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551 fiese Fragen

Die kleine Anfrage der Union ist nur das jüngste Beispiel von Angriffen auf die Gemeinnützigkeit von emanzipatorischen Vereinen

Von Holger Oppenhäuser

Eine Reihe von demonstrierenden älteren Frauen mit Schildern, auf denen steht "Omas gegen rechts".
Auch sie haben den Unmut der CDU/CSU auf sich gezogen: die Omas gegen Rechts. Foto: Stefan Müller / Flickr, CC BY 2.0

Zwei Tage vor der Bundestagswahl haben Friedrich Merz und Alexander Dobrindt eine kleine Anfrage der CDU/CSU-Fraktion an die Bundesregierung eingereicht, die am Tag nach der Wahl veröffentlicht wurde. Unter der Überschrift »Politische Neutralität staatlich geförderter Organisationen« wurden 551 Fragen gestellt, die alle drauf abzielen, die Gemeinnützigkeit und den Bezug staatlicher Fördergelder zahlreicher Organisation von Greenpeace über Attac und die Amadeu Antonio Stiftung bis hin zu den Omas gegen Rechts infrage zu stellen. In der Begründung heißt es ausdrücklich: »Hintergrund sind Proteste gegen die CDU Deutschlands«, die aufkamen, nachdem ein Antrag der Union im Bundestag mit Stimmen der AfD und der FDP die Mehrheit erhielt.

Die Retourkutsche der CDU in Form der kleinen Anfrage ist ein klarer Einschüchterungsversuch gegen die betroffenen Organisationen und hat weithin Empörung und Solidaritätsbekundungen ausgelöst. Tatsächlich ist es beunruhigend, wenn der voraussichtlich nächste Bundeskanzler am Tag nach der Wahl mit Drohgebärden gegen Vereine und NGOs Schlagzeilen macht. Allerdings ist dies nur das jüngste Beispiel einer ganzen Reihe von Angriffen auf die Gemeinnützigkeit von im weitesten Sinne emanzipatorischen Vereinen. 

Vereine sind eine wichtige Infrastruktur sozialer Bewegungen. Sie erleichtern die Veröffentlichung von Print- und anderen Medien, den Betrieb soziokultureller Zentren oder die Organisation von Veranstaltungen. Zwar müssen Vereine nicht die Gemeinnützigkeit beantragen, aber in der Regel tun sie es, weil dieser Status vieles erleichtert. So können Spender*innen ihre Beiträge von der Steuer absetzen und bei Großspenden entfällt die Schenkungssteuer. Zudem erschwert die fehlende Gemeinnützigkeit vielfach Kooperationen und den Zugang zu öffentlichen Räumen oder zu finanziellen Förderungen.

Auch früher hatten Vereine bereits vereinzelt Probleme mit der Gemeinnützigkeit, aber seit gut 15 Jahren gibt es zunehmend juristische und politische Auseinandersetzungen darum. Gesetzlich geregelt ist die Gemeinnützigkeit in der Abgabenordnung (AO), die jährlich mit dem Jahressteuergesetz verabschiedet wird. 2008 wurde dort ein Absatz eingeführt, nachdem davon auszugehen ist, dass eine Organisation, die in einem Verfassungsschutzbericht auf Landes- oder Bundesebene als extremistisch eingestuft wird, nicht gemeinnützig ist. Damit entscheidet die willkürliche Kategorisierungspraxis von Geheimdiensten über die Gemeinnützigkeit von Organisationen oder zwingt sie, sich in aufwendigen Verfahren dagegen zur Wehr zu setzen.

Welle von Aberkennungen durch Attac-Fall

Ironischerweise wurde diese Regelung zuerst von SPD-Finanzminister Peer Steinbrück mit Blick auf einen Neonazi-Verein eingeführt, hat dann aber – dank Hufeisenlogik – nicht zuletzt antifaschistische Organisationen getroffen. Am prominentesten war der Fall der VVN-BdA, der aufgrund der Nennung im bayrischen VS-Bericht vom Finanzamt Berlin 2019 die Gemeinnützigkeit entzogen wurde. Nach Protesten und einem Widerspruch nahm das Finanzamt diese Entscheidung 2021 wieder zurück.

Eine regelrechte Lawine von Entzügen der Gemeinnützigkeit hat der Fall Attac ausgelöst. 2014 entschied das Finanzamt Frankfurt am Main, die globalisierungskritische Organisation sei nicht gemeinnützig. Denn sie mische sich – beispielsweise mit einer Kampagne für die Finanztransaktionssteuer – in die Tagespolitik ein und verfolge damit nicht unmittelbar die in der Satzung genannten Zwecke. Es folgte eine bis heute andauernde juristische Auseinandersetzung. Zunächst entschied das Finanzgericht Kassel, die Aktivitäten von Attac seien sehr wohl gemeinnützig. Nicht zuletzt könne Bildungsarbeit (einer der in der AO genannten Zwecke, auf den sich die Satzung von Attac bezieht) auch zu politischer Praxis führen.

CDU und Springer-Presse übernehmen Narrativ und politische Strategie von rechten Akteuren. 

