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|ak 655 | Soziale Kämpfe

Ignorant und verharmlosend

Dem Postwachstumsspektrum fehlt ein antifaschistischer Konsens - die politische Rechte weiß das zu nutzen

Von Felix Wilmsen

Hier wird das Abstrakte konkret: In der Lüneburger Heide breiten sich völkische Siedler*innen aus, die an lokalistische Konzepte des Degrowth anknüpfen. Foto: Pixabay/Birgit Röhrs

Im Herbst 2012 schrieb ein gewisser Landolf Ladig in der neonazistischen Zeitschrift Volk in Bewegung, »die Postwachstumsökonomie« lasse sich »mit ihrer Wertschätzung für Regionalität, Vielheit, Unentfremdetheit und ihren Reformideen für ein neues Boden- und Geldrecht mühelos in die Weltanschauung der identitären Systemopposition integrieren.« Ausdrücklich lobt Ladig das Modell des Wachstumskritikers Niko Paech. Dieser setzt unter dem Motto »Befreiung vom Überfluss« auf eine Kombination aus regionaler Selbstversorgung und genügsamen Lebensstilen, um sich von der ökologisch zerstörerischen Wachstumsorientierung loszusagen. Der antiliberale Autor sieht in der Postwachstumsökonomie eine Möglichkeit, dem wachstumsfreundlichen Programm der liberalen Grünen eine »raumorientierte« Volkswirtschaft entgegenzusetzen, um »den ökologischen Auftrag« von »den linken Ökologen zurückzuerobern«. Angesichts der wachstumskritischen Annahme, dass sich Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch schon rein physikalisch nicht absolut entkoppeln lassen, könne ein solches Konzept nicht auf Wachstum ausgerichtet sein. Statt eines globalisierten Wirtschaftssystems brauche es, so Ladig, »eine Vielheit subglobaler, mit gewachsenen Kulturräumen zur Deckung gebrachter Wirtschaftsräume«.

Dank der Sprachvergleiche des Soziologen Andreas Kemper gilt es heute als sehr wahrscheinlich, dass Landolf Ladig ein Pseudonym des Thüringischen AfD-Rechtsaußens Björn Höcke ist. Dieser streitet das ab, bezieht sich aber auch unter seinem tatsächlichen Namen immer wieder auf Paechs Postwachstumsökonomie. Das mag verwundern, weil das Parteiprogramm der AfD Thüringen keinerlei Verdacht auf wachstumskritische Positionen aufkommen lässt. Es ist aber keine Überraschung, dass Höcke sich ausgerechnet bei der suffizienzorientierten Strömung bedient, zu der Niko Paechs Arbeiten gezählt werden, und nicht beim feministischen und kapitalismuskritischen Degrowth-Spektrum. Paechs Texte machen eine solche Vereinnahmung vergleichsweise leicht.

In Paechs Postwachstumsökonomie werden ökologische Zwänge dem Anspruch auf soziale Gerechtigkeit vorangestellt. Gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse, insbesondere Geschlechterfragen, bleiben außen vor. Die Verantwortung für gesellschaftliche Veränderungen liege beim Individuum, das seinen Konsum radikal reduzieren müsse. Eine Avantgarde solle die nötigen Lebensstiländerungen vorleben und sich in parallelgesellschaftlichen Nischen, gestärkt durch wiedererlangte handwerkliche Fähigkeiten, auf den ökologischen Kollaps vorbereiten.

Zu Paechs Postwachstumsökonomie gehören auch Regionalwährungen mit einem negativen Zinssatz, um mit dem Zins einen Wachstumszwang auszuschalten. Paech beruft sich auf den Geldtheoretiker Silvio Gesell, der dieses Schwundgeld 1916 für seine »Natürliche Wirtschaftsordnung« entwickelte. Mit dem Negativzins, der jedes Geldvermögen automatisch reduziert, wollte Gesell für gleiche Bedingungen im sozialdarwinistischen Überlebenskampf sorgen. Historisch erwies sich seine Zinskritik als anschlussfähig für antisemitisches Denken. Dass sich in Paechs Texten kein Wort dazu findet, kommt der defizitären Kapitalismuskritik von Landolf Ladig entgegen: In seinen Augen hat das Ende des Zinsnahmeverbots ein »krebsartiges Wachstum in alle Richtungen« ermöglicht, was ein »Merkmal unserer entarteten Zivilisationsepoche« sei.

