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|ak 675 | Ökologie

Die leere Bühne

Was bedeutet der Hungerstreik im Berliner Regierungsviertel für die Strategiedebatte der Klimabewegung?

Von Nico Graack und Louise Wagner

Werden ihre Forderungen der Drastik eines Hungerstreiks gerecht? Aktivist*innen der »letzten Generation« bei einer Pressekonferenz Mitte September. Foto: Flickr/Stefan Müller (climate stuff) , CC BY 2.0

Selbst im fernen Zentralasien schlug die Aktion mediale Wellen: Als wir Mitte September im Camp des »Hungerstreik der letzten Generation« waren, gab Jakob Heinze, einer der Hungerstreikenden, gerade ein Interview für einen kasachischen TV-Sender. In deutschen Medien war der Hungerstreik zeitweise das meistdiskutierte Thema, und in Berlin wusste ohnehin jede*r von dem kleinen Camp an der Spree, in dem im Dauerbetrieb Gespräche mit Passant*innen geführt wurden.

Die Hungerstreikenden hatten zwei simple Forderungen: ein öffentliches Gespräch mit den drei Kanzlerkandidat*innen über die (Un)tauglichkeit ihrer Wahlprogramme zur Bewältigung der Klimakatastrophe und die verbindliche Zusage zu einem Bürger*innenrat, der sich mit Klimamaßnahmen auseinandersetzen soll. Dafür befanden sich einige der Aktvist*innen bis zu 28 Tage im Hungerstreik. Am 23. September ließen die Kandidat*innen das Ultimatum zu einem Gespräch verstreichen. Hier trennte sich die Aktionsgruppe: Henning Jeschke und Lea Bonasera stellten ein neues Ultimatum – SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz sollte bis zum 25. September öffentlich anerkennen, dass Deutschland sich »im Klimanotstand befinde«. Andernfalls würden die beiden Aktivist*innen auch die Wasseraufnahme verweigern. Der Rest der Gruppe rief zum »Aufstand der Vielen« auf. 

Die Aktion mag naiv erscheinen. So gibt es einen Klima-Bürger*innenrat bereits, wie die Tagesschau online süffisant festzustellen wusste. Er wurde im April von der Bundesregierung eingesetzt, und ihm gehören 160 geloste Mitglieder an, die Empfehlungen für die deutsche Klimapolitik machen sollen. Noch naiver mag es anmuten, sich von einem öffentlichen Gespräch mit den Kandidat*innen, bei denen diese ihre von einem ganzen Stab an PR-Expert*innen geschliffenen Phrasen dreschen können, ernsthaft einen materiellen Effekt auf den Wahlkampf oder die künftige Regierung zu erhoffen. 

Doch so naiv, wie es den Anschein hat, war der Hungerstreik nicht. Er war aufgrund des gewählten Ortes und der gewählten Zeit ein starker medialer Hebel. Er bot den Medien das gewünschte Personenspektakel. Die Aktion hat damit eines in Perfektion vollbracht: den Bau einer großen Bühne. 

Mit Sabotage mehr Aufmerksamkeit?

Das ist es, woran so viele Klimaaktionen dieses Jahr gescheitert sind. Ob Ende Gelände, der »August Rise Up« oder der globale Klimastreik von Fridays for Future – mediale Aufmerksamkeit über einen längeren Zeitraum gab es kaum. Auch deshalb wird in der Klimagerechtigkeitsbewegung über die künftige Strategie diskutiert. Weitergehende Aktionsformen als die bisherigen werden dabei als »Ziviler Ungehorsam Plus (+)« verhandelt – gemeint ist in der Regel die nachhaltige Veränderung von Infrastruktur: Sabotage. Davon erhofft man sich die nötige Radikalisierung und Verbreiterung des Diskurses und somit die Erhöhung des politischen Drucks. Die Hoffnung ist, durch eine Aktionseskalation endlich auch politische Handlungen zu provozieren. Der Hungerstreik hat zumindest ersteres erreicht. 

Denn die Aktion machte, wie Heinze zu Recht immer wieder betonte, eines deutlich: Im Kampf für Klimagerechtigkeit geht es um Leben und Tod. Solange die Dringlichkeit der Klimakatastrophe – trotz Dürresommern und Flutkatastrophen – zumindest hierzulande noch nicht für die Mehrheit existenziell geworden ist, muss die existenzielle Dimension von außen kommen: Sie muss inszeniert werden. Sobald sie unmittelbar real ist, ist es längst zu spät. Dafür eignen sich die dramatischen Bilder junger, abgemagerter – und weißer Menschen. Sie erzeugen eine Drastik, die vielleicht pathetisch wirkt, aber der Situation nicht unangemessen ist.

Neben der Aktionsform selbst ist allerdings auch die gesellschaftliche Positionierung der Aktivist*innen als Voraussetzung nicht zu unterschätzen, um in einer rassistischen Gesellschaft eine erfolgreiche Bühne zu bauen. Zur gleichen Zeit des »Hungerstreiks der letzten Generation« haben auch zwei afghanische Menschen in Solidarität mit Verbliebenen in Afghanistan zum Mittel des Hungerstreiks gegriffen, ohne auch nur annähernd eine ähnliche mediale Aufmerksamkeit erhalten zu haben. (nd, 19.8.2021) Zur gesellschaftlichen Positionierung gehört natürlich auch soziales Kapital. Die Hungerstreikenden vor dem Reichstag hatten eine lange Vorbereitungszeit und ein Helfer*innen-Team aus über 40 Menschen sowie eine gut bespielte Präsenz in den sozialen Medien. Der erfolgreiche Bau der Bühne obliegt also nur begrenzt dem direkten Einflussbereich der Bühnenbauer*innen. Durchaus kritisiert werden kann indes, dass die Aktivist*innen die Augen der Öffentlichkeit solidarisch auf verwandte Kämpfe hätten richten können. 

Vielleicht findet sich im Hungerstreik die nötige Vorstufe des »Zivilen Ungehorsams+«. 

Der Einwand, dass es für dieses drastische Mittel zu früh sei, bleibt hingegen abstrakt. Es gebe ja durchaus noch andere Mittel der politischen Einflussnahme, war zuweilen zu hören. Natürlich gibt es die, und sie werden von der Klimabewegung zuhauf benutzt – mit dürftigem Erfolg. Menschen werden für Öl und Gas, für Kobalt und Lithium vertrieben, ausgebeutet und ermordet, während hierzulande die Grünen von der E-Mobilitätswende träumen. Angesichts dieser Lage zu fordern, man solle weiter Petitionen einreichen oder sich auf Straßen und Schienen setzen, grenzt an Zynismus. Man muss die strategischen Vor- und Nachteile durchspielen, aber nur aufgrund der abstrakten Möglichkeit zur Wahl anderer Mittel kann kein Mittel abgelehnt werden. 

Das gilt ebenso für die Sabotage, die zurzeit so viel diskutiert wird – und zeitgleich zu Ende Gelände kürzlich auch in kleinerem Rahmen beim Gasnetz Anwendung fand (»Fridays for Sabotage«). Sie ist natürlich schon lange Teil des Repertoires der Klimabewegung: Brokdorf, Wendland, Hambi, um nur einige der großen Beispiele aus Deutschland zu nennen. Und die Befürworter*innen der Sabotage haben durchaus recht damit, dass solche Aktionen nicht im Vorhinein breiter Zustimmung bedürfen, sondern sie im Gegenteil auch selbst den Diskurs über das Legitime verschieben können. Aber die Dringlichkeit darf uns nicht zum blinden Spektakel der »Propaganda der Tat« verleiten. Eine Sabotageaktion muss sich auch öffentlich als die Notwehr darstellen können, die sie ist. Gerade um den Kampf gegen die Klimakatastrophe als Überlebenskampf sichtbar zu machen, können Aktionsformen wie der Hungerstreik nützlich sein. Vielleicht findet sich in solchen Aktionen die nötige Vorstufe des »Zivilen Ungehorsams+«. 

In einem zentralen Kritikpunkt schließen wir uns rückblickend aber zum Beispiel Stephan Fischer an. Er meint, dass die Forderungen der Drastik eines Hungerstreiks schlechterdings nicht gerecht werden: Sie sind unkonkret und nicht erfüllbar. Das Ende der Aktion zeugt davon: Man musste sich schließlich doch mit dem ohnehin angebotenen Gespräch nach der Wahl zufriedengeben. Wie wir oben dargelegt haben, eignen sie sich aber ausgezeichnet, um die Aufmerksamkeit zu zentrieren. 

Was tun mit der Öffentlichkeit?

Die wichtigere Frage ist dann aber: Was tun mit dieser Aufmerksamkeit? Das Ende der Aktion war offensichtlich nicht vorab geplant. Wäre dieser Schlüsselmoment aber gut genutzt worden, hätten sich damit rückwirkend die naiven Forderungen legitimiert. Die finale Pressekonferenz (PK) zum Verstreichen des Ultimatums hätte nicht unnötig in zwei geteilt werden dürfen. Es gab um 16 Uhr eine PK des »Aufstands der Vielen« und um 18 Uhr eine des trockenen Hungerstreiks. Auch die Ankündigung von Ersteren einige Tage vorher, dass sie an diesem Tag die Aktion beenden würden, ließ den Spannungsbogen erschlaffen. 

Es gab aber durchaus gute Ansätze: Auf der PK des trockenen Hungerstreiks sprachen zwei Aktivist*innen des Globalen Südens über den Klimakampf, der für sie kein Kampf für die Zukunft ist, sondern ihre Gegenwart betrifft. Yi Yi Prue aus Bangladesh und Esteban Servat aus Argentinien. Das begegnet den nicht ganz unberechtigten Vorwürfen, dass die Erzählung der »letzten Generation« eurozentristisch sei. Und es hätte das Potenzial geboten, von nun an konkrete Forderungen mit Blick auf die Koalitionsverhandlungen zu stellen: Ein »Klima-Lieferkettengesetz« zum Beispiel, dass es deutschen Unternehmen zumindest verbieten würde, im Ausland das zu tun, was sie zu Hause nicht dürfen. 

Auch der »Aufstand der Vielen« fasste die nötige Verbreiterung der Aktion ins Auge. Allerdings zögerte man, beispielsweise zu dezentralen Hungerstreiks aufzurufen, obwohl es mit den wiederum kaum beachteten Klima-Hungerstreiks im Ausland durchaus Anknüpfungspunkte gab: In Spanien zum Beispiel hungerten beinahe zeitgleich Grian Cutando und Karen Killeen mit derselben Forderung nach einem Klima-Bürger*innenrat. Und Verknüpfungen zu aufkeimenden Dynamiken, wie zum Beispiel der erfolgsversprechenden Koalition von Arbeiter*innenbewegung und Klimabewegung im Falle des Bosch-Werkes (ak 674), wurden erst gar nicht ausgelotet. 

Aber es ist nötig, die Adressat*in der Kritik unmissverständlich klarzustellen. Die Schneide des Schwertes sollte sich nicht auf die Streikenden richten, ihnen sollte der Griff der antikapitalistischen Staatskritik gereicht werden. Der Hieb sollte gegen ein politisches, ökonomisches und kulturelles System gehen, das sich dahin entwickelt hat, dass Menschen den Tod beschwören müssen, um mit ihren sogenannten Vertreter*innen sprechen zu dürfen und ihre Anliegen ernsthaft diskutieren zu können – mit dem Wissen, dass das Gespräch ins Leere laufen wird, da Kapitalinteressen nun einmal schwerer wiegen als die Bretter einer zusammengezimmerten Bühne vor dem Reichstag. 

Nico Graack

ist freier Autor und Philosoph. Er engagiert sich gegen die sozial-ökologische Marktkatastrophe.

Louise Wagner

hat ihren Master in Soziologie an der Uni Jena abgeschlossen und ist in der Klimagerechtigkeitsbewegung aktiv.