19. September mobilisierte es etwas mehr als 3000 Menschen, die meisten davon an der Alster. Die Ansprache war erfrischend einfach und deutlich: Die Reichen sollen für die Krise zahlen. In der Erwartung, dass die Rechnung für die Corona-Folgen eher früher als später Lohnabhängigen und Armen präsentiert werden würde, fordert das Bündnis neben Investitionen in Sozial-, Gesundheits- und Bildungswesen unter anderem die Wiedereinführung der Vermögenssteuer, die effektive Besteuerung großer Erbschaften sowie eine einmalige Vermögensabgabe für Millionär*innen und Milliardär*innen.

Das öffentlich-mediale Interesse an diesen Demonstrationen im September war – gemessen an der Teilnehmerzahl – hoch. So führte etwa die Hamburger Mopo auf zwei Doppelseiten eine Debatte darüber, inwieweit die Forderungen von »Wer hat, der gibt« gerechtfertigt seien. Diese Art Medienecho wurde vonseiten des Bündnisses als bescheidener, aber dennoch nicht zu verachtender diskursiver Erfolg verstanden. Er war wohl auch deshalb möglich, weil die »Wer hat, der gibt«-Kampagne als »Corona-Demos, aber von links« verhandelt wurde, was sich angesichts der übersteigerten Aufmerksamkeit, die rechte Corona-Leugner*innen erhielten (und weiter erhalten), als durchaus klug erwies.

Gegen die Übermacht jener, die die »die Wirtschaft« am Laufen halten und Krisenkosten von der Klasse der Kapitalbesitzer*innen fernhalten wollen, können auch all diese Initiativen zusammen keine Brandmauer errichten.

Auch mit der Mobilisierung zeigte man sich, zumindest im Bündnis, eher zufrieden. Es sei gelungen, etwa in Hamburg »spektrenübergreifend« gemeinsam auf die Straße zu gehen. Spektrenübergreifend bezieht sich hier allerdings nur auf die linke Szene. Diesen Punkt kritisierte wiederum Philipp Möller im »nd«. Durchaus angetan von den inhaltlichen Forderungen der Kampagne schieb er: »Gekommen waren vor allem Aktivisten aus der linken Szene. Überraschen sollte das nicht. Die am stärksten von der Krise Betroffenen erreichte das Bündnis nicht. Hartz-IV-Empfänger, Alleinerziehende, Beschäftigte in systemrelevanten Branchen oder Geflüchtete sind in linken Gruppen kaum repräsentiert. Nach 30 Jahren Neoliberalismus ist die untere Klasse weitestgehend demobilisiert.« Möller trifft hier einen Punkt, der nicht neu ist, aber in der Pandemie besonders zum Tragen kommt: Denen, die in der Krise als erste unter die Räder kommen, gilt zwar linke Empathie – wirklich etwas zu tun hat man mit dem Leben dieser Menschen allerdings nur selten.

Mobilisierbare Verbindungen zu Pflegebranche, Fleischindustrie, auf die Erntefelder und in die Stadtteile existieren dank solcher Gruppen wie aktion ./. arbeitsunrecht, Deutsche Wohnen & Co. enteignen, die Polikliniken und Gesundheitskollektive, die Pflegebündnisse. Gegen die Übermacht jener aber, deren oberste Priorität bei der Bewältigung der Pandemie es ist, »die Wirtschaft« (und damit auch: Schulen und Kitas) am Laufen zu halten und Krisenkosten von der Klasse der Kapitalbesitzer*innen fernzuhalten, können auch all diese Initiativen zusammen keine Brandmauer errichten.

Etwas mehr Realitätssinn

Dies lässt sich ganz aktuell auch daran erkennen, wie vehement den im Frühjahr als Corona-Held*innen bezeichneten Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes, nun in sämtlichen Leitmedien mit unverhohlener Ablehnung begegnet und Verzicht auf, ohnehin schon eher bescheidene, Forderungen gepredigt wird. (Mehr dazu auf Seite 25) Und hier geht es immerhin um Beschäftigtengruppen, die gewerkschaftlich gut organisiert sind und vertreten werden. In den Fleischfabriken, den Logistikzentren und auf Erntefeldern sieht das weiterhin anders aus. Ein Schlaglicht war hier der wilde Streik im nordrhein-westfälischen Bornheim, der dank der schnellen Reaktion der anarchosyndikalistischen Basisgewerkschaft FAU zwar unterstützt werden konnte, aber eben auch vor Augen führte, wie abgekoppelt die linken Großstadtszenen etwa von denen sind, über die wir so gerne schreiben und sprechen.

Dieses Problem ist altbekannt, über viele Jahre gewachsen – und daher nicht einfach durch bloße Erkenntnis, »einfach mal machen«, das Ergreifen der »Chancen«, eine neue linke »Orientierung« oder die nächste Debatte aus der Welt zu schaffen. Das anzuerkennen bedeutet nicht, den Zustand zu akzeptieren, aber vielleicht doch mit einer etwas realistischeren Selbsteinschätzung in die zweite Corona-Welle zu gehen. Gut ist, dass es mit »Wer hat, der gibt« nun zumindest einen konkreten Anhaltspunkt gibt dafür, wie eine linke Krisendeutung und -intervention jenseits von »Masken tragen!« oder »Die Krise ist eine Chance!« aussehen sollte, auch wenn sich die Kampagne zunächst nicht über die linke Szene hinaus verbreitern konnte. Was – wie gesagt – angesichts der eigenen Lage auch überraschend gewesen wäre. Für das Bündnis hinter der Kampagne steht fest, dass man weitermachen wird. Wie, das ist allerdings noch nicht klar.

İnci Arslan

ist Autorin und Aktivistin aus Berlin.