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Auf der Trump-Welle ins Präsidentenamt

Warum Polen den stramm rechten PiS-Kandidaten, Karol Nawrocki, zum Staatsoberhaupt gewählt hat und die liberale Wende des Landes damit beendet ist

Von Tomasz Konicz

Karol Nawrocki und Donald Trump grinsen im Oval Office vor goldenen Vorhängen und USA-Fahnen in die Kamera und zeigen Daumen hoch
Polens neuer Präsident Karol Nawrocki (links) einige Wochen vor der Wahl zu Gast im Oval Office. Foto: Official White House Photo by Joyce N. Boghosian, Public Domain

Polens neuer Präsident, Karol Nawrocki, scheint ein typisches Produkt der Ära Trump zu sein. Der 42-jährige Historiker mit einer bewegten Vergangenheit im Hooligan- und Rotlichtmilieu personifiziert die krisenbedingte Verrohung der politischen Sphäre, die auch das dauerboomende Polen erfasst hat. Während des Wahlkampfes stritt sich Polens Öffentlichkeit etwa darüber, ob der von der rechtspopulistischen PiS (Prawo i Sprawiedliwosc, Recht und Gerechtigkeit) unterstützte Präsidentschaftskandidat in seiner wilden Zeit als Türsteher selbst als Zuhälter tätig war oder »nur« Prostituierte vermittelt hatte. Dasselbe gilt für seine Ausfälle ins Rechtsextreme. Diese Enthüllungen haben seine stockkonservative und vielfach immer noch erzkatholische Wähler*innenschaft genauso wenig verschreckt, wie die evangelikalen Wähler*innen Trumps sich von dessen Eskapaden abschrecken lassen.

Im Gegenteil lässt sich argumentieren, dass Nawrockis offenes Zugehen auf den irrlichternden rechten Rand des politischen Spektrums zu seinem Wahlsieg beigetragen hat. Kurz vor der Stichwahl gegen den liberalen Warschauer Bürgermeister Rafal Trzaskowski die er hauchdünn mit einem Vorsprung von 370.000 Stimmen gewann, trat Nawrocki im Youtube-Kanal des im ersten Wahlgang Mitte Mai drittplatzierten Kandidaten Slawomir Mentzen auf. Bei dieser Gelegenheit unterschrieb der ehemalige Boxamateur Nawrocki die politischen Postulate Mentzens, dessen wirrer Politmix aus Nationalismus, Chauvinismus und rechtslibertärer Ideologie, die vom argentinischen Kettensägenpräsidenten Milei beeinflusst zu sein scheint, im ersten Wahlgang immerhin knapp 15 Prozent der Wähler*innen überzeugen konnte. Keine Steuererhöhung jeglicher Art, keine Euro-Einführung, kein Verzicht auf Atomwaffen, keine Ausweitung der Unterstützung der Ukraine – all dem stimmte der neue Staatschef Polens zu.

Die zweite nennenswerte rechtsextreme Kraft, die Konföderation der Polnischen Krone, quasi die Reichsbürger Polens, strebt allen Ernstes die Wiedereinführung der Monarchie an. Ihr Kandidat, der für seine antisemitischen Ausfälle bekannte Grzegorz Braun, konnte im ersten Wahlgang mehr als sechs Prozent der Stimmen auf sich vereinen. Zusammen erhielt Polens neue Rechte – Mentzen, Braun und der PiS-nahe Nawrocki (29,5 Prozent) – somit schon in der ersten Runde mehr als die Hälfte der Stimmen. Die drei Kandidat*innen der sozialdemokratischen Linken dagegen kamen zusammen auf weniger als elf Prozent; Rafal Trzaskowski, der als Kandidat der regierenden Bürgerkoalition antrat, erhielt 31,4 Prozent der Stimmen.

Männer, Junge und Arme wählen rechts

Bei der Wahl zeigten sich auch die traditionellen soziogeografischen und sozialen Frontverläufe der polnischen Innenpolitik, die das Land trotz anhaltenden Wirtschaftswachstums in ein liberales und ein konservatives Lager spalten: Die Großstädte und die wirtschaftlich avancierten Regionen im Westen wählten mehrheitlich liberal, während die Peripherie und der Osten des Landes für den rechtskonservativen Kandidaten stimmten. Hier kommt immer noch das Erbe der Sozialpolitik der PiS zum Tragen, die ihre autoritäre Transformation Polens Ende der 2010er Jahre mit substanziellen Sozialprogrammen – vor allem der Einführung des Kindergeldes – flankiert hatte. Arme Bevölkerungsschichten, die kaum vom Wirtschaftsaufschwung profitiert haben und sich als zu kurz gekommen fühlen, wählten folglich mehrheitlich rechtskonservativ. Eine eindeutige Präferenz ist auch entlang der Geschlechter zu sehen: Männer haben eher für den ehemaligen Amateurboxer gestimmt, Frauen für den liberalen Warschauer Bürgermeister.

Entscheidend für den hauchdünnen Wahlsieg des Kandidaten der autoritären, alt-rechten PiS dürfte aber das Wahlverhalten der polnischen Jungwähler*innen gewesen sein. Die Altersgruppe von 18 bis 29 wählte eindeutig rechts, wobei Nawrocki eher deren zweite Wahl war. Polens Jungwähler*innen votierten in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen überwiegend für den rechtslibertären Mentzen, während der Sozialdemokrat Sandberg bei ihnen auf den zweiten Platz kam. Die älteren Jahrgänge stimmten eher liberal, was eine neue Entwicklung ist, da früher die Rentner*innen und Älteren eher die PiS favorisiert hatten.

