Eine internationale Revolte
Proteste, Aufstandsversuche und Repression - Schlaglichter auf ein wild bewegtes Jahr
Von ak-Redaktion
Die Kämpfe des Jahres 1968 hatten unterschiedliche Ursachen, Vorgeschichten und Akteur_innen. An der Revolte, die vieleLänder erfasste, beteiligten sich überwiegend junge Menschen, aber keineswegs nur Schüler_innen und Studierende. Fast überall reagierten die Herrschenden mit massiver Gewalt.
Januar In Bremen verhindern Schüler_innen durch Demos und Blockaden Fahrpreiserhöhungen. (15.-24.1.) In der japanischen Hafenstadt Sasebo greifen Student_innen Polizeiketten an, die den aus Vietnam erwarteten US-Flugzeugträger Enterprise schützen sollen. Die Bevölkerung solidarisiert sich mit den Militanten. (17./18.1.) Die Tet-Offensive der vietnamesischen Befreiungsbewegung (»Vietcong«) beginnt. (30.1.)
Februar An der Westberliner TU findet unter dem riesigen Banner mit der Aufschrift »Die Pflicht des Revolutionärs ist es, die Revolution zu machen« der Internationale Vietnam-Kongress statt. 4.000 Menschen nehmen daran teil, 12.000 Demonstrant_innen ziehen durch die Stadt. (17./18.2.) Tausende Hippies liefern sich in San Francisco eine Straßenschlacht mit der Polizei. (18.2.) Der Westberliner Senat, der DGB und der Springer-Konzern rufen unter dem Motto »Berlin darf nicht Saigon werden« zu einer Demo für den Krieg der USA in Vietnam auf.; 80.000 Menschen nehmen daran teil. Ein Verwaltungsangestellter, der fälschlich für Rudi Dutschke gehalten wird, muss sich vor der mordlustigen Menge in Sicherheit bringen. (21.2.)
März Warschauer Student_innen solidarisieren sich mit zwei Kommilitonen, die relegiert werden sollen. Als die Polizei die Uni räumt, kommt es zu Straßenschlachten. Auch in anderen polnischen Städten finden Protestdemos statt. (8.-28.3.) Mehrere Tausend Prager Student_innen fordern Demokratisierungen. Mit dem Rücktritt von Staatspräsident Novotny beginnt der Prager Frühling. (20.-22.3.) An der Uni Nanterre bei Paris gründet sich die Bewegung 22. März, nachdem sechs Mitglieder des Nationalen Vietnam-Komitees verhaftet worden sind. (22.3.) In Rio de Janeiro werden zwei Teilnehmer einer studentischen Demo von der Polizei erschossen. (29.3.)
April In der Nacht richten Brandsätze in zwei Frankfurter Kaufhäusern Sachschäden an. Einen Tag später werden Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Thorwald Proll und Horst Söhnlein verhaftet. (2./3.4.) In Memphis (Tennessee) wird Martin Luther King erschossen. Menschen in den Schwarzen Ghettos von 125 Großstädten gehen auf die Straße. Polizei und Nationalgarde töten 46 Aufständische. 2.600 Menschen werden verletzt, 21.000 inhaftiert. (ab 4.4.) Auf dem Westberliner Kurfürstendamm schießt der Rechtsradikale Josef Bachmann auf Rudi Dutschke und verletzt ihn lebensgefährlich. (11.4.) An den folgenden Ostertagen gehen in der BRD und Westberlin insgesamt 60.000 auf die Straße; viele versuchen, die Auslieferung der Springer-Zeitungen zu verhindern. Solidaritätsdemonstrationen für Dutschke gibt es in vielen Ländern Europas, aber auch in den USA, Kanada und Israel. (12.-18.4.)
Mai Der »Pariser Mai« beginnt mit Protesten gegen die Schließung der Uni in Nanterre. (2.5.) Am Abend des 10. Mai verbarrikadieren sich Zehntausende im Quartier Latin. Nach der gewaltsamen Räumung durch die Polizei solidarisieren sich die Gewerkschaftsbünde CGT und CFDT mit den Protesten und beschließen für den 13. Mai den Generalstreik; 800.000 Menschen demonstrieren in Paris gegen die Brutalität der Polizei und die Politik de Gaulles. Eine Welle von Streiks, Betriebs- und Universitätsbesetzungen erfasst das ganze Land. Ende Mai beginnt die Bewegung zu bröckeln. (2.5.-30.5.) Auf globaler Ebene ist der Mai der Monat mit den meisten Protestaktionen, u.a. in der Schweiz, Österreich, Italien, Jugoslawien, England, Spanien, der Türkei, den USA, Argentinien, Brasilien und Japan.
Juni Durch einen Unistreik erzwingen Studierende in Belgrad von Jugoslawiens Staatspräsident Tito das Versprechen, Hochschulreformen durchzuführen. (3.-10.6.) In der Türkei streiken 60.000 Student_innen; die Juristische Fakultät in Istanbul wird besetzt. (ab 12.6.) Uruguays Staatspräsident Areco verhängt nach militanten Studentenprotesten den Ausnahmezustand. (15.6.) In Rio de Janeiro sterben sechs Studenten bei Straßenschlachten mit der Polizei. (23.6.)
Juli In Pueblo (Mexiko) sterben zwei Studenten bei einem Feuergefecht mit der Polizei. (13.7.)
August Mehrere Hunderttausend Menschen kommen in Montevideo zur Trauerfeier für den Studenten Liber Arce, den ein Polizist von hinten erschossen hat. (15.8.) Truppen der Sowjetunion und ihrer Verbündeter besetzen die Tschechoslowakei und beenden damit den Prager Frühling. (21.8.) Chicagos Bürgermeister Daley lässt Demonstrationen der New Left am Rande des Parteikonvents der Demokraten brutal niederschlagen. (25.-28.8.)
September Aktivistinnen des Westberliner Aktionsrats zur Befreiung der Frau kritisieren auf der 23. Delegiertenkonferenz des SDS in Hannover die Unterdrückung der Frauen im SDS. (12.-16.9.) In Offenbach gründet sich die Deutsche Kommunistische Partei. (16.9.)
Oktober Bei Massendemonstrationen in Mexiko City demonstrieren 500.000 Menschen gegen die Regierung, die Armeeeinheiten in die Hauptstadt einmarschieren lässt. Diese schießen in die Menge auf dem Kundgebungsplatz und töten 500 Menschen, 2.000 werden inhaftiert. (2.10.) Zehn Tage später beginnen in Mexiko die Olympischen Spiele. Bei der Siegerehrung demonstrieren die Schwarzen US-Sprinter Tommie Smith und John Carlos mit erhobenen Fäusten in schwarzen Handschuhen für Black Power. (24.10.)
November Am Tegeler Weg in Westberlin attackieren 2.000 Demonstrant_innen, unterstützt von Rocker_innen, die Polizei mit Steinen. (4.11.) Auf der SDS-Konferenz in Hannover geht der »Aufstand der Frauen« weiter. (20.11.) Bei Protestaktionen in der ägyptischen Stadt El Mansura erschießt die Polizei vier Studenten. Daraufhin rebellieren Schüler_innen und Studuierende auch in Kairo, Assiut und Alexandria, wo nach heftigen Kämpfen zwölf Aufständische von der Polizei getötet werden. (21.-25.11.)