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Erfüllung von Investorenwünschen

Wie der rot-grün-rote Berliner Senat den Neubau des Karstadt-Gebäudes am Hermannplatz durchsetzen will – und Verdrängung in Kauf nimmt

Von Niloufar Tajeri

Mit ihm hat der Signa Konzern Großes vor: das Karstadt-Gebäude am Neuköllner Hermannplatz auf einer Aufnahme von 2011. Aber auf wessen Kosten? Foto: Jörg Zägel/Wikimedia, CC BY-SA 3.0

Bekanntheit schafft Frequenz – ein banaler Slogan aus der Immobilien- und Handelsbranche bildet den Ausgangspunkt eines Projektvorhabens zwischen den Stadtteilen Kreuzberg und Neukölln. Es hat sich in den letzten drei Jahren als einer der großen Konflikte in der Berliner Stadtentwicklung erwiesen. Der österreichische Immobilienkonzern Signa Holding will am Hermannplatz einen Neubau mit einer Fassaden-Replik des historischen Karstadt-Gebäudes von 1929 errichten. Das stieß auf Kritik seitens der Zivilgesellschaft und auf eine gespaltene Haltung in der Politik. 

Dabei prallt der Traum des Konzerns, der durch die monumentale Architektur Bekanntheit, Frequenz, mehr Fläche und damit Profit schaffen will, mit der Realität vor Ort zusammen: Verdrängung, Mietenwahnsinn, Armut und soziale Ungleichheit. Der neue Berliner Senat verankerte trotz langjährigen Protests die Umsetzung des Projektes samt Umgestaltung des Hermannplatzes im Koalitionsvertrag. Der neue Senator für Stadtentwicklung und Wohnen, Andreas Geisel (SPD), möchte sogar in den ersten 100 Tagen der neuen Regierung einen vorhabensbezogenen Bebauungsplan aufstellen. 

Dabei lief die öffentliche Auftaktveranstaltung zur Grundlagenermittlung für die Erarbeitung eines Masterplanverfahrens im November letzten Jahres katastrophal für die damals verantwortliche Senatsverwaltung. Das Verfahren wurde durch eine fragwürdige Absichtserklärung in Gang gesetzt, die im ersten Pandemie-Jahr zwischen dem Konzern und den Berliner Bürgermeister*innen Michael Müller (SPD), Ramona Pop (Die Grünen) und Klaus Lederer (Die Linke) unterzeichnet worden war. Darin wurde auf Druck der Signa Holding grünes Licht für die Bauprojekte Signas u.a. am Hermannplatz gegeben, um im Gegenzug einen temporären Erhalt von drei Karstadt-Filialen zu garantieren. Der Konzern hatte ursprünglich sechs Standorte in Berlin schließen wollen.

Dass das keine gute Grundlage für einen Beteiligungsprozess ist, bekamen die Verantwortlichen der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen vor Ort zu spüren. Die damalige Staatssekretärin Wenke Christoph (Die Linke) und die Verwaltungsmitarbeitenden wiederholten gebetsmühlenartig, dass das Verfahren »ergebnisoffen« sei, dass das Vorhaben von Signa ein »Investitionsprojekt« sei und »Beteiligung« ernst genommen würde für eine »gemeinwohlorientierte« Stadtentwicklung – und dass die Absichtserklärung in diesem Verfahren keine Rolle spiele. Die Anwohnerschaft hätte hingegen die Möglichkeit, Wünsche, Ideen und Fragen einzubringen. Die Reaktion der fassungslosen Anwohnenden lässt sich mit einem Zitat zusammenfassen: »Ihr spielt hier ›Wünsch‘ Dir was‹, obwohl schon ganz viel entschieden wurde.« Die Menschen fühlten sich »für absolut dumm verkauft«.  

Der Senat agiert am Hermannplatz als ideeller Gesamtkapitalist.

