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Gespielte Empathie

Die Kampagne »Freiheit für Yildiz« über das Verfahren gegen die kurdische Feministin Yildiz Aktaş vor dem Kammergericht Berlin

Interview: Paul Dziedzic

Transparent mit der Aufschrift Freiheit für Yildiz und Aktivist*innen mit Tshirts in den Kurdischen Farben
Solidarität kann manchmal einfach nur bedeuten, da zu sein. Die Kampagne Freiheit für Yildiz/Defend Feminism vor dem Gericht in Berlin. Foto: Media from Scratch

Am 27. Februar verurteilte das Kammergericht Berlin die Feministin Yildiz Aktaş wegen »Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland«, gemeint ist die PKK, zu zwei Jahren Haft, die auf Bewährung ausgesetzt sind. Die Kampagne »Freiheit für Yildiz/Defend Feminism« ist eine Vereinigung von Feminist*innen, die den Prozess kritisch begleiteten und Öffentlichkeit erreichen wollten. Mit Lola, Mira und Mika von der Kampagne sprach ak über das Urteil und dessen Folgen.

Wie erging es Yildiz nach dem Urteil?

Lola: Das Gericht hatte Yildiz unter Druck gesetzt, und das Verfahren brachte ihre Erfahrungen von Folter und Knast aus ihrer Kindheit und Jugend in der Türkei wieder hervor. Deshalb war es ihr sehr wichtig, nicht noch mal in den Knast zu kommen. Es war deutlich zu merken, dass sie in dieser Hinsicht vom Urteil erleichtert war. Allerdings ist es eine ziemlich lange Bewährungsstrafe. Was ich bewegend fand war, dass sie noch während des Verfahrens im Gericht Statements zu Hanau abgegeben hat. Ihr Herz sei bei den Familien dort, und bei denen, die in Deutschland täglich Rassismus erfahren. Und es war klar, dass sie weiterhin einen feministischen, emanzipatorischen Kampf führt und daraus die Stärke nimmt, mit dem Urteil umzugehen.

Welches politische Signal geht von diesem Urteilsspruch aus?

Mika: Bei der Urteilsverkündung hat nur der Hauptrichter gesprochen, es gab insgesamt sechs Richter*innen. Und ich fand auffallend, wie humanistisch die Richter*innen wirken wollten. Bei der Urteilsverkündung sprach der Hauptrichter auch über die Zerstörung kurdischer Dörfer und die Verfolgung von Kurd*innen und zeigte Verständnis für das politische Umfeld, in dem die Menschen sich politisieren beziehungsweise dafür, wie die PKK entstanden ist. Doch im Endeffekt kam er auch immer wieder darauf zurück, dass die PKK eine auf Mord- und Totschlag ausgerichtete Vereinigung sei. Einerseits behaupteten die Richter*innen, sie könnten die Biographie und die Entscheidungen von Yildiz nachvollziehen, andererseits müssten sie sie jetzt verurteilen, weil das nun mal so sei. In unserer Kampagne hatten wir auch darauf aufmerksam gemacht, dass die Anklage das Ergebnis der Zusammenarbeit zwischen Deutschland und der Türkei ist. Dass diese Zusammenarbeit trotz der Faschisierungstendenzen der türkischen Regierung und dem, was gerade an der Grenze zur EU abgeht, weiterhin ungebrochen ist, finde ich krass. Und das, obwohl es zum Beispiel aus Belgien ganz andere Urteile zur PKK gibt. (1)

Mira: Es klang so, als hätte das Gericht die individuelle Geschichte der Angeklagten schon verstanden, aber es hat die ganze Geschichte damit völlig entpolitisiert und ist mit der Verurteilung weiterhin Teil der Repression gegen kurdische Selbstorganisation.

Das Urteil ist das erste Verfahren gegen eine kurdische Frau und Vertreterin der Frauenbewegung. Erreichen Strafverfolgungen unter 129b eine neue Dimension?