Daraufhin wies der damalige CDU-Finanzminister Wolfgang Schäuble das Finanzamt an, vor den Bundesfinanzhof zu ziehen. Dieses höchste Finanzgericht fällte eine sehr restriktive Entscheidung. Der in der AO genannte Zweck der »Volksbildung« wurde auf die Beschäftigung mit »Bildungspolitik« beschränkt. Vereine dürfen sich demnach nur noch in Ausnahmefällen, die im unmittelbaren Zusammenhang mit anderen AO-gemäßen Satzungszwecken stehen, politisch betätigen. In der Folge wurde zahlreichen großen und kleinen Vereinen bundesweit die Gemeinnützigkeit entzogen. Wegen der allgemeinen Bedeutung des Verfahrens für die Zivilgesellschaft ist Attac schließlich vor das Bundesverfassungsgericht gezogen, wo das Verfahren nun seit 2021 liegt. Kern der Verfassungsbeschwerde ist, dass der Verein bei der Ausübung der Grundrechte (Meinungs- und Vereinigungsfreiheit) gegenüber anderen benachteiligt wird. 

Seit 2015 haben sich zudem rund 200 Vereine und Stiftungen in der Allianz »Rechtssicherheit für politische Willensbildung« zusammengetan. Diese fordert, die in der AO genannten Zwecke mindestens um die Förderung der Menschenrechte, der Gleichstellung aller Geschlechter, des Engagements gegen Rassismus, des Friedens und der sozialen Gerechtigkeit zu ergänzen. Zudem soll gesetzlich klargestellt werden, dass die Beteiligung an der politischen Willensbildung unschädlich für die Gemeinnützigkeit ist. Die Ampelregierung hatte sich im Koalitionsvertrag auf eine entsprechende Überarbeitung des Gemeinnützigkeitsrechts geeinigt, was dann aber an der FDP scheiterte. 

Derweil nutzen Faschos die aktuelle Rechtslage, um Druck auf antifaschistische Vereine auszuüben. Die AfD stellt auf Bundes- und Landesebene permanent parlamentarische Anfragen, die auf die Gemeinnützigkeit und gegebenenfalls die Förderung von Vereinen mit öffentlichen Geldern zielen. Kern der Strategie ist eine Umdeutung des staatlichen Neutralitätsgebotes. Demnach dürften gemeinnützige beziehungsweise geförderte Vereine keine Kritik an rassistischen Positionen der AfD üben, weil dies eine unerlaubte staatliche Bekämpfung von Oppositionsparteien sei.

Zudem werden zahlreiche Vereine, teils anonym beim Finanzamt angezeigt. Explizit dazu aufgerufen wird unter anderem vom rechten Verein Ein Prozent, der 2015 aus den Reihen von AfD, Compact und Institut für Staatspolitik gegründet wurde. Auf dessen Homepage heißt es: »Das mächtige Kartell aus Politik, Medien und ›Zivilgesellschaft‹ finanziert seinen Kampf gegen Andersdenkende aus Steuermitteln.«

Verschwörungsideologische Töne

Dieses Narrativ und die politische Einschüchterungsstrategie mittels parlamentarischer Anfragen wurde nun von einer Koalition aus Springer-Presse und CDU übernommen. Dabei schlägt die Zeitung Welt den gleichen verschwörungsideologischen Ton wie das Original an: Mal wird mit Bezug auf Projektförderungen und die Gemeinnützigkeit von Vereinen fälschlicherweise behauptet, es seien »Steuergelder für Demonstrationen im Wahlkampf« geflossen (10.2.). Mal wird geraunt, »wie viel Methode hinter der Förderkulisse steckt«, indem auf eine einstige Förderung der Allianz Rechtssicherheit für politische Willensbildung, durch die Open Society Foundation des amerikanischen Milliardärs George Soros verwiesen wird (22.2.). Mal werden NGOs als »›Deep State‹, wie er im Buche steht« bezeichnet (13.2). Auf zwei dieser Artikel nimmt die Anfrage der Union Bezug, und einige Tage später legt CSU-Chef Markus Söder in einem Welt-Interview nach. Überschrift: »Gerade in Ministerien der Grünen haben sich NGOs wie Kraken ausgebreitet« (1.3). Das alles klingt nach Victor Orbán oder Donald Trump und ist ein Paradebeispiel für das, was Natascha Strobl als »radikalisierten Konservatismus« bezeichnet.

Bemerkenswert ist auch die polit-ökonomische Dimension der Auseinandersetzung. Schon im Laufe des Attac-Verfahrens wurde bekannt, dass der damalige Staatssekretär im Finanzministerium und der Präsident des Bundesfinanzhofes Mitglieder eines unternehmensnahen (und gemeinnützigen) Lobbyvereins waren. Heute nimmt die Unions-Anfrage auch einen Verein ins Visier, der sich gegen die Schuldenbremse ausspricht, während Frank Thelen – medialer Lautsprecher des Marktradikalismus mit einem Faible für autoritäres Durchregieren – Merz auf X dankt und kommentiert: »Wir brauchen eine deutsche Version von DOGE!«

Nachtrag: Kurz vor Redaktionsschluss gab es eine Antwort auf die Unions-Anfrage. Der entscheidende Satz lautet: »Die Bundesregierung sieht keine Anhaltspunkte für die in der Kleinen Anfrage enthaltene Behauptung, wonach die geförderten ›NGOs eine Schattenstruktur‹ bildeten.« Parallel dazu gibt es jedoch Berichte, dass die CDU auch auf Länderebene vergleichbare Anfragen gestellt hat und in Sachsen-Anhalt wurden in Kooperation mit der AfD bereits Fördergelder gestrichen.

Holger Oppenhäuser

ist Politikwissenschaftler und arbeitet im Attac-Bundesbüro.