Vereinnahmung des Protestes

Die aufgeheizte Stimmung ist auf drei Jahre Berieselung von realitätsfremden Versprechen und Konzern-PR zurückzuführen. Die von Signa initiierte Kampagne »Nicht ohne Euch!« wurde als Antwort auf zivilgesellschaftlichen Protest und Organisierung konzipiert. Die Strategie besteht darin, den Kritiker*innen durch Vereinnahmung den Wind aus den Segeln zu nehmen: Kritikpunkte werden aufgegriffen, angeeignet und in die eigenen Narrative integriert. Ein Neubau ist ökologisch irrsinnig – für Signa kein Problem, plötzlich ist er nachhaltig, recycelt, hat Bäume und eine Solaranlage auf dem Dach und spart Energie! Beton ist ein Klimakiller – ruck zuck wird die Fassade mit Ziegeln geplant! Das Projekt bringt Verdrängung mit sich – eine Presseerklärung später gibt es einen Deal mit einem Kita-Betreiber und einer landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft (für bereits bestehende Wohnungen)! 

Und wie reagierte Signa auf die Kritik am Abriss? Es wurde versprochen, auf das komplette Niederreißen zu verzichten, den Rohbau zu erhalten und mit Holz aufzustocken. Es bleibt jedoch dabei: weiterhin eine monumentale Architektur als Profitmaschine und Machtdemonstration. Und es soll ein Großteil des Gebäudes weiterhin abgerissen und die wertvolle Ressource Holz zum Einsatz kommen. Für ein klassisches Verdrängungsprojekt. Abgesehen davon, dass Signas Strategie klassisches Greenwashing ist, gibt es auch keine Verbindlichkeit für den Konzern. Holz, Beton, Abriss oder kein Abriss sind keine Maßnahmen, die in einem Bebauungsplan festgeschrieben werden können. Nicht verhandelbar scheint nur, dass Büros entstehen müssen, damit sich das Projekt für Signa lohnt.

Diese Entwicklung wurde über drei Jahre hinweg von der Initiative Hermannplatz immer wieder skandalisiert und mit Protesten und Aktionen begleitet. So konnten Anwohnende überhaupt erst informiert und alarmiert werden.

Auf der Veranstaltung im November erreichte die negative Stimmung einen Höhepunkt, als die Verantwortlichen am Ende der Veranstaltung auf Nachfrage preisgaben, dass die Planungsbefugnis vom Senat an sich gezogen und dem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg entrissen wurde. Im Anschluss an diese Auftaktveranstaltung fanden unter Ausschluss der Öffentlichkeit fünf »Zielgruppenwerkstätten« innerhalb von zwei Wochen statt, die die Ziele, Themen und Erfordernisse für eine Planung am Hermannplatz definieren sollten. Auch die Onlinebefragung auf »mein.berlin.de« wurde innerhalb dieser kurzen Zeit abgewickelt. 

Jetzt aber möchte die neue Senatsverwaltung von Andreas Geisel alles noch schneller über die Bühne bringen: mit einem »vorhabensbezogenen Bebauungsplan«. Dieses hochproblematische Planungsinstrument ist auf die rasche Umsetzung von Investorenwünschen ausgelegt, die eine gerechte Abwägung zwischen öffentlichem und privatwirtschaftlichen Einzelinteressen gänzlich verhindert. Hinzu kommt: Vorhabensbezogene Bebauungspläne erlauben viele Verfahrensbeschleunigungsinstrumente, mit denen eine Beteiligung weiter ausgehebelt werden kann.

Besänftigung und Ablenkung

Es war der Widerspruch zwischen Rhetorik und dem eigentlichen Handeln der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen, der die Anwohnenden im November aufbrachte. Sich für eine gerechte Wohnungspolitik und gemeinwohlorientierte Stadtentwicklung einzusetzen ist offensichtlich nicht Aufgabe des Senats.

Mit der neuen Regierung wird das noch deutlicher. Der Stadtentwicklungsplan Zentren, der für die Rechtfertigung eines Masterplanverfahrens am Hermannplatz angeführt wird, ist klar auf Aufwertung und Vereinheitlichung der Zentren als eine Form der Wirtschaftsförderung angelegt. Es geht darum, die räumlichen Rahmenbedingungen für den Immobilienmarkt und Handel zu verbessern und Aufwertungsdynamiken in der Stadtentwicklung in Gang zu setzen. Dazu gehören maßgeblich der Umbau und die Aufwertung von Straßen und Plätzen. Diesem und auch dem aktuellen Senat ist nicht zuzutrauen, dass sie einen sozialverträglichen und ökologischen Stadtumbau verfolgen. Denn sie hinterfragen die Wachstumslogik nicht – neue Stadtmöblierung und aufgehübschte Plätze und Gebäude werden uns weder vor sozialer Ungerechtigkeit noch vor der Klimakatastrophe bewahren. 

