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Die Nerds und der Clown

Überakkumulationskrise und Tech-Fetischismus haben in den USA eine unheimliche neue Oligarchie hervorgebracht

Von Slave Cubela

Gruppenbild im Dunklen, mit Blitz gechossen. Donald Trump, Elon Musk, Tulsi Gabbard, RFK Jr und Mike Johnson lächeln unheimlich in die Kamera
Mit Trump haben Venture-Kapitalisten den Jackpot geknackt. Foto: Office of Speaker Mike Johnson, Wikimedia / public domain

Wer die Oligarchie verstehen will, die sich in der neuen Trump-Regierung manifestiert, sollte nicht den Fehler begehen, sich einseitig mit einer Figur wie Elon Musk zu beschäftigen. So omnipräsent und verrückt Musk auch daherkommt, in ihm bündelt sich doch nur die strukturelle Logik des Kapitalismus. Um Musk aber als eine sozial produzierte Charaktermaske zu verstehen, als Musk-Maske also, muss man zunächst zu jener grundsätzlichen Überakkumulationskrise zurückgehen, die den Kapitalismus seit den 1970er Jahren plagt. Da es über diese Krise inzwischen genug Literatur gibt, möchte ich lediglich drei Implikationen derselben hervorheben.

Erstens: Eine Überakkumulationskrise geht mit einem Anlagenotstand für das Kapital einher. Das macht Anleger notwendig aggressiver und risikofreudiger. Das Besondere an der gegenwärtigen Krise ist, dass diese Aggressivität seit Jahrzehnten nicht abflaut, weil es durch staatliche Interventionspolitiken bislang zu keiner großen Kapitalzerstörung kommen konnte, wie das Beispiel der Finanzkrise 2008/2009 zeigt.

Zweitens: Die eine Hoffnung bürgerlicher Staaten bei alle dem ist, dass eine tiefe soziale Krise vermieden werden kann, die auf große Kapitalzerstörungen notwendig folgt. Diese Staaten hoffen darüber hinaus, dass irgendwann und irgendwie ein neuer Profitzyklus entsteht, der nicht nur weiterhin für sozialen Frieden sorgt, sondern in dem durch neue, industrielle Wachstumsmotoren ihre staatliche Intervention dann wieder überflüssig wird.

So digital die Welt auch geworden ist, so groß die Technik-Träume auch daherkommen, ein neuer Profitzyklus ist bislang nicht in Sicht.

Drittens: Der Fetisch des produktiven Kapitals ist seit jeher die technologische Innovation und deshalb wird auch seit den 1970er Jahren die Hoffnung auf einen neuen, sich selbst tragenden Profitzyklus mit digitalen Technologien verknüpft. Die Folge ist ein erneuerter Technikfetischismus, durch den einzelne Big-Tech-Unternehmer zu Stars werden und der immer neue Hypes kennt, man denke nur an das Stichwort KI. Allein: So digital die Welt auch geworden ist, so groß die Technik-Träume auch daherkommen, ein neuer Profitzyklus ist bislang nicht in Sicht. Ein Unternehmen wie zum Beispiel Amazon ist nicht profitabel, weil es einen Zukunftsmarkt beherrscht. Es fährt nur deshalb Gewinne ein, weil seine digitale Service-Sparte von Regierungsaufträgen der USA profitiert.

Wagniskapital

Wenn nun Elon Musk von diesem Technikfetischismus insofern profitierte, weil er 2002 beim Verkauf von PayPal eine riesige Summe Geld verdiente, dann müssen wir jetzt den Weg verstehen, wie er mit diesem Startkapital zu einem der reichsten Menschen dieser Welt werden konnte. Vordergründig könnte man denken, dass dies mit Tesla zu tun hat. Aber auch wenn Tesla eine wichtige Rolle bei der Ausweitung von Musks Reichtum allein durch seinen wachsenden Börsenwert spielt, so ist das Unternehmen dennoch nur Teil einer besonderen Investitionsstrategie, die gemeinhin als Venture-Capital bekannt ist.

