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|Thema in ak 655: Kosmonismus

Streik in der Stratosphäre*

Von Jan Ole Arps

Die streikenden Skylab-Astronauten vor ihrem Start 1973. Von links nach rechts: Jerry Carr, Ed Gibson und William Pogue. Foto: NASA

Ground Control to Major- chrrks. So lässt sich der 28. Dezember 1973 aus Sicht der NASA-Zentrale in Houston, Texas, vermutlich ganz gut zusammenfassen. Es war der Tag, an dem die drei Astronauten Gerry Carr, Ed Gibson and William Pogue auf der Raumstation Skylab in fast 450 Kilometern Höhe in den wilden Streik traten. »Auf der Erde würden wir niemals 84 Tage am Stück 16 Stunden am Tag arbeiten, und man sollte nicht erwarten, dass wir es hier im Weltraum tun«, erklärte ein aufgebrachter Jerry Carr, bevor er die Verbindung zur Flugleitung kappte – und die Crew sich einen Tag Auszeit gönnte.

Die Mission stand schon vor ihrem Beginn unter keinem guten Stern. Beim Start wurde die Station beschädigt, die erste Mission ging für Reparaturen drauf. Auf der dritten und letzten Skylab-Mission, die Mitte November 1973 startete, sollten sämtliche bis dato ausgefallenen Experimente nachgeholt werden. Teilnehmer früherer Missionen hatten gewarnt, dass das Pensum nicht zu schaffen sei, zumal niemand aus der neuen Crew zuvor im All gewesen war. Tatsächlich litt William Pogue am ersten Tag im Orbit unter Übelkeit – die Astronauten einigten sich darauf, dass dies die übliche Weltraumkrankheit sei, die bald vorbei gehen würde, und entschieden, den Vorfall nicht nach Houston zu melden. Doch die Flugleitung am Boden überwachte die Kommunikation im Cockpit und bekam Wind von Pogues Krankheit – aus Sicht der Skylab-Raumfahrer der erste einer Reihe skandalöser Vorgänge.

Da keinerlei zeitliche Puffer eingeplant waren, hinkte die Crew ihrem eng getakteten Arbeitsplan bald hoffnungslos hinterher; aus Houston kamen derweil Anweisungen im Minutentakt. Kurz nach Weihnachten meldete Carr, der Zeitplan sei nicht einzuhalten, sie bräuchten Ruhezeiten. Als Houston antwortete, die Crew solle weniger schlafen und während der Mahlzeiten weiterarbeiten, stellten Carr, Pogue und Gibson die Kommunikation mit der Erde ein und nahmen sich einfach auf eigene Faust frei.

Wir kamen gut zurecht. Wir hatten ja einen gemeinsamen Feind, der uns zusammenschweißte: die Zentrale in Houston.

William Pogue

Erik Loomis, Professor für Arbeiterbewegungsgeschichte an der University of Rhode Island, weist in seinem Blog »Lawyers, Guns & Money« darauf hin, dass der Streik im All auch von den vielen irdischen Arbeitskämpfen zu Beginn der 1970er Jahre inspiriert war. Dass die Astronauten am Ende Pausen und einen selbstbestimmten Arbeitsrhythmus durchsetzen konnten, sei aber auch ihrer privilegierten Position zu verdanken, in der sie unersetzbar waren. Zumindest für die Zeit ihres Einsatzes, denn die NASA war nachtragend: Obwohl die drei Crewmitglieder unter den gelockerten, quasi postfordistischen Arbeitsbedingungen den Zeitrückstand aufholen und alle Experimente abschließen konnten, wurde keiner von ihnen je wieder ins All geschickt.

Der Stimmung unter den Astronauten tat der Vorfall keinen Abbruch, im Gegenteil: »Wir kamen gut miteinander zurecht«, erinnert sich der mittlerweile verstorbene William Pogue in seinen 2011 veröffentlichten Memoiren. »Wir hatten ja einen gemeinsamen Feind, der uns zusammenschweißte: die Zentrale in Houston.«

Jan Ole Arps

ist Redakteur bei ak.

* Genau genommen handelt es sich hier um keinen Streik in der Stratosphäre (bis 50 Kilometer Höhe), sondern im äußeren Bereich der Mesosphäre (bis 500 Kilometer Höhe).