analyse & kritik

Zeitung für linke Debatte & Praxis

|Thema in ak 664: Brandanschläge

»Die Angriffe kommen aus dem Nichts«

Im Bremer Umland verüben Unbekannte regelmäßig Anschläge auf Unterkünfte und Geschäfte

Von Carina Book

Viele in Gnarrenburg solidarisierten sich mit den Betroffenen in der Kampagne »Wir sind alle Hexenkeller«. Foto: Mimis Erbe

Während die Stadt Bremen mit einer Serie rechter Drohschreiben (23 Drohbriefe im ersten Halbjahr 2020), einem Brandanschlag auf ein Jugendzentrum (16. Februar 2020) und einer Bombendrohung gegen eine Moschee (19. Februar 2020) überzogen wird, brennen im Bremer Umland immer wieder migrantisch geführte Geschäfte oder Unterkünfte von Geflüchteten. Manchmal hinterlassen die Täter Hakenkreuze und rechte Hassparolen, fast immer wird der Tod von Anwohner*innen in Kauf genommen. Die Polizei sieht keine Zusammenhänge zwischen den Taten und vermutet keine Brandserie. Bisher wurde kein Täter ermittelt.

Gnarrenburg

Als im Dezember 2019 neue Betreiber das Restaurant »Hexenkeller« in Gnarrenburg übernahmen, lief erstmal alles ziemlich gut. Erst als die vier Betreiber, die vor fünf Jahren aus Syrien geflohen waren, begannen arabische Speisen anzubieten, kamen Probleme auf. Zunächst gab es zunehmend schlechte Bewertungen im Internet, dann kamen merkwürdige Anrufe. Dennoch hätte niemand mit dem gerechnet, was in der Nacht auf den 23. Juli 2020 geschah: Mitten in der Nacht ging das Restaurant in Flammen auf. Die Bewohner*innen der über dem Restaurant liegenden Wohnung konnten sich noch rechtzeitig in Sicherheit bringen, doch von dem einstigen Restaurant blieb nur noch eine Brandruine. An der Wand prangte ein frisch gesprühtes Hakenkreuz. Schnell stellte die Polizei fest, dass es sich um eine Brandstiftung handelte. Ein rassistisches Motiv wurde nicht ausgeschlossen.

Die Betreiber posteten am nächsten Tag auf Facebook: »Liebe Gnarrenburger, wir sind erschüttert, dass man uns sowas antut. Wir hoffen, dass wir schnellstmöglich wiedereröffnen können. Aber bitte lasst eure Unterstellungen sein. Ihr macht es uns dadurch nicht leichter. Euer Hexenkeller Team.« Welche Unterstellungen? In der Gnarrenburger Dorfgemeinschaft hatte es eine Menge Gerede gegeben: »Wahrscheinlich hat die Konkurrenz das Restaurant angezündet.« »Wahrscheinlich war es Versicherungsbetrug.« »Und außerdem war das Hakenkreuz falsch herum gemalt, das kann kein Nazi gewesen sein.« »Nazis hier in Gnarrenburg? Unmöglich!« Unterstellungen, bei denen scheinbar völlig vergessen wurde, dass Gnarrenburg schon häufiger Aktionsfeld von Neonazis wurde.

2005 wurden zunächst zwei Rechtsrock-Konzerte in Gnarrenburg verhindert. Kurz darauf unternahmen Rechte den Versuch, ein Schützenhaus mitsamt Schießstand zu kaufen und daraus ein Schulungszentrum zu machen. Nur durch eine Initiative, die das Haus selbst kaufte und in dem Haus ein Kulturzentrum eröffnete, konnte dies verhindert werden. Am 17. Februar 2018 fand in Karlshöfen, einem Ortsteil von Gnarrenburg, ein klandestin organisiertes Rechtsrock-Konzert statt – organisiert von der NPD. Immer wieder tauchen Hakenkreuzsprühereien und andere Nazisymbole in Gnarrenburg und dem Umland auf. »Die Angriffe kommen aus dem Nichts. Mal gibt es irgendwo Nazi-Symbole, mal gibt es Bedrohungen, aber kein offenes Auftreten«, sagte ein Anwohner, der sich auch in der Solidaritätsgruppe rund um die Betreiber des Hexenkellers engagiert. »Wir wollen den Nazis zeigen, dass sie in Gnarrenburg eben nicht alles machen können. Wenn Leute zu lange Schweigen, wird das von den Rechten als Zustimmung bewertet.« In vielen Geschäften in Gnarrenburg hängen seither Solidaritätsplakate mit der Aufschrift: »Wir sind alle Hexenkeller«. Auch eine Spendensammlung wurde angestoßen. Bisher sind schon 6.300 Euro für einen Neuanfang zusammengekommen.

Beverstedt

Knapp einen Monat nach dem Brand in Gnarrenburg warfen unbekannte Brandstifter am 20. August 2020 einen brennenden Gegenstand durch ein auf Kipp stehendes Fenster eines Mehrfamilienhauses in Beverstedt. In dem Raum befand sich ein 30-jähriger Mann, der zum Zeitpunkt der Brandstiftung schlief. Er konnte das Haus unverletzt verlassen. Die Polizei sah »keine Hinweise auf eine fremdenfeindliche Tat.«

Syke

Ein ganz ähnlicher Fall wie in Gnarrenburg ereignete sich im 50 km entfernten Syke. Das Restaurant »Martini« brannte am 13. Februar 2020 fast völlig aus. Auch hier waren noch sechs Bewohner*innen in den darüberliegenden Wohnungen, die nur durch großes Glück unverletzt blieben. Auch hier: Hakenkreuze an der Außenwand und die Naziparole: »Ausländer raus.« Auf Nachfrage gibt die Polizei Rotenburg an: »Wir sehen derzeit keine Verbindung zwischen den Taten und vermuten daher auch keine Brandserie.«

Ganderkesee

Am 14. Oktober 2020 verübten bislang Unbekannte einen Brandanschlag auf eine migrantisch geführte Cocktailbar in Ganderkesee. An dem Gebäude fanden Ermittler rechte Symbole und Brandbeschleuniger. Der Fall folgt dem Muster der Brände in Gnarrenburg und Syke. Auch dort waren rechte Symbole gefunden worden.

Vegesack

Am 11. November 2019 brachen unbekannte Täter in einen Imbiss in Vegesack ein und entzündeten ein Feuer im Innenraum. Ein Mitarbeiter, der zu dem Zeitpunkt im Lokal schlief, wurde durch die Feuer leicht verletzt gerettet. Weitere Bewohner*innen entkamen dem Feuer unverletzt.

Bremervörde

Gegen 2 Uhr nachts am 2. November 2018 stand der Imbiss »Ahmed Kebaphaus« vollständig in Flammen. Fünf Anwohner*innen konnten sich in Sicherheit bringen. Zwei von ihnen kamen mit einer Rauchgasvergiftung ins Krankenhaus. »Unsere Ermittlungen haben ergeben, dass es sich um eine vorsätzliche Brandstiftung gehandelt hat. Im Laufe des Brandgeschehens dürfte es zu einer Verpuffung gekommen sein, die als lauter Knall wahrgenommen wurde«, sagte die Polizei Rotenburg. Es gäbe keine »direkten Erkenntnisse, die auf ein rechtsextremes oder fremdenfeindliches Motiv« hindeuteten, dennoch könne man dies nicht ausschließen.