Dieses Venture-Capital-Konzept verdient unsere Aufmerksamkeit aber nicht nur wegen Musk und Tesla. Gerade wenn uns der parallele Aufstieg einer ganzen Riege von Musk-Masken wie zum Beispiel der sogenannten PayPal-Mafia in die Welt der Superreichen (Peter Thiel, Marc Andreessen, David Sacks u.a.) interessiert, ist ein Blick auf das Venture-Konzept notwendig, verstehen sich diese Akteure doch allesamt als Venture-Kapitalisten.

Venture-Capital meint übersetzt Wagniskapital. Schon das zeigt, dass diese Kapitalstrategie – die ihre Anfänge nach dem Zweiten Weltkrieg hatte – eng mit dem Anlagenotstand der andauernden Überakkumulationskrise verknüpft ist.

Wer aber wagt hier genau was und wie? Kurz gesprochen sind Venture-Kapitalisten Investoren, die neuen Geschäftsideen aus dem verheißungsvollen Tech-Bereich mit Kapital beispringen, eben weil solche Ideen oft vage sind, so dass diese Start-ups kaum Zugang zu eher konservativem Bankkapital finden. Zentral dabei ist, dass der Venture-Kapitalist nicht abwartet, bis das junge Unternehmen erfolgreich Profite erwirtschaftet. Vielmehr legt er vorab mit den Start-up-Eignern einen Exit-Zeitpunkt X fest, an dem er aussteigen wird. Das gibt dem Venture-Prozess eine spekulative Dimension. Um im Umfeld des Anlagenotstands einen großen Profit zu kassieren, ist nämlich die Versuchung für Venture-Kapitalisten groß, zum Zeitpunkt X das entsprechende Start-up für Käufer etwas aufzuhübschen.

Das bedeutet aber nicht, dass Venture-Prozesse eine Betrugsmasche sind. Venture-Kapitalisten gehen durchaus Risiken ein und versuchen, diese entsprechend zu minimieren. Das tun sie etwa, indem sie ihre Anlagen diversifizieren und immer in viele Start-ups gleichzeitig investieren. Die Pointe ist einfach: Diese fordistisch anmutende Massen-Anlage in Tech-Start-ups führt dazu, dass Venture-Kapitalisten wenige erfolgreiche Investments zum Zeitpunkt X genügen, um am Ende fett Kasse zu machen. Mit Blick auf diese Kasse haben Venture-Investoren außerdem ein großes Interesse daran, dass ihre Start-ups früh monopolartige Positionen am Markt einnehmen, oder wie der Venture-Milliardär Peter Thiel betont: »Competition is for Loosers« (Wettbewerb ist für Versager)! Denn: Die Monopolposition bedeutet die größtmögliche Wertsteigerung für Start-ups zum Zeitpunkt X.

Wirtschafts- und gesellschaftshistorisch sind die Folgen des Venture-Konzepts zu Beginn des 21. Jahrhunderts beeindruckend und beängstigend zugleich. Zum einen ist Venture-Kapital der Motor einer fortlaufenden Tech-Unternehmensgründungswelle, die inzwischen von Biotech-Firmen wie Moderna über Unternehmen wie Tesla oder Space X bis hin zu Amazon, Uber, Lyft oder Spotify reicht und an der inzwischen ein weit verzweigtes globales Investoren-Netzwerk beteiligt ist. Zum anderen ist damit ein mächtiges, globales Kapitalsubjekt entstanden, dass nicht nur »too big too fail« ist. Indem dieses Subjekt fast alle neuen Unternehmensideen der Welt kennt und durch seine Investitionen kontrolliert, besetzt es alle kapitalistischen Entwicklungspfade präventiv. So unglaublich das klingt: Jedes soziale und ökologische Problem lösen die Musk-Masken in eine digitale Programmierungsfrage auf, immer in der Hoffnung, damit die großen Profiteure des Katastrophen-Kapitalismus (Naomi Klein) zu sein.