Zudem warnt Paech 2017 in der Wochenzeitung Die Zeit davor, globale Gerechtigkeit durch »kulturelle Homogenisierung« herstellen zu wollen, und spricht von einem »kulturzerstörerischen Sog«, den Europas Konsumfreiheiten auf den Rest der Welt ausübten – in seinen Augen eine Fluchtursache. Solche Bilder ähneln dem kulturrassistischen Ethnopluralismus der Neuen Rechten, demzufolge sich global verteilte, »gewachsene Kulturen« nicht vermischen dürfen.

Politisch ist Wachstum in alle Richtungen offen

Die suffizienzorientierte Strömung bereitet feministischen und kapitalismuskritischen Wachstumskritiker*innen Sorgen. Zwar ist Paech bis heute der medial präsenteste Wachstumskritiker im deutschsprachigen Raum, nicht zuletzt, weil er die Ideen der französischen Décroissance-Bewegung ab 2006 als »Postwachstum« bekannt machte. Seither hat sich die Diskussion aber stark ausdifferenziert, und Vertreter*innen anderer Strömungen gehen hart mit der einseitigen Suffizienzorientierung ins Gericht.

Dabei sind Paechs Arbeiten nur ein Beispiel eines grundsätzlichen Problems. Der Begriff Wachstum kann alles Mögliche heißen: Produktionssteigerungen, die Vergrößerung des Durchsatzes von Materie und Energie, die dem globalen Ökosystem bei Produktion und Konsum als Ressourcen entnommen und als Abfall zurückgegeben werden, die Vergrößerung der Nachfrage im »Steigerungsspiel« zwischen Konsumförderung und Statuskonkurrenz – oder die Zunahme der Bevölkerungszahl. Mit diesem breiten Bedeutungsspektrum ist der Begriff nach rechts wie links offen.

Dass die Anschlussfähigkeit einseitig suffizienzorientierter und lokalistischer Ideen nicht abstrakt bleibt, zeigen die völkischen Siedlungsprojekte, die sich in Mecklenburg-Vorpommern und der Lüneburger Heide ausbreiten.

Besonders deutlich wird das beim Thema »Überbevölkerung«. Der viel zitierte US-Wachstumskritiker Herman Daly fällt regelmäßig mit Rufen nach Zuwanderungsstopps und nationalen Bevölkerungsbegrenzungen auf. Aus seiner Sicht ist beides notwendig, um die von ihm angestrebte Steady-State Economy zu verwirklichen. Eine solche stabilisierte Volkswirtschaft, die ihren ökologischen Verbrauch konstant niedrig hält, setze eine stabile Bevölkerungszahl voraus. »Massenmigration« in Länder, deren Bevölkerung nur noch durch Zuwanderung wächst, sei unbedingt zu verhindern. Statt auszuwandern, so Daly, müssten Menschen mit der Situation klarkommen, in die sie hineingeboren werden. Derartige menschenfeindliche Argumente greifen Aktivist*innen der extrem rechten Identitären Bewegung gerne auf und hetzen auf dem neurechten Blog Sezession gegen Geflüchtete und Migrant*innen. So argumentierte Felix Menzel 2015 in einer wachstumskritischen Beitragsreihe, Menschen aus Ländern mit einem niedrigeren Konsumniveau würden im Globalen Norden durch die Übernahme der dortigen Konsummuster einen höheren globalen Gesamtverbrauch verursachen. Und in der Sezession ist in den letzten Monaten zu beobachten, wie die Neue Rechte versucht, das Thema Ökologie zu besetzen. Mehrfach widmet sich der Identitäre Jonas Schick der deutschen Klimapolitik und verweist auf Daly und Paech.

Ein weiteres Einfallstor sind die »lokalen Ökonomien«, die in der Postwachstumsdiskussion wegen ihrer kürzeren Wertschöpfungsketten eine zentrale Rolle spielen. In Verbindung mit Lokalpatriotismus und Autarkiebestrebungen entstehen hier Anschlüsse zu Abschottungspolitiken. Als der Vordenker der französischen Neuen Rechten, Alain de Benoist, 2007 das wachstumskritische Buch »Demain, la Décroissance!« veröffentlichte, versuchte er, über Forderungen nach Deglobalisierung und kulturell homogenen, autarken Regionen den kulturrassistischen Ethnopluralismus in die Postwachstumsdiskussion hineinzutragen. Der französische Wachstumskritiker Serge Latouche war davon so begeistert, dass er sich eine Distanzierung von Benoist verbat und empfahl, seine Einstellung neu zu bewerten.

Dass die Anschlussfähigkeit einseitig suffizienzorientierter und lokalistischer Ideen nicht abstrakt bleibt, zeigen die völkischen Siedlungsprojekte, die sich in Mecklenburg-Vorpommern und der Lüneburger Heide ausbreiten. Die Romantisierung eines gemeinschaftlichen, vormodernen Landlebens, Tierschutz und Veganismus finden sich in der völkischen Bewegung genauso wie in der Umweltbewegung. Das Problem der Anschlussfähigkeit nach rechts betrifft auch eine breite Szene jenseits der Wachstumskritik.

Rechte Vereinnahmungen werden wenig diskutiert

Im deutschsprachigen Raum haben Wachstumskritiker*innen wie Barbara Muraca, Friederike Habermann, Ulrich Brand und Dennis Eversberg wiederholt davor gewarnt, derartige Vereinnahmungen zu unterschätzen. Auch international gab es Auseinandersetzungen mit Herman Daly und Alain de Benoist. So argumentiert der Ökonom Giorgos Kallis aus Barcelona regelmäßig gegen eine vermeintlich ökologische Begründung für Grenzschließungen. Um den französischen Degrowth-Aktivisten François Schneider werden lokale Wirtschaftskonzepte entwickelt, die nicht auf Ausgrenzung hinauslaufen. Der französische Décroissance-Vordenker André Gorz warnte bereits 1987 davor, dass autarke Gemeinschaften für ihre Mitglieder zu Gefängnissen werden können. Auch auf den Degrowth-Sommerschulen, die jährlich auf den Klimacamps zu Gast sind, wird das Thema bearbeitet. Die Nähe des Postwachstumsspektrums zur Klimagerechtigkeitsbewegung zahlt sich hier offenbar aus.

Zugleich ist erkennbar, dass diese Auseinandersetzungen überwiegend von feministischen und kapitalismuskritischen Gruppen aus dem radikaleren Degrowth-Spektrum geführt werden. Diese begreifen die Wachstumskritik häufig als einen möglichen Zugang zu einer strukturorientierten Kapitalismus- und Herrschaftskritik. Im Falle der Klimagerechtigkeitsbewegung ist dieser Zugang auch strategisch gewählt, um gesellschaftlich anschlussfähig zu bleiben. Der Soziologe Dennis Eversberg zeigt, dass es in der systemkonformeren sozialreformerischen Strömung, die mit liberalen Reformen versucht, bestehende gesellschaftliche Institutionen wachstumsunabhängig zu machen, bisher lediglich pauschale Warnungen gibt, sich nicht mit Rechtspopulist*innen einzulassen. Der konservative Wachstumskritiker Meinhard Miegel scheint nur den barbarischen rechtspopulistischen Stil abzulehnen, ohne sich deutlich zu distanzieren. Auch von Niko Paech sind bisher keine Äußerungen zu den rechten Vereinnahmungen bekannt. Eine Befragung der Teilnehmer*innen der 4. internationalen Degrowth-Konferenz, die 2014 in Leipzig stattfand, ergab, dass sich ein gutes Fünftel der Gruppe der »suffizienzorientierten Zivilisationskritik« zuordnen lässt. Diese orientiert sich stark an Paechs Arbeiten und kann als besonders anschlussfähig an rechte Positionen betrachtet werden.

