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|ak 699 | Soziale Kämpfe

Jung, akademisch, prekär

Noch immer kämpfen studentische Beschäftigte für einen Tarifvertrag, doch die Finanzminister*innen der Länder machen dicht

Von Svea Gruber und Merle Koch

Junge studentische Beschäftigte tragen ein pinkes Banner auf einer Demonstration. Auf dem Banner steht: Jetzt oder nie! Daneben ist das Symbol der Bewegung TVStud zu sehen. Es besteht aus einer Faust, die einen Bleistift hält. Im Hintergrund wehen pinke Fahnen und pinker, sowie blauer Rauch, von Rauchtöpfen steigt auf. In der zweiten Reihe hält jemand ein Schild in die Luft auf dem steht: Es ist uns 1 Ehre an der Uni zu streiken.
»Es streikt, es streikt, kommt alle aus dem Haus«, sangen die studentischen Angestellten beim Warnstreik vor der letzten Verhandlungsrunde im Schneegestöber. Foto: TVStud

Hochschulen gehörten in der Vergangenheit nicht zu den Orten, an denen Arbeitskämpfe ausgetragen wurden. Die aktuelle Tarifrunde der Länder zeigt, dass sich das ändert. Grund dafür sind auch Studierende, die sich bundesweit für einen Tarifvertrag für studentische Beschäftigte (TVStud) an den Hochschulen einsetzen. Am 20. November fand in 85 Städten unter dem Motto »Schluss mit prekärer Wissenschaft« ein bundesweiter Hochschulaktionstag statt, an dem Beschäftigte der Universitäten und Hochschulen gemeinsam mit studentischen Hilfskräften, Tutor*innen und solidarischen Studierenden auf die Straße gegangen sind. An knapp 60 Standorten haben die Gewerkschaften ver.di und GEW im Rahmen der laufenden Tarifrunde der Länder zu Streiks aufgerufen. Neben der Forderung nach 10,5 Prozent mehr Lohn, mindestens aber 500 Euro für alle, wurde auch für eine Reformierung und Erhöhung des BAföG, eine grundlegende Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes und einen TVStud, also einen Tarifvertrag für studentische Beschäftigte, gestreikt und demonstriert.

Kein Tarif, keine Mitbestimmung

Bis zu 400.000 Studierende arbeiten neben ihrem Studium an einer Hochschule oder Forschungseinrichtung und halten das Wissenschaftssystem am Laufen. Sie unterstützen ihre Kommiliton*innen in Tutorien, tragen zu guter Lehre bei und leisten durch ihre Arbeit in den Büros, Laboren und Forschungsgruppen einen unverzichtbaren Beitrag zur Forschung. Für viele ist diese Beschäftigung die Haupteinnahmequelle. Doch auch hier, im öffentlichen Dienst, bekommen die meisten dafür nur den Mindestlohn. Die niedrigen Löhne verstärken die prekäre Lage von Studierenden. Anders als in anderen Nebenjobs sind kurze Vertragslaufzeiten und Kettenbefristungen hier die Regel. Die Befristung ist mit einer andauernden Probezeit gleichzusetzen, sie macht die Studierenden abhängig vom Wohlwollen der Vorgesetzten und verunmöglicht ihnen finanzielle Sicherheit. Auch die Einhaltung gesetzlicher Mindeststandards, wie die Einlösung des Urlaubsanspruchs oder, dass Krankheitstage nicht nachgearbeitet werden müssen, wird unter diesen Bedingungen systematisch unterwandert. Fehlende Mitbestimmungsrechte machen das Bild komplett. Dass diese prekären Arbeitsbedingungen ein strukturelles Problem darstellen, wurde mit der Studie »Jung, akademisch, prekär«, die Anfang des Jahres vom Institut Arbeit und Wirtschaft Bremen (iaw) in Kooperation mit den Gewerkschaften ver.di und GEW sowie der bundesweiten TVStud-Vernetzung herausgegeben wurde, empirisch belegt. Nur das Bundesland Berlin hat bereits seit 1980 einen Tarifvertrag für studentische Beschäftigte. Dort zeigt sich deutlich: Tarifverträge wirken: Längere Vertragslaufzeiten führen hier nicht nur zu mehr Planbarkeit, sondern auch zur höheren Inanspruchnahme von Urlaub und geringerem Anteil derer, die Krankheitstage nacharbeiten. Der Anteil derer, die unter die Armutsgefährdungsgrenze fallen, ist hier bundesweit am geringsten – wenn auch mit 64 Prozent immer noch erschreckend hoch, was allerdings nur die Notwendigkeit tariflich geregelter und auch regelmäßig steigender Löhne unterstreicht.

Die Sache mit der schwarzen Null

Nachdem dem Arbeitgeber*innenverband, der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL), in der letzten Tarifrunde eine Gesprächszusage über die Arbeitsbedingungen studentischer Beschäftigter abgerungen wurde, sollte es jetzt, zwei Jahre später, darum gehen, den Tarifvertrag zu verhandeln. Doch obwohl der TdL in der Zwischenzeit die unhaltbaren Zustände mit der Studie schwarz auf weiß vorgelegt wurden und politische Zugeständnisse – teils sogar in Koalitionsverträgen – für einen TVStud in mindestens zehn Bundesländern erreicht werden konnten, blockieren die Finanzminister*innen in dieser Tarifrunde weiter die Verhandlungen. Damit droht sich mit den bis zu 400.000 studentischen Beschäftigten die größte Tariflücke im öffentlichen Dienst fortzusetzen. Auch Andreas Dressel, erster Vorsitzender der TdL und Hamburger Finanzsenator, hat im Januar einen klaren Arbeitsauftrag von der Hamburger Bürgerschaft bekommen. Er soll sich im Arbeitgeber*innenverband für einen TVStud einsetzen. Trotz persönlicher Unterstützungsbekundungen versucht er nun aber, sich aus der Verantwortung zu ziehen. Nachdem Dressel sich zuerst hinter vermeintlich fehlenden Mehrheiten in der TdL versteckt hatte, verwies er jüngst gegenüber dem Hamburger Abendblatt (20. November 2023) und dem Spiegel (27. November 2023) auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zur Schuldenbremse: Der verhängte Ausgabenstopp und die damit »ungelösten finanziellen Herausforderungen in den Ländern« stünden den hohen Forderungen der Gewerkschaften entgegen. Nach dem Motto »Wenn ihr einen TVStud wollt, könnt ihr euch die 10,5 Prozent für die Tarifbeschäftigten abschminken«, versucht er die studentischen Beschäftigten und die Tarifbeschäftigten gegeneinander auszuspielen.

Nach dem Motto ›Wenn ihr einen TVStud wollt, könnt ihr euch die 10,5 Prozent für die Tarifbeschäftigten abschminken‹, versucht Dressel die studentischen Beschäftigten und die Tarifbeschäftigten gegeneinander auszuspielen.

Klar ist jedoch: Gerade der TVStud ist nicht in erster Linie eine Frage des Geldes, sondern des politischen Willens.  Mit der Tarifierung würde der längst überfällige Grundstein für die strukturelle und spürbare Verbesserung der Arbeitsbedingungen studentischer Beschäftigter gelegt werden. Dass die Forderung nach guten und sicheren Arbeitsbedingungen für Hilfskräfte und Tutor*innen auch von Professor*innen und dem wissenschaftlichen Mittelbau mitgetragen werden – und diese sich nicht wie gern behauptet in ihrer Wissenschaftsfreiheit bedroht fühlen – zeigt eine veröffentlichte Solidaritätserklärung, die von mehr als 2.200 Wissenschaftler*innen, darunter über 730 Professor*innen unterzeichnet wurde.

Gewerkschaften stärken, Arbeitskämpfe ausweiten

Dass es nicht die guten Argumente sind, mit denen sich Arbeitskämpfe gewinnen lassen, ist nichts Neues. Im gesamten öffentlichen Dienst ist die Lage bekanntermaßen prekär, auch für die Tarifbeschäftigten. Nicht nur an Hochschulen, auch in anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes fehlt es an Geld, Personal und seitens der Politik an Respekt für ihre eigenen Angestellten. Dabei sollte gerade dieser Bereich ausfinanziert sein und gute, sichere Arbeitsbedingungen bieten. Die Haltung der TdL gegenüber einem TVStud reiht sich ein in eine unsoziale Politik zu Lasten der Beschäftigten, die das Land am Laufen halten. Hinter der aktuellen Sparpolitik der Regierung stehen keine leeren Kassen, sondern politische Entscheidungen, wofür Geld (nicht) ausgegeben wird. Wut und Frustration, die aus Tarifflucht und Privatisierung, Personalmangel und schlechter Bezahlung hervorgehen, teilen viele und fördern zunehmend statusgruppen- und branchenübergreifende Solidarität. Ab dem 8. Dezember soll die vorerst letzte Verhandlungsrunde stattfinden. Im Vorfeld ist mit weiteren Streiks zu rechnen. Auch die studentischen Beschäftigten werden diese nutzen, um den Druck auf die Arbeitgeber*innen zu erhöhen und sie an ihre politischen Versprechen zu erinnern.

Svea Gruber

studiert Geschichte in Hamburg und ist aktiv bei TVStud.

Merle Koch

studiert Soziologie in Hamburg und ist aktiv bei TVStud.