Tech-Ideologie

Dies vor Augen wird es umso wichtiger, die politischen Positionen der Musk-Masken zu berücksichtigen. Dabei wäre es übertrieben, die Venture-Tech-Szene über einen Kamm zu scheren. Gleichzeitig jedoch kann man nicht umhin, die Bedeutung diverser Venture-Tech-Kapitalisten für die Verbreitung eines technikgläubigen Anarcho-Liberalismus hervorzuheben, in dem der rassistische Glaube verbreitet ist, dass die Menschheit durch unterschiedlich angeborene Intelligenzquotienten geprägt sei. (ak 708)

Bemerkenswert ist, dass dieser Weg bereits von Beobachtern der frühen IT-Szene antizipiert wurde. Schon 1997 verwiesen Richard Barbrook und Andy Cameron in ihrem berühmten Aufsatz »Die kalifornische Ideologie« auf die Wahrscheinlichkeit, dass die damals politisch zwischen linken und rechten Positionen oszillierende Programmierer-Szene bei einem »kybernetischen Libertarismus« landen könnte, also einem bizarren »Mischmasch aus hippie-anarchistischem Denken und ökonomischem Liberalismus, angereichert mit viel technologischem Determinismus«.

Und wie bizarr dieser »Mischmasch« tatsächlich werden könnte, zeigte gleichfalls das 1997 erschienene Buch »The Souvereign Individual« (das souveräne Individuum) von James Dale-Davidson und William Rees-Mogg, das Investoren-Milliardäre wie Marc Andreessen und Peter Thiel prägte. Eine These dieses maßgeblichen Buches hebt der kanadische Historiker Quinn Slobodian in seiner neuen Studie »Kapitalismus ohne Demokratie« hervor: »Der Mensch sei in eine Phase der beschleunigten Evolution eingetreten. Es entstehe eine extrem mobile Superklasse besonders intelligenter Menschen, die genügsame Arbeitskräfte mit niedrigen IQs aus der Ferne lenken und ihr Vermögen dem Zugriff gieriger Staaten entziehen könnten.« Slobodian umreißt auch das Konzept des souveränen Individuums: »Die Form des Nationalstaates sei dysgenisch. Sie widerspreche den Gesetzen des evolutionären Fortschritts und sei mit dem Überleben der Menschheit unvereinbar. In einer Ära der Hypermobilität sei es im Interesse der Evolution, sich deren nationalen Zwängen zu entziehen. Die aufstrebenden globalen Eliten würden ihre Scheuklappen ablegen. Sie würden erkennen, dass die nationale Identität für sie keinerlei Sinn mehr hatte. (…) Das souveräne Individuum wisse, dass es niemandem außer sich selbst verpflichtet sei.«

Griff nach der Staatsmacht

Wer jetzt denkt, dass diese Prognose einer kommenden transnationalen Superklasse falsch war, weil es im Jahr 2025 immer noch Nationalstaaten gibt, sollte vorsichtig sein. Ein Blick auf das gegenwärtige Verhältnis des Venture-Kapitalismus zum bürgerlichen Staat verdeutlicht: Der bürgerliche Staat büßt seine Hoheit über die Big-Tech-Unternehmer immer mehr ein.

Der erste Grund hierfür lautet: Neben dem Umstand, dass Staaten gerne bereit sind, Vermarktungsprozesse von Technologien geduldig zu unterstützen, die ja zumeist von öffentlichen Forschungseinrichtungen geschaffen wurden, sollten wir nicht unterschätzen, dass Staaten die digitale Technikentwicklung als Machtmittel betrachten. Peter Thiel verdient beispielsweise mit seinem Investment Palantir riesige Summen im militärisch-industriellen Komplex der USA. So wird leicht verständlich, warum viele bürgerliche Staaten fürsorglich und unkritisch agieren, wenn es um Tech-Unternehmen geht.