Aktuell ist das Verhältnis vieler wachstumskritischer Strömungen zu den rechten Vereinnahmungen ignorant, naiv oder verharmlosend. Einen antifaschistischen Konsens gibt es nicht. Wohin die fehlende Abgrenzung führen kann, ließ sich bis vor Kurzem in Italien beobachten, wo die wachstumskritische Fünf-Sterne-Bewegung der neofaschistischen Lega eine Regierungsbeteiligung ermöglichte und mit ihr die tödliche Abschottungspolitik des Innenministers Matteo Salvini. Auch die publizistischen Andockversuche der Neuen Rechten sind nicht zu verharmlosen. Was sich streckenweise wie geläufige Wachstumskritik liest, folgt einer Mimikry-Strategie: Das Anpassen der Rhetorik soll die menschenfeindlichen Positionen unter dem Mantel des Gewohnten mittransportieren und normalisieren, bis ein Widerspruch kaum noch möglich ist.

Für eine emanzipatorische Wachstumskritik

Wo sich Wachstumskritik gegen die Aufrechterhaltung einer imperialen Lebensweise im Globalen Norden richtet, die Ungleichheiten und Ausbeutungsverhältnisse erzeugt und reproduziert sowie ökologische und soziale Kosten externalisiert, hat sie als globale Gerechtigkeitsperspektive durchaus ihre Berechtigung. Statt diesen Zusammenhang auf ein individualistisches »Weniger« zu reduzieren und zu entpolitisieren, wird hier mit der Frage nach den Bedingungen für ein gutes Leben für alle die kapitalistische Produktionsweise insgesamt infrage gestellt. Die Stärke einer solchen emanzipatorischen Wachstumskritik liegt darin, das Problem der ausbleibenden absoluten Entkopplung von Ressourcenverbrauch und Wachstum zwar ernst zu nehmen und nicht in blindem Glauben an technologische Lösungen in die Zukunft zu verschieben. Die ökologische Krise wird Kämpfen für soziale Gerechtigkeit aber nicht übergeordnet.

Wo einzelne Menschengruppen und ihre Körper zum ökologischen Problem erklärt werden, lokales Wirtschaften mit rassistischen Ausschlüssen einhergeht oder rückwärtsgewandte Zivilisationskritik die emanzipatorischen Kämpfe marginalisierter Gruppen delegitimiert, muss das gesamte Postwachstumsspektrum hingegen klar Kante zeigen. Andernfalls kann von flucht- und migrationspolitischen oder queer-feministischen Bewegungen, die sich solche Ambivalenzen angesichts der Repressionen eines zunehmend autoritäreren Staates und regelmäßiger Angriffe von rechts nicht erlauben können, nicht erwartet werden, mit wachstumskritischen Gruppen zusammenzuarbeiten.

Nötig ist eine systematische Auseinandersetzung mit der Anschlussfähigkeit wachstumskritischer Annahmen und Positionen im Feld der rechten Ideologien, die sich in einer konsequenten Aufdeckung und Abgrenzung von menschenverachtenden rechten Positionen sowie der aktiven Solidarisierung mit antifaschistischen Initiativen ausdrückt. Das Postwachstumsspektrum braucht einen antifaschistischen Konsens.

Felix Wilmsen

Felix Wilmsen ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am artec Forschungszentrum Nachhaltigkeit der Universität Bremen. Er forscht dort unter anderem zum Thema »Wachstumskritik & Neue Rechte«.