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|ak 718 | Diskussion |Reihe: Funktioniert das?

Funktioniert das? Schulstreiks

Von Yaro Allisat

Man sieht Schüler*innen mit bunten Schildern.
Die wahrscheinlich bekanntesten und größten, aber längst nicht die einzigen Schulstreiks: Fridays for Future. Foto: Jörg Fary / Fridays for Future / Flickr, CC BY 2.0

Ich steckte gerade in der Abiturvorbereitung, als ich mit Tausenden anderen Schüler*innen begann, Unterrichtsstunden zu bestreiken, um zu Demonstrationen von Fridays for Future zu gehen. Massive öffentliche Kontroversen drehten sich vor allem darum, ob Schule schwänzen fürs Klima gerechtfertigt sei oder wir erst mal arbeiten gehen sollten, bevor wir Forderungen stellen. Unsere Bewegung schaffte es damals, das Klimathema in die Öffentlichkeit zu bringen, und ich realisierte zum ersten Mal im Leben, welche Macht wir haben, wenn wir unseren Unterricht verweigern.

Damals wusste ich noch nicht, dass Schulstreiks eine lange Geschichte haben. In Deutschland ist vor allem der Bildungsstreik aus dem Jahr 2009 bekannt, bei dem an seinem Höhepunkt 270 000 Schüler*innen gegen Missstände an Bildungseinrichtungen und strukturelle Probleme im Bildungswesen protestierten. Gegen den Irakkrieg 2003 gingen Hunderttausende Schüler*innen auf die Straße. Auch außerhalb von Deutschland, beispielsweise in Griechenland oder Chile, gehören Schulstreiks bis hin zu Schulbesetzungen zum festen Protestrepertoire.

Mit der drohenden Wiedereinführung der Wehrpflicht, die alle Jugendlichen ab Jahrgang 2008 betreffen wird, könnte diese Protestform wieder mehr in den Fokus rücken. In den vergangenen Monaten hatten vor allem Die-Ins oder Banneraktionen an Schulen gegen Bundeswehrbesuche und die wachsende Militarisierung Deutschlands mediale Aufmerksamkeit erlangt. Die Proteste waren und sind jedoch meist vereinzelt auf eine Einrichtung beschränkt und aktuell wenig bis gar nicht untereinander vernetzt. Den Schüler*innen drohen Ermahnungen bis hin zu Verweisen. Ener Zink musste das am eigenen Leib erfahren. Er ging in München zur Schule und hat dort vor Kurzem sein Fachabitur abgeschlossen. Gemeinsam mit Mitschüler*innen versuchte er, »die Politik dorthin zu tragen, wo wir uns alltäglich aufhalten«, so Zink im Gespräch mit ak. Gemeinsam thematisierten sie Rassismus bei Lehrkräften, marode Schulgebäude, stellten diese in den politischen Kontext von Sozialkürzungen und Rechtsruck und riefen schließlich für den Tag der Kanzlervereidigung von Friedrich Merz lokal zum Schulstreik auf. »Wir haben zwar nicht die gleiche Macht, wie streikende Arbeiter*innen«, so Zink, »aber wir sind die Arbeitskräfte von morgen. Mit einem Schulstreik schaffen wir also trotzdem eine Unterbrechung in den normalen Abläufen des kapitalistischen Produktionsprozesses.«

Mit der drohenden Wiedereinführung der Wehrpflicht, die alle Jugendlichen ab Jahrgang 2008 betreffen wird, könnte diese Protestform wieder mehr in den Fokus rücken.

Grundsätzlich ist die Schulpflicht in den Schulgesetzen der Länder geregelt. Neun bis zehn Jahre lang sind Kinder und Jugendliche – je nach Bundesland – verpflichtet, am Unterricht teilzunehmen. Zur Durchsetzung können die Schulen Verweise, den Ausschluss vom Unterricht oder sogar Ordnungswidrigkeitsverfahren aussprechen. Demgegenüber steht das Erziehungsrecht der Eltern, die entscheiden, ob ihr Kind an einer Demonstration teilnehmen darf oder nicht. Auch Kinder selbst haben grundsätzlich ein Demonstrationsrecht, das gesetzlich nicht nach festen Altersgrenzen geregelt ist. Da es sich bei Schulstreiks rechtlich weder um einen Boykott noch einen Streik handelt, greifen jedoch keine rechtlichen Schutzmechanismen. Vor allem rund um die FFF-Bewegung entschieden Gerichte, die die Schulpflicht, das Erziehungs- und das Demonstrationsrecht gegeneinander abwogen, je nach Einzelfall unterschiedlich.

Im Fall von Ener Zink und seinen Mitschüler*innen versuchte die Schule, sie »an den Pranger zu stellen«, wie er sagt. Direktor und Lehrkräfte hätten immer wieder mit dem Schulrauswurf gedroht. Kurz vor dem Abitur rechnete man ihm »auf fadenscheinigem Weg« einen Fehltag an, wodurch er fast die Abiturzulassung verloren habe. Gemeinsam mit seinen Mitschüler*innen und der Gewerkschaft ver.di wehrte Ener sich erfolgreich dagegen.

Auf lange Sicht zeigt die Geschichte, dass Schulstreiks nur dann politische Wirkung zeigen, wenn sie sich nicht auf einzelne Orte beschränken, sondern deutschlandweit oder sogar international vernetzt und organisiert sind und eine Massenbasis haben. Diese Organisierung fehlt aktuell den zumeist antimilitaristischen Schüler*innenprotesten. Getragen werden sie oft von kommunistischen und sozialistischen Gruppen, wie die Jugend-gegen-Musterung-Kampagne des Studierendenkollektivs oder die Kein Werben-fürs-Sterben-Aktionen der Internationalen Jugend. Ideologisch muss der Protest also noch deutlich an Breite gewinnen und auch weniger politisierte Schüler*innen erreichen. Sollte demnächst tatsächlich das neue Wehrpflichtgesetz eingeführt werden, das einen verpflichtenden Fragebogen für Jugendliche mit männlichem Geschlechtseintrag vorsieht – für Personen mit weiblichem Geschlechtseintrag ist es optional –, könnten Schulstreiks ein wirksames Mittel des Widerstands gegen diesen Grundstein der aktuellen deutschen Aufrüstungspolitik sein. 

Yaro Allisat

ist freier Journalist und aktiv in der Klimagerechtigkeitsbewegung und bei der Refugee Law Clinic Leipzig als Berater im Asyl- und Aufenthaltsrecht.