analyse & kritik

Zeitung für linke Debatte & Praxis

|ak 664 | Antirassismus & Antifaschismus

Leerer Sockel

In Berlin erinnert ein von Aktivist*innen errichtetes Mahnmal an die Opfer rassistischer Polizeigewalt

Von Marie Hoffmann

Das Mahnmal am Oranienplatz soll ein Ort für Trauer und Widerstand werden. Foto: Ludwig Thanhäuser

Wenn man durch deutsche Städte geht, glotzen einen alle paar hundert Meter Bronzemänner auf altherrschaftlichen Sockeln an. Schiller, Goethe, Luther, manchmal sogar Bismarck oder Erwin Rommel. In einer Nacht Ende September ist am Oranienplatz in Berlin-Kreuzberg ein Mahnmal dazugekommen, das ganz anders ist: Auf einer zwei mal drei Meter großen anthrazit-blau lackierten Metallplatte befindet sich ein leerer Sockel. »In Gedenken an die Opfer von Rassismus und Polizeigewalt« ist auf der Plakette zu lesen. Es zeigt uns nicht die in Stein gehauenen und in Bronze gegossenen Gesichter der herrschenden Eliten. Stattdessen erinnert es an 178 Menschen, die seit 1990 in deutschem Polizeigewahrsam gestorben sind und erschafft damit einen Ort, der bisher gefehlt hat. Einen Ort, um an diese Menschen zu erinnern und tödliche Polizeigewalt unübersehbar in den öffentlichen Raum zu bringen.

Der leere Sockel ist dadurch nicht nur eine Hommage an die rund um den Globus von der Black-Lives-Matter-Bewegung gestürzten Kolonialdenkmäler. Es zeigt auch die Leerstellen, die jene Menschen hinterlassen haben, die von der Polizei getötet wurden. Wie Hussam Fadl, der 2016 in Berlin von der Polizei erschossen wurde. Die Ermittlungen waren 2017 zunächst eingestellt worden, doch auf ein Klageerzwingungsgesuch der Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt wurden die Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft wieder aufgenommen. Für Hussam Fadl wurde am Tag nach dem Auftauchen des Mahnmals eine Gedenkveranstaltung abgehalten.

Die Initiative »Wo ist unser Denkmal?« hatte schon länger einen solchen Ort des Gedenkens gefordert. Der Aktivist Bijan engagiert sich in der Initiative: »Ich bin heute an der Gedenkstätte vorbeigekommen und fühlte mich glücklich, dass sie immer noch voller Blumen war. Es ist wichtig für mich, weil ich viele Fälle von Rassismus nicht nur in Deutschland, sondern auch im Iran, in der Türkei und in Griechenland gesehen habe«, sagt er. Das Mahnmal, das erst in Interaktion mit den Menschen, die es aufsuchen, zu einem echten Mahnmal wird, lädt Menschen dazu ein, Widerstand zu leisten. Gegen Jahrhunderte alte und jeden Tag neu hinzukommende Verletzungen, Male, die durch ein rassistisches System entstanden sind und immer wieder neu entstehen. »Die Tatsache, dass die Polizei rassistische Profile und rassistisches Verhalten gegen Einwanderer einsetzt, ist nicht als individuelle Angelegenheit zu sehen. Der systematische Rassismus ermöglicht es der Polizei, gewalttätiger gegenüber bