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Das große Schnüffeln

Auf der Suche nach einer terroristischen Vereinigung ist die Hamburger Polizei auf der falschen Fährte

Interview: Carina Book

Am Samstag, den 12. September, fand in Hamburg eine Demonstration gegen das 129a-Verfahren statt. Foto: Taro Tatura

Seit den Protesten gegen das G20-Treffen in Hamburg 2017 steht eine Gruppe immer wieder im Fokus der Repression: der Rote Aufbau Hamburg. Mit der aktuellen Episode wird eine neue Dimension erreicht. Gegen die Gruppe läuft ein Verfahren wegen Bildung einer »kriminellen« (Paragraf 129) beziehungsweise »terroristischen Vereinigung« (Paragraf 129a). Im Interview berichtet der Sprecher des Roten Aufbaus Halil Simsek, was bisher bekannt ist.

Selten ist es wirklich zu einem Gerichtsprozess gegen Linke nach Paragraf 129 gekommen. Der Paragraf 129 gilt ja als Schnüffelparagraf. Habt ihr schon einen Überblick darüber, inwieweit ihr ausgespäht wurdet und seit wann?

Halil Simsek: Laut Springerblatt »Die Welt« haben die aktuellen Ermittlungen im November 2019 angefangen. Wir sind aber seit den G20-Protesten im Fokus der Behörden, innerhalb der letzten drei Jahre waren sie mich mittlerweile drei Mal besuchen, nun zwei Mal mit dem SEK. Wir gehen davon aus, dass wir aber schon länger beobachtet werden. So wollte man uns einen Angriff auf die Lerchenwache im Jahr 2009 in die Schuhe schieben und Leute wurden observiert. Der frühere Verfassungsschutzchef Manfred Murck hat schon im Jahr 2011 auf der Pressekonferenz für den VS-Bericht 2010 seinen Unmut über unsere Vorgängergruppe Rote Szene Hamburg kundgetan und meinte, dass sich da etwas Giftiges zusammenbraut. Naja, giftig sind wir immer noch und die Ermittlungsbehörden haben wohl immer noch keinen richtigen Durchblick.

Gegen wen richten sich die Ermittlungen? Wer soll die kriminelle Vereinigung sein? Der Rote Aufbau? Oder wurde da etwas anderes konstruiert?

Das aktuelle Ermittlungsverfahren richtet sich gegen 22 Beschuldigte. Diese sollen Mitglieder des Roten Aufbau Hamburgs sein und damit eine kriminelle bzw. terroristische Vereinigung gebildet haben. Sie wollen damit die ganze Struktur kriminalisieren. Spannend ist aber, dass es auch willkürlich irgendwelche Leute trifft. Manche von ihnen kennen wir nicht und andere sind nur befreundet mit Leuten. Das lässt wiederum vermuten, dass die Ermittlungsbehörden ganz schön im Dunkeln tappen und gar nicht so viel über uns wissen. Ob das so stimmt, wird sich aber noch zeigen. Wir gehen von weiteren Ermittlungen und Repressionswellen aus.

Halil Simsek

ist Aktivist und Sprecher vom Roten Aufbau Hamburg. Der Rote Aufbau Hamburg ist eine revolutionäre, kommunistische Gruppe, die aus der Roten Szene Hamburg entstanden ist. Sie ist in der bundesweiten Plattform Perspektive Kommunismus organisiert. Unter dem Motto »Die Spiele der Reichen verhindern« engagierte sich die Gruppe in der Vergangenheit gegen die Hamburger Olympiabewerbung. Sie beteiligten sich an der Demonstration gegen TTIP und CETA und mobilisierten mit der Kampagne »G20? Klar zum Entern!« gegen den G20-Gipfel.

Berichten zufolge hat es ja auch in anderen Bundesländern Hausdurchsuchungen gegeben. Steht das mit eurem Verfahren in Zusammenhang?

In Schleswig-Holstein, Niedersachsen und NRW gab es jeweils eine Hausdurchsuchung. Betroffen sind Personen, die die Behörden uns zurechnen oder die Wohnungen ihrer Eltern. Von der aktuellen Repression ist aber nur unsere Hamburger Ortsgruppe betroffen, die Gruppen in Burg/Magdeburg und NRW betrifft das Verfahren nicht.

Es ist die Rede von Paragraf 129 und sogar 129a. Wird gegen zwei unterschiedliche Organisationen ermittelt oder was bedeutet das?

Wir gehen davon aus, dass sie wegen Paragraf 129a ermitteln, jedoch selbst nicht so überzeugt davon sind, dass wir eine terroristische Vereinigung sind. Der Hauptvorwurf ist ein Brandanschlag auf die Privatautos des Polizeidirektors der Task-Force Drogen. Das ist aber so konstruiert, dass sie wohl selbst nicht davon ausgehen, dass wir es waren. Aber als Vorwand hat es ihnen gereicht und sie haben unter diesem Tatvorwurf ja auch noch viel mehr Befugnisse, weshalb sie ja auch erstmal immer höher stapeln.

Was hat das alles mit dem sogenannten Rondenbargverfahren zu tun?

Uns wird zur Last gelegt, dass wir maßgeblich an dem Anti-G20-Camp im Hamburger Volkspark beteiligt waren und das für alle direkten Aktionen die Basis gebildet hätte. Auch sollen wir an der Demo im Rondenbarg beteiligt gewesen sein, die auch vom Camp, wie die anderen Finger, losging. Wir gehen nun davon aus, dass sie mit unserer Kriminalisierung auch die Proteste im Rondenbarg treffen wollen. Gleichzeitig nutzen sie dies wiederum für unser Paragraf 129a-Verfahren. Gegen viele der Hamburger Betroffene im Rondenbarg-Verfahren wird nun auch im Paragraf 129a-Verfahren gegen den Roten Aufbau Hamburg ermittelt und Hausdurchsuchungen gemacht.

Mit einem Beitrag bei Aktenzeichen XY wurde ja im Prinzip eine Hexenjagd auf euch gestartet. Wie geht ihr damit um?

Wie schon anfangs erwähnt, ist Repression nichts neues für unsere Strukturen. Zwar sind die aktuellen Angriffe in ihrer Qualität und Quantität schon neu für uns, aber wir müssen als Bewegung wieder lernen, dass Repression zur politischen Arbeit dazu gehört, wenn wir mehr wollen, als alle vier Jahre ein Kreuz zu machen. Wir verstehen Repression nicht als etwas Individuelles, sondern als Angriffe des Staates gegen unsere Politik im Allgemeinen. Klar trifft Repression erst mal Einzelpersonen, aber wir müssen dennoch einen kollektiven Umgang damit finden. Dies geht wie so häufig nur über Solidarität. Konkret bieten wir allen Betroffenen unsere Hilfe an, das schließt juristische, persönliche wie finanzielle Unterstützung ein. Die Klassenjustiz will die Betroffenen häufig gegeneinander ausspielen, wir können diesem Treiben nur solidarisch entgegentreten und uns politisch verteidigen, daher raten wir allen Personen, sich von politischen Anwält*innen vertreten zu lassen, weil diese das große Ganze im Blick behalten.

Was bedeutet das für dich persönlich, so im Visier zu sein?

Es ist kein schönes Gefühl, wenn einen viele Polizist*innen in Hamburg kennen. Man wird auf Demos immer schnell ausgemacht und muss sich generell immer zurückhalten. Mittlerweile stehe ich seit vier bis fünf Jahren mit richtigem Namen im Verfassungsschutzbericht. Aber wir brauchten für die G20-Proteste ein Gesicht, das unsere Strömung in der Öffentlichkeit vertritt. Deswegen habe ich mich entschieden, das zu machen. Die negativen Folgen waren mir damals so nicht bewusst, aber wenn man es ernst meint mit linksradikaler Praxis, dann muss man eben auch das in Kauf nehmen. Die Cops sind mir gegenüber besonders hart unterwegs. Bei der aktuellen Hausdurchsuchung hat das SEK böswillig in allen Zimmern mit dem Rammbock auf den Boden geschlagen und das Laminat überall beschädigt. So war ich zehn Tage nach der Hausdurchsuchung immer noch damit beschäftigt, die Schäden zu beseitigen. Für mich ist Politik kein Hobby oder Jugendrevolte, sondern durchzieht mein ganzes Leben. Auch, wenn sie versuchen, mich durch Repression zu zermürben, wird ihnen das nicht gelingen, weil ich zumindest politisch sehr konsequent bin und mich nicht ins Bürgerliche zurückziehen werde. Rückschläge im politischen und privaten Feld bin ich gewohnt. Das Geheimnis ist, einfach aufzustehen und weiterzumachen. Es hilft, treue Genoss*innen an meiner Seite zu haben.

Sind Aktionen geplant?

Aktuell organisieren wir Demonstrationen, aber wir wissen, dass sich diese Ermittlungen über ziemlich lange Zeit ziehen werden. Daher werden wir wohl eine bundesweite Kampagne mit verschiedenen politischen Antirepressionsgruppen zu dem Paragrafen 129 organisieren. Es ist schön, dass sich aktuell viele für uns interessieren. Wir müssen es aber schaffen, die Aufmerksamkeit und Solidarität der Bewegung über mehrere Jahre auf dieses Thema zu lenken. Es ist die einzige Möglichkeit, um uns gegen diese Angriffe zu wehren. Neben der politischen Aufmerksamkeit brauchen wir auch ziemlich viele Spenden, weil neben den Kosten für Anwält*innen auch Laptops, Handys und sonstige technische Geräte ersetzt werden müssen, die von den Cops eingesackt wurden – denn viele der Betroffenen haben keine Kohle, das alles einfach selbst zu bezahlen.

Carina Book

ist Redakteurin bei ak.