Der bürgerliche Staat büßt seine Hoheit über die Big-Tech-Unternehmer immer mehr ein.

Zweitens: Diese Zusammenarbeit zwischen Staatlichkeit und digitalen Venture-Netzwerken führt inzwischen oft genug zu einer zunehmenden Abhängigkeit diverser Staaten von diesen privaten Tech-Netzwerken. Dies wurde etwa in der Corona-Pandemie deutlich. Es war wesentlich biotechnologischen Venture-Unternehmen wie Moderna oder Biontech zu verdanken, dass die Welt 2020 alsbald ein Impfmittel gegen die Pandemie bekam.

Drittens schließlich: Wenn Staaten wie Russland seit geraumer Zeit eindrucksvoll demonstrieren, wie gut man mit einer autoritär orchestrierten High-Tech-Szene demokratische Wahlen in anderen Ländern beeinflussen kann, so entstand dabei eine Art Versuchung für die superreichen Venture-Kapitalisten der USA. Warum sollten sie das russische Machtverhältnis nicht einfach umdrehen? Also durch massive Spenden und digitale Propaganda eine US-Regierung herbeiführen, in der sie auf maßgeblichen Einfluss hoffen durften? Konnte man damit nicht elegant Regulationen außer Kraft setzen, die der Verwirklichung der eigenen Technik- und Monopolfantasien im Weg standen? Und wichtiger noch: Wenn viele dieser Venture-Kapitalisten überzeugt waren, einer besonderen, weil intelligenteren Art Mensch anzugehören – warum sollte diese »Herrenrasse« ihre Träume vom ewigen Leben (Thiel), ihre Visionen von einer eigenen Zivilisation auf dem Mars (Musk), ihre Hoffnung auf die Herrschaft einer »Elite von Investoren« (Andreessen) weiter mühsam demokratisch vorantreiben, statt als Big-Tech-Herrscher disruptiv durchzuregieren?

Zu Beginn des Jahres 2025 wissen wir, dass die Musk-Masken dieser Versuchung nicht widerstanden. Zumal sie in Donald Trump einen perfekten Partner für die Übernahme der USA erblickten: Nicht besonders schlau, korrupt und genau jener Typ des skrupellosen Menschenfängers, mit dem es die Ansammlung von IT-Nerds weit bringen kann.

Das Ergebnis ist eine furchterregende Herrschaftsformation. Wenn nämlich ein Präsident Trump für sich genommen schon Arges und Autoritäres befürchten ließ, dann bahnt sich hier Schlimmeres an. In der Trump-Regierung sitzen neben Elon Musk eine ganze Reihe von Peter-Thiel-Freunden wie der Vize-Präsident J.D. Vance, Peter Sacks, Blake Masters und Jacob Helberg. Im wirtschaftlich und militärisch stärksten Land der Welt ist mit anderen Worten eine eng verflochtene Gruppe von libertären Narzissten und rassistischen Tech-Fantasten an die Macht gelangt. Und wenn man berücksichtigt, dass zentrale Akteure dieser Gruppe wie Peter Thiel oder Elon Musk im südafrikanischen Apartheidsystem herangewachsen sind, dann steht zu vermuten, dass die politische Reise der Musk-Masken hier ihr Vorbild hat und ein globales Apartheidsystem ihr Ziel ist.

Slave Cubela

ist Autor und schreibt u.a. regelmäßig für linksgewerkschaftliche Publikationen wie Express. Er hat eine Geschichte der modernen Arbeiter*innenklassen unter dem Titel »Wortergreifung, Worterstarrung, Wortverlust« (Westfälisches Dampfboot, 2023) veröffentlicht, in der er der Leiderfahrung der Arbeiter*innen im Arbeitsprozess eine besondere Rolle einräumt.