Auch in Polen sind rechtslibertäre Wahngebilde, wie sie von Musk und Milei propagiert werden, auf dem Vormarsch.

Hier zeigt sich auch ein Wandel rechter Ideologie: Der moralische Konservatismus, das katholische Moment, geht langsam zurück, ebenso die damit verbundene polnische Opfermythologie (Polen als Jesus der Völker), während rechtslibertäre Wahngebilde, wie sie von Musk und Milei propagiert werden, auf dem Vormarsch sind. Der Rassismus und Chauvinismus der polnischen Rechten gewinnt zudem – hier ganz dem deutschen Vorbild folgend – eindeutig eine wohlstandschauvinistische Komponente, die vor allem gegenüber dem Osten und Migrant*innen zum Tragen kommt.

Somit hat eine Mischung aus erfolgreicher rechter Mobilisierung, die traditionelle wie auch neu-rechte Strömungen erreichte, und der weiter bestehenden sozialen Spaltung Polens der Rechten zum Comeback verholfen. Substanzielle Teile der polnischen Bevölkerung blieben vom Boom der letzten Jahre ausgeschlossen. Die liberalen Kräfte um Ministerpräsident Donald Tusk erinnern in ihrer Wirtschaftspolitik eher an die untergegangene FDP. So kamen in den ärmeren Bevölkerungsschichten gar nicht erst Erwartungen auf, dass sich daran etwas ändern könnte – trotz sozialdemokratischer Regierungsbeteiligung.

Der knappe Wahlsieg Nawrockis droht, Polens liberale Wende der letzten eineinhalb Jahre zu einer bloßen Episode verkommen zu lassen. Seit ihrem knappen Sieg bei den Parlamentswahlen im Oktober 2023 bemühte sich die Koalition aus Liberalen und Sozialdemokrat*innen von Premier Tusk weitgehend vergeblich, den autoritären Umbau des Staatsapparates zu revidieren, den die PiS nach ungarischem Vorbild während ihrer jahrelangen Herrschaft forciert hatte.

Droht die Orbánisierung Europas?

Polens Präsident verfügt über substanzielle Machtbefugnisse: Er ernennt den Regierungschef, ist Oberkommandierender der Streitkräfte im Kriegsfall – und er hat ein Vetorecht gegen Gesetze der Regierung, das nur durch eine Mehrheit von 60 Prozent der Parlamentsstimmen aufgehoben werden kann. Der scheidende PiS-nahe Präsident Andrzej Duda konnte auf diese Weise die Staatsreformen der Regierung erfolgreich blockieren, da Premier Tusk nicht über die notwendige Mehrheit zur Vetoaufhebung verfügt. Daran wird sich auch jetzt nichts ändern. Tusks Hoffnung, mit einem wohlgesonnenen Präsidenten Trzaskowski endlich Reformen durchzubringen, etwa die Liberalisierung des Abtreibungsrechts, haben sich zerschlagen. Auf die Niederlage des liberalen Kandidaten reagierte Tusk dementsprechend mit einem Misstrauensvotum, das er jedoch dank seiner Mehrheit im Sejm überstand. Es dürfte vor allem dazu gedient haben, die Rücktrittsforderungen zu kontern, die PiS-Führer Kaczynski bereits erhoben hat.

Der sich nun intensivierende Machtkampf zwischen Nationalkonservativen und Liberalen wird auch einen außenpolitischen und europäischen Fallout nach sich ziehen. Die PiS und Nawrocki sehen zwar weiterhin in Russland einen geopolitischen Konkurrenten und eine militärische Gefahr, doch sind sie zugleich gegenüber der Ukraine sehr viel skeptischer als Tusk. Der EU- und Nato-Beitritt des östlichen Nachbarlandes wird genauso abgelehnt wie eine weitergehende militärische Unterstützung für Kiew. Deutschland sieht der künftige Präsident ebenfalls eher als Konkurrenten, während die USA unter Trump durchaus Vorbildfunktion genießen. Die Formierung einer konsistenten europäischen Politik gegenüber Russland, China und den USA wird so weiter erschwert.

Rechte Postdemokraten wie der ungarische Staatschef Orbán träumen nach dem Sieg Nawrockis bereits von einer mittelosteuropäischen Rechtsallianz, die das als liberal verschriene Brüssel herausfordern und eine autoritäre Transformation Europas durchsetzen könnte. Bis dahin wird aber wohl noch etwas Zeit vergehen, da Polens Präsident kaum direkten Einfluss auf die Außenpolitik des Landes nehmen kann. Mehr als blockieren und die De-Orbánisierung des Landes sabotieren wird dem neuen Präsidenten bis zur nächsten Parlamentswahl kaum möglich sein – aber eventuell reicht sogar das.

Tomasz Konicz

ist Autor und Journalist. Von ihm erschien zuletzt das Buch »Klimakiller Kapital. Wie ein Wirtschaftssystem unsere Lebensgrundlagen zerstört«. Mehr Texte und Spendenmöglichkeiten (Patreon) auf konicz.info.