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Nach der Krise ein linker Aufbruch?

Sri Lankas neue Regierung proklamiert den Bruch mit dem Establishment – die Hürden sind nicht klein

Von Karin Zennig

Ein Mann (von hinten zu sehen) mit großen Schraubenschlüsseln und Hammer in der Hand steht auf einem Bahngleis, im Hintergrund sieht man weitere Menschen mit Tüten in der Hand und einen Bahnwaggon
Aufräumarbeiten am Bahnhof in Colombo. Unter dem Motto »Sauberes Sri Lanka« laufen die Beschlüsse der neuen Regierung zur Korruptionsbekämpfung ebenso wie Aufrufe zum Müllsammeln und für mehr Umweltschutz. Foto: picture alliance / NurPhoto | Akila Jayawardena

Im März 2022 stürmten wütende Massen den Regierungspalast in Colombo und stürzten die damalige Regierung Sri Lankas. Zweieinhalb Jahre später, im November 2024, erschütterte das linke Parteienbündnis NPP (National Peoples Power) mit einem Erdrutschsieg bei den Parlamentswahlen das politische System des Landes erneut. Der erst im September gewählte Präsident Anura Kumara Dissanayake (ak 708) von der marxistisch-leninistischen Partei JVP (Janatha Vimukthi Peramuna), der führenden Kraft im Parteienbündnis NPP, hatte wie zuvor versprochen nach der Wahl das bestehende Parlament aufgelöst und Neuwahlen angesetzt.

Als Anti-Establishment- und Anti-Korruptionspartei wurde die NPP von Minderheiten wie Mehrheitsgesellschaft gleichermaßen gewählt: 61 Prozent gaben dem Bündnis ihre Stimme – 2020 waren es erst drei Prozent gewesen. Hinweggefegt haben die Wähler*innen ein seit 1972 eigentlich nur aus zwei großen politischen Blöcken bestehendes System korrupter und dynastischer Machteliten. Sri Lanka ist damit aktuell eines der wenigen Beispiele, in denen sich aus einer fundamentalen ökonomischen und politischen Krise kein Rechtsruck, sondern ein Aufbruch konstituieren könnte. Aber welche Chancen hat er?

Das Dorf Silawaththai South im Distrikt Mullaithivu im tamilisch besiedelten Norden Sri Lankas ist seit 30 Jahren nur durch einen tief zerfurchten Feldweg mit der nächstgrößeren Siedlung verbunden. Hier leben ursprünglich aus Indien eingewanderte Tamil*innen. Nach den landesweiten antitamilischen Pogromen 1983 waren sie aus dem Hochland der Insel vertrieben worden und haben sich in Mullaithivu als Fischer*innen eine neue Existenz aufgebaut. Die Dörfer wurden 2005 hart vom Tsunami getroffen und liegen nur wenige Kilometer vom letzten Schauplatz des Vernichtungskrieges des Militärs gegen die Tamil*innen entfernt. Die Geschichte Sri Lankas ist hier überall eingeschrieben, aber sprechen wollen die Dorfbewohner*innen über etwas anderes.

Wie ein Fischerdorf den Regierungswechsel erlebt

Die Armut in Mullaithivu hat sich durch die Hyperinflation der letzten Jahre drastisch ausgebreitet. Grundnahrungsmittel wie Eier, Reis und Kokosnuss sind für viele kaum noch bezahlbar. Das Geld für einen dem Abitur vergleichbaren Schulabschluss kann kaum eine Familie in der Region aufbringen. Und so haben die Kinder aus Silawaththai South geringe Chancen, etwas anders zu werden als Tagelöhner*innen oder Fischer, wie ihre Eltern.

