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|ak 660 | Ökologie

Ideen gegen die Apokalypse

Rückschlägen zum Trotz wird erneut über den Green New Deal diskutiert – auch wegen Covid-19

Von Juliane Schumacher

Die wohl prominenteste Fürsprecherin des Green New Deal, Naomi Kein: Sie plädiert dafür, gerade in Krisenzeiten alternative Ideen hochzuhalten. Foto: Columbia GSAPP/Wikimedia, CC BY 2.0

Geld, so scheint es, spielt keine Rolle mehr: Angesichts der Corona-Krise haben Regierungen in den letzten Wochen kurzfristig Summen mobilisiert, die weit über die Rettungsmaßnahmen der Finanz- und Bankenkrise von 2008 hinausgehen. 7,2 Billionen Euro hatten Regierungen laut Internationalem Währungsfonds bis zum 7. April mobilisiert. In Frankreich entsprachen die Ausgaben 14,6 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP), in Großbritannien 15,7 Prozent; an der Spitze stehen Italien und Deutschland mit rund 34 Prozent des BIP.

Das ist dennoch kein Grund zum Jubeln für jene, die für eine höhere Staatsverschuldungsquote und mehr Investitionen argumentieren: Bei den mobilisierten Geldern handelt es sich nicht um Investitionen, die sich im besten Fall durch höhere Umsätze und Steuereinnahmen refinanzieren; die Summen sind zum Teil Steuererlasse, teils Direktausgaben, und zum größten Teil ersetzen sie schlicht einen Bruchteil der Umsätze, die unter normalen Umständen in den Wochen des Lockdowns angefallen wären. Politiker*innen wie Finanzminister Olaf Scholz (SPD) haben bereits angekündigt, dass das Ziel der Schwarzen Null keineswegs aufgegeben werden soll: Ab spätestens 2023 sollen die Schulden wieder abgebaut werden.

Bis dahin wird zunächst noch mehr Geld nötig sein. Denn klar ist: Die Länder, die es sich leisten können, werden – sobald die akute Krise vorbei ist – Konjunkturprogramme auflegen, um ihre Wirtschaft wieder in Gang zu bringen oder die Wirtschaftskrise abzumildern. Und es mehren sich die Stimmen, die fordern, dabei nicht den Status quo wieder herzustellen, sondern die Chance zu nutzen, die Wirtschaft klimafreundlicher zu gestalten. Aktivist*innen und Wissenschaftler*innen haben den US-Kongress aufgerufen, einen »Green Stimulus« auszuarbeiten, die Klimaorganisation 350.org fordert ein »just recovery«-Programm und in Deutschland hat Greenpeace schon im April einen Vorschlag für einen »Grünen Marshallplan« vorgelegt.

Mehr Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit

All diese Vorschläge weisen Überschneidungen zur Idee des Green New Deals auf, die Ende 2018 die Graswurzelbewegung Sunrise Movement in den USA mit Besetzungsaktionen bekannt gemacht hat und die von progressiven Politiker*innen um die junge Demokratin Alexandria Ocasio-Cortez aufgenommen worden sind. Der Versuch, Mehrheiten für einen solchen Plan für mehr Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit zu gewinnen, erlitt zuletzt Rückschläge. Der Favorit der Bewegung, Bernie Sanders, unterlag im Vorwahlkampf um die US-Präsidentschaftswahl, und in Großbritannien musste der Vorsitzende der Labour-Partei, Jeremy Corbyn, der das Konzept ebenfalls unterstützt hatte, nach einer Wahlniederlage zurücktreten.

Mit der Corona-Krise und den geplanten Konjunkturprogrammen ist das Konzept auf einmal wieder auf dem Tisch. Naomi Klein, Autorin und prominente Unterstützerin des Vorschlags, hat in einem Video daran erinnert, dass der Schock einer Krise häufig dazu genutzt wird, um autoritäre und sozial ungerechte Politik durchzusetzen – und dass es nötig sei, alternative Ideen hochzuhalten. Es lohnt sich also gerade jetzt, einen Blick auf Publikationen zu werfen, die im letzten Jahr im Rahmen der Debatten um einen Green New Deal erschienen sind.

Die eigentliche Stärke des Green New Deals bleibt sein Versprechen, über Abwehrkämpfe hinauszugehen.

So stellen beispielsweise die Fridays-for-Future-Aktivist*innen Luisa Neubauer und Alexander Repenning den US-Entwurf für einen Green New Deal in ihrem Buch »Vom Ende der Klimakrise« als eine Möglichkeit vor, »welche konkreten Formen abstrakte Utopien annehmen könnten«. Mehrere Bücher aus den USA und Großbritannien widmen sich ganz dem Green New Deal. Soziale Gerechtigkeit – der wesentliche Unterschied zwischen den Green-New-Deal-Vorschlägen und jenen zur Green Economy – spielt in allen eine zentrale Rolle, am stärksten betont wird sie bei den beiden Titeln aus Nordamerika. »On Fire – The Burning Case for a Green New Deal« von Naomi Klein ist eine Zusammenstellung von bereits erschienenen Artikeln und Essays aus den letzten zehn Jahren, ergänzt um Beiträge zum Green New Deal. Die Texte zeichnen eine politische Entwicklung nach: von der Frage, wie gerecht mit dem Klimawandel umgegangen werden kann, über das Konzept der just transition bis hin zum Green New Deal als einer Antwort auf die Klimakrise, die weder neoliberal noch ökofaschistisch ist.