Der Senat agiert am Hermannplatz als ideeller Gesamtkapitalist: Es gilt, die Interessen von Wachstum und ständiger Auf- bzw. Verwertung voranzubringen – und dabei dem eigenen Handeln – in diesem Fall sehr ungeschickt – einen demokratischen und gemeinwohlorientierten Anstrich zu geben. Eine Kritik an Beteiligungsprozessen sollte hier nicht als Kritik an Formaten und Details missverstanden werden. Es geht um eine generelle Kritik der staatlichen Organisation von Raum und Ressourcen. Beteiligung ist darin lediglich ein Kommunikationsformat zur Besänftigung und Ablenkung der Betroffenen. Sie lenkt ab, darüber nachzudenken, was eine diverse, komplexe und widersprüchliche Stadtgesellschaft sein soll. Sie lenkt davon ab, Wege zu finden, das Wachstumsdogma in Frage zu stellen und über eine gerechte Organisation von Räumen und Ressourcen nachzudenken. 

Die Signa Holding

Zur Signa Holding des österreichischen Investors René Benko gehören neben vielen ikonischen Einzelimmobilien wie dem Chrysler-Gebäude in New York oder dem KaDeWe in Berlin europaweit mehrere Warenhauskonzerne. Neben dem Galeria Karstadt Kaufhof-Konzern, der schweizerischen Globus-Warenhauskette und dem italienischen Rinascente besitzt Signa signifikante Anteile an der britischen Luxus-Kaufhauskette Selfridges. Am Hermannplatz verhalf das Beratungsunternehmen Joschka Fischer & Company dem Signa-Konzern zu den notwendigen politischen Kontakten und Netzwerken auf Bezirks- und Senatsebene. Eine PR-Strategie für die Außenwirkung ließ sich Signa von der PR-Agentur »StoryMachine« erarbeiten. Gegründet u.a. vom Ex-Bild-Chefredakteur Kai Dieckmann rückte ihr »Social-Media-Lobbyismus« das Unterfangen am Hermannplatz in ein mildes Licht. 

Eine der großen Verfechterinnen des Projekts, Franziska Giffey (SPD), ist nun Regierende Bürgermeisterin, die neue Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt ist als konservative Rekonstruktions-Befürworterin bekannt und Andreas Geisel für Razzien und Schwerpunkteinsätze der Polizei in Neukölln. Mit ihnen in den politisch und strategisch wichtigen Positionen könnte der vorhabensbezogene Bebauungsplan tatsächlich in die Wege geleitet werden, auch wenn sich wieder Kritik aus den beiden Koalitionsparteien der Grünen und Linken regt. Das in den ersten 100 Tagen des neuen Senats zu erledigen, wäre nach einem so konfliktreichen stadtpolitischen Konflikt ein Skandal, der dem autoritären Planungsverständnis der Berliner SPD eine neue Qualität gibt. 

Zumindest sind jetzt die Fronten geklärt, was mit einer parteilinken Senatsverwaltung vorher nicht der Fall war. Die Strategie müsste jetzt sein, viel stärker in die unterschiedlichen Communities hineinzuagieren und sich enger mit anderen Initiativen zu vernetzen. Denn eine Initiative allein kann hier nicht mehr viel bewegen. Es gilt, sich solidarisch zusammenzutun, sich nicht mehr ablenken zu lassen und sich stattdessen damit zu beschäftigen, wie der diasporische Raum Hermannplatz zu schützen und zu verteidigen ist – und wie wir Versorgung abseits von Warenhäusern in Immobilienkonzernhand organisieren müssen.

Niloufar Tajeri

ist Architektin und Stadtforscherin in Berlin. Sie ist Mitbegründerin der Initiative Hermannplatz und stadtpolitisch aktiv. Sie lehrt und forscht zu den Themen Postwachstum, urbane Aufstände und strukturellem Rassismus in der Architektur- und Planungspraxis.