Aktuell ist aber selbst das kaum mehr möglich. Ein nach Kanada ausgewanderter tamilischer Geschäftsmann will ein Hotel am Strand bauen und den Zugang zum Meer privatisieren. Rückendeckung erhält er von örtlichen Regierungsbeamten. Sie sprechen Grußworte bei der Eröffnungszeremonie für das Avalon Resort & Spa im Januar 2025, die Polizei setzt den Anspruch auf das Land durch, verhaftet und drangsaliert Dorfbewohner*innen bei Zuwiderhandlung oder Protesten. Dabei ist die Rechtslage eindeutig, das hat sogar die staatliche Menschenrechtskommission bestätigt: Der Zugang zum Meer darf nicht verwehrt werden, die private Inbesitznahme des Landes ist illegal. Im Januar 2023 haben die Dorfbewohner*innen deshalb Klage eingereicht. Noch nicht einmal eine Mittteilung vom Gericht haben sie damals erhalten.

Was erhoffen sich die Einwohner*innen von der neuen Regierung und ihrer Anti-Korruptionskampagne? Die Meinungen sind gespalten. »Die Regierung wechselt alle fünf Jahre, aber ihre Beamten bleiben. Wie soll sich da etwas verändern?« So äußern sich viele auf einer Versammlung der Dorfbewohner*innen im Februar. Andere sind hoffnungsvoller: Unmittelbar nach dem Amtsantritt der neuen Regierung erhielt das Dorf eine Benachrichtigung, dass die Klage nach über zwölf Monaten Untätigkeit nun bearbeitet werde und ein Termin vor Gericht anberaumt ist. Gelöst sind der Konflikt um den illegalen Hotelbau und die strukturellen Probleme des Dorfes damit noch nicht, doch der Regierungswechsel im fernen Colombo ist selbst in Mullaithivu zu spüren.

»Sauberes Sri Lanka«

Geschichten wie die des Fischerdorfes gibt es tausendfach. Die Kampagne »Sauberes Sri Lanka« der neuen Regierung ist vom TukTuk-Fahrer in Colombo bis zur Verkäuferin in Mannar in aller Munde. »Sauber« ist dabei sowohl buchstäblich als auch sprichwörtlich gemeint. Die Kampagne ruft zur selbstorganisierten Müllsammlung in Wohnvierteln, auf Stränden und in Grünanlagen auf, aber umfasst auch drastische Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung. Symbolträchtige Verhaftungen und Prozesse gegen hohe Beamt*innen und Politiker*innen haben massenhafte Zustimmung in der Bevölkerung, die Maßnahmen verleihen der Ankündigung fristloser Entlassung bei Annahme von Schmiergeldern auch auf unterster Ebene der Verwaltung Glaubwürdigkeit. In Colombo werden politische Aktivist*innen bei Protesten oder Demonstrationen von der Polizei nun freundlich angesprochen statt wie früher drangsaliert, gleichzeitig steigen landesweit die Verkehrsunfälle, weil die Polizei durch Kameraüberwachung an der Annahme von Schmiergeldern bei Geschwindigkeitskontrollen gehindert wird und deswegen weniger durchführt.

Exemplarisch ist der Fall des tamilischen Fischerdorfes auch in anderer Hinsicht. Minister*innen beantworten zügig Briefe und Emails, die neue Regierung gibt sich offen und ansprechbar für Proteste aus der Bevölkerung, nicht aber für die etablierten und institutionalisierten Akteure der Zivilgesellschaft. Letztere haben fast keine Verbindungen zur neuen Regierung. Die NPP wirft der Hauptstadtzivilgesellschaft – nicht ganz zu Unrecht – vor, in den Machtfilz der alten Parteien verstrickt zu sein. Der proklamierte Bruch mit dem Establishment umfasst auch sie.

Entsprechend schottet sich die Regierung gegen Einflussnahmeversuche der Zivilgesellschaft ab und arbeitet bisher nur mit Jugendverbänden, Organisationen und Gewerkschaft aus dem Umfeld der JVP zusammen. Nach den Jahren autoritärer Politik unter dem Übergangspräsidenten Ranil Wickremesinghe und der verfassungsmäßig gegebenen Machtzentrierung beim Präsidenten ist die Zivilgesellschaft ihrerseits skeptisch ob des neuen Politikstils und wittert weitere Entdemokratisierung.