Mira: Dieses Urteil könnte schon eine Art Präzedenzfall sein. Im Urteilsspruch bezog sich das Gericht auf vergangene Verfahren. Jetzt ist die Frage, was nach diesem Urteil folgt. Es gibt ein größeres Augenmerk auf die Autonome Frauenorganisierung, gleichzeitig war auch klar, dass es im Prozess wenig Wissen über die Organisierung gab. Dann musste Yildiz auch ein Geständnis abgeben. Das war eine der Bedingungen für die Bewährung. Letztendlich war es ein Geständnis, das aus der Telekommunikationsüberwachung abgeleitet war. Aber der Senat nutzte das als Druckmittel. In Zukunft also könnte sich das so fortführen, dass jedes Mal ein Geständnis erwartet wird.

Lola: Ich finde es perfide, wie so getan wurde, als stünde Deutschland für Frauenrechte ein. Gleichzeitig kriminalisieren sie die Organisationsform, in der patriarchale Unterdrückung bekämpft werden kann. Dass eine antikoloniale Befreiungsbewegung wie die PKK kriminalisiert wird, ist nicht neu. Doch es gibt ein neues Augenmerk auf den in der Organisation existierenden feministischen Anspruch, der von Menschen wie Sakine Cansız hervorgebracht worden ist, der für das Recht auf Selbstbestimmung, auf Bildung und ökonomische Teilhabe einsteht. (2) Dass das jetzt auch alles Terrorist*innen sind, geht nicht. Yildiz hat in ihren Erklärungen auch angeführt, wie wichtig es für sie war, starke Frauen wie Sakine als Vorbild zu haben.

Wie schaut ihr auf die Kampagne zurück, auch mit Blick auf Solidarität?

Mira: Was ich als positiv bewerten würde und was uns auch gespiegelt wurde war, dass im Durchschnitt zwischen 20 und 30 Leute den Prozess begleitet haben. Es war total wichtig für Yildiz, dass sie da nicht alleine saß. Viele der Leute kamen auch nicht aus der kurdischen Community und haben die Widersprüche in diesem Verfahren selbst mitbekommen. Da gab es schon eine Wut. Uns wurde auch gesagt, dass unsere Präsenz auf die Richter*innen einen Einfluss hatte.

Lola: Bei dem Urteilsspruch war der Richter wieder einmal auf die Gewaltenteilung eingegangen und betonte, dass es ja ohne eine Verfolgungsermächtigung von der Legislative keinen Prozess gegeben hätte und sich das Gericht nicht als politischer Akteur verstünde. Das klang wie ein Legitimationsversuch und so, als sei er ja nicht der böse Onkel. Yildiz‘ Anwält*innen meinten zu uns, dass die Richter das wahrscheinlich für die Öffentlichkeit, also uns, gemacht haben. Was ich schön fand, war zu merken, wie Solidarität in so kleinen Sachen bemerkbar wird. Yildiz meinte, es sei voll gut, ein Lächeln zu sehen oder zu wissen, dass sie beim Verlassen des Gerichts eine Umarmung kriegen würde. Irgendwann war eine iranische Freundin da, die vor dem Gericht einen Redebeitrag gehalten hat. Und sie meinte, dass es total egal sei, ob alle in allen Details der politischen Positionierung übereinstimmten. Sie sähe dort eine Freundin, die verurteilt werden soll, und deshalb sei sie da. Das ist etwas, was die linke Szene lernen kann. Dass Solidarität manchmal einfach nur bedeutet, da zu sein, und nicht erst einmal Programmpapiere zu schreiben oder zu hinterfragen.

Wie geht es jetzt für euch weiter?

Lola: Ich finde es nach Hanau wichtig, dass es mehr Austausch zwischen verschiedenen Gruppen gibt und wir uns auch stärker mit dem krassen Alltagsrassismus und neuen alten Faschisierungstendenzen beschäftigen. Aus diesem Austausch heraus muss eine neue alltägliche Praxis entstehen, um in Fällen der Repression zusammen stehen zu können.

Anmerkungen:
1) Am 28. Januar 2020 hatte das höchste belgische Gericht geurteilt, die PKK sei keine terroristische Vereinigung, sondern sei als eine Partei in einem bewaffneten Konflikt zu beurteilen und fiele damit nicht unter Anti-Terror-Gesetze.
2) Sakine Cansız war eine PKK-Mitbegründerin. 2013 wurden sie und zwei ihrer Genossinnen in Paris ermordet, wahrscheinlich unter Beteiligung des türkischen Geheimdienstes MIT.