Klein hat auch das Vorwort für den Band »A planet to win« geschrieben, eine kompakte, stark auf die USA konzentrierte Darstellung von Hintergründen und Forderungen des Green New Deals von Autor*innen des Jacobin-Magazins. Wie in ihrem eigenen Buch macht Klein dort deutlich, dass es im Wesentlichen darum geht, überhaupt wieder Entwürfe für eine lebenswerte Zukunft zu entwickeln: »Fast jede Vision der Zukunft, die wir von Bestseller-Autor*innen oder teuren Hollywood-Produktionen vorgesetzt bekommen, geht davon aus, dass es zu irgendeiner Form von ökologischer oder sozialer Apokalypse kommen wird. Es ist fast, als ob die meisten von uns aufgehört haben, daran zu glauben, dass es eine Zukunft gibt, ganz zu schweigen von einer, die in vieler Hinsicht besser sein könnte als die Gegenwart.« (Übersetzung J.S.).

So könnte Zukunft gehen

So beginnen und beenden die Autor*innen ihr Buch mit durchaus differenzierten Versionen der nahen Zukunft, während sie im Buch selbst die Hauptforderungen des US-amerikanischen Green-New-Deal-Vorschlags ausführen: die Entmachtung der US-Ölindustrie und den Aufbau einer Energieversorgung in öffentlicher oder kollektiver Hand, die Schaffung von Millionen gut bezahlter, »grüner« Jobs durch den Staat, Wohnungsgarantien sowie den Aufbau einer öffentlichen Infrastruktur mit Gesundheitsversorgung, Kinderbetreuung und Freizeiteinrichtungen. Überdies gibt es auch ein Kapitel zu internationalen Aspekten. Am Beispiel von Lithium wird die Gefahr diskutiert, dass die Umstellung auf erneuerbare Energien zu einem neuen Extraktivismus und neuen Ausbeutungsverhältnissen im Globalen Süden führt – ein Problem, dem mit einem veränderten Welthandelssystem und »Solidarität entlang der globalen Lieferketten« begegnet werden soll. Wörtlich heißt es: »Damit der Green New Deal der planetaren Dimension des Klimawandels gerecht wird, muss er in seiner Reichweite internationalistisch sein, er muss neue Solidaritäten und Partnerschaften mit sozialen Bewegungen und Regierungen weltweit schmieden.«

Im Gegensatz zu Büchern aus den USA beruft sich das Buch der britischen Ökonomin Ann Pettifor weniger auf die politische Ebene – Roosevelts New Deal und dessen Umsetzung – als vielmehr auf die theoretischen Arbeiten von Keynes. Während erstere Titel das Thema Finanzierung weitgehend ausklammern, steht dies im Zentrum von Pettifors »The Case for the Green New Deal«. Die Autorin beschäftigt sich weniger mit konkreten Umsetzungsvorschlägen als damit, das Gegenargument der Nicht-Finanzierbarkeit zu entkräften: »Wir können uns leisten, was wir tun können«, heißt es gleich zu Beginn. Unter Rückgriff auf Vorschläge von Keynes argumentiert Pettifor, dass erst der Umbau des globalen Finanzwesens und die Übernahme öffentlicher Kontrolle über das Währungs- und Wirtschaftssystem den Umbau der Wachstumsökonomie auf eine »Steady-state-economy«, eine stationäre Wirtschaft, möglich machten.

Auch wenn die Verfasserin für die Kooperation relativ geschlossener Nationalstaaten argumentiert, bleiben die Vorschläge aller drei Publikationen stark auf die angelsächsische Welt bezogen – die globale Dimension bleibt ein Schwachpunkt des Green New Deals. Es fehlt an Ideen, wie sich die Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen auch in anderen Ländern und Kontexten umsetzen lassen. Insbesondere im Globalen Süden, wo die Staaten nicht über die Wirtschaftskraft verfügen, solche Programme bei entsprechendem politischen Willen auch finanzieren zu können. Dennoch versammeln die Bände eine Vielzahl an Vorschlägen, die als Inspiration dienen können, was machbar oder wünschenswert wäre. Die eigentliche Stärke des Green New Deals bleibt sein Versprechen, über Abwehrkämpfe hinauszugehen – und Beispiele zu geben, wie »Zukunft-Machen« konkret aussehen kann. Für die Diskussionen über die Nach-Corona-Welt ist das wichtiger denn je.

Juliane Schumacher

ist Wissenschaftlerin und Journalistin mit den Schwerpunkten Umwelt, Klimawandel und soziale Bewegungen.

Literatur
Luisa Neubauer und Alexander Repenning: Vom Ende der Klimakrise – Eine Geschichte unserer Zukunft. Tropen Verlag, Berlin 2019.
Naomi Klein: On Fire: The (Burning) Case for a Green New Deal. Penguin books, London 2019. (deutsch: Warum nur ein Green New Deal unseren Planeten retten kann. Hoffmann & Campe, Hamburg 2019).
Ann Pettifor: The Case for the Green New Deal. Verso, London 2019 (deutsch: Green New Deal: Warum wir können, was wir tun müssen. Hamburger Edition, Hamburg 2020).
Kate Aranoff, Alyssa Battistoni, Daniel Aldana Cohen, Thea Riofrancos: A Planet to Win. Why we need a Green New Deal. Verso, London 2019.