Dass die vor der Wahl angekündigte Abschaffung restriktiver Kontrollgesetze wie des Prevention Terrorism Act und des Online Safty Act mittlerweile lediglich zu Reformen derselben abgeschwächt wurden und die Gängelung von Menschenrechtsaktivist*innen und Journalist*innen durch Sicherheitsbehörden außerhalb Colombos noch nicht spürbar abgenommen hat, verstärken das Misstrauen. Angeblich hat die Regierung gegenteilige Anweisungen erlassen, aber Papier ist geduldig, und der Weg von Colombo ins Hinterland weit.

Nur Symbolpolitik oder echter Neuanfang?

Die Priorität der neuen Regierung liegt bisher auf der Stärkung der Binnenwirtschaft und darauf, durch das Einwerben ausländischer finanzieller Unterstützung den fiskalischen Druck zu reduzieren, der von der Kreditrückzahlung an den Internationalen Währungsfonds ausgeht. Nahezu unmöglich würde eine wirtschaftliche Stabilisierung durch die Anfang April von US-Präsident Trump gegen das Land verhängten Zölle von 44 Prozent – einem der höchsten Zollsätze weltweit und bedeutend mehr, als Trump von Sri Lankas lokalen Konkurrenten Bangladesch und Indien verlangte –, die nun für 90 Tage zunächst auf zehn Prozent reduziert sind. Auch innenpolitisch steht die Regierung trotz des überragenden Wahlergebnisses auf wackeligen Beinen. Will sie die Frage der Landverteilung oder die Aufarbeitung von Kriegsverbrechen gegen die tamilische Minderheit ernsthaft angehen, wird sie auf erheblichen Widerstand in Gesellschaft, Staatsapparat und Militär stoßen.

Symbolpolitisch versucht die Regierung durchaus zu punkten: Ein Teil der bisher ganz selbstverständlich im Staatsapparat tätigen bekannten Kriegsverbrecher wurde abberufen und am Verlassen des Landes gehindert, Untersuchungen wurden angekündigt. Waren die bei Bauarbeiten immer wieder zufällig freigelegte Massengräber bislang stillschweigend beseitigt oder als Brachen abgeriegelt worden, beginnen jetzt tatsächlich erste Exhumierungen. Gleichwohl bietet die knappe finanzielle Ausstattung der nationalen Aufarbeitungsmechanismen, etwa des Büros für Verschwundene, wenig materielle Kapazitäten für echte Fortschritte. Auch die geplante Verfassungsreform ist vorerst auf das dritte Jahr der Amtszeit verschoben.

Die Krise der politischen Repräsentation, die sich im Erdrutschsieg der NPP bei den Wahlen im November ausdrückte, betrifft aber auch die Zivilgesellschaft. Die singhalesische wie die tamilische sind, wenn auch auf unterschiedliche Weise, jeweils in einem desolaten Zustand: überaltert, zerstritten und durch die Logik von Förderrichtlinien und Geldgebern entpolitisiert. Auf tamilischer Seite ist eine Kluft zwischen dem Programm der politischen Kader und der Lebensrealität der tamilischen Bevölkerung entstanden. Das ist umso tragischer, als starke zivilgesellschaftliche Stimmen, die auf eine Verfassungsreform und eine Überwindung des Majoritarianismus – des an der singhalesischen Bevölkerungsmehrheit orientierten Systems – bestehen, die Voraussetzung dafür bilden, dass es nicht bei Symbolpolitik bleibt.

Karin Zennig

arbeitet in der Öffentlichkeitsabteilung von medico international. Sie ist Referentin für die Region Südasien und für Klimagerechtigkeit.

Seit vielen Jahren unterstützt medico international psychosoziale Begleitung von Überlebenden und die Aufarbeitung von Kriegs- und Menschenrechtsverbrechen im jahrzehntelangen Bürgerkrieg in Sri Lanka. Der Bericht basiert auf einer Reise im Rahmen dieser Arbeit im Februar 2025.