Wendeliteratur
Aufgeblättert: »Wühlen« von Carolin Krahl
Von Nane Pleger
Die Körpersprache einer zufallenden Tür« – eine Sprache, die die drei Protagonistinnen des Debüts »Wühlen« von Carolin Krahl nur zu gut kennen. Sie sind in den Um- und Abbrüchen der 1990er Jahre in den neuen Bundesländern erwachsen geworden. Auch wenn die Schwestern Franz und Kris und ihre Freundin Ada im selben gesellschaftlichen Gefüge aufgewachsen sind, haben sich ihre Wege ganz unterschiedlich entwickelt, und doch begeben sich alle in dieser literarischen Erzählung auf die Suche, um das zur Sprache zu bringen, wofür ihre Elterngeneration und sie selbst keine Worte haben. Etwas, was vielleicht maximal mit »Wendeknacks« und einer abwehrenden Geste abgetan wird: das, was mit 1989 verloren und kaputt gegangen ist. Wir lesen Franz’, Kris’ und Adas ganz eigene Stimmen, die sich aber immer wieder überlagern, überschneiden. Besonders dann, wenn es um ein Thema geht: das Funktionieren, die Erwartung an sich und andere, ins bestehende System zu passen und eben keinen Knacks haben.
Ein besonderer Text, der davon zeugt, dass Leerstellen in der Geschichtsschreibung neue Erzählformen hervorbringen. So oszilliert das Buch zwischen Fiktion und Realität. Immer wieder wird historische und soziologische Forschung in den literarischen Text integriert. Der Text versucht, über die »Transformationszeit« und ihre Narben in den Körpern und Biografien zu erzählen und dabei anderen zuzuhören. Er ist ein literarisches Archiv, das davon erzählt, wie das Wühlen in der Vergangenheit die bestehenden, scheinbar zementierten Verhältnisse aufwühlen kann.
Carolin Krahl: Wühlen. Verlag Trottoir Noir, Leipzig 2024. 298 Seiten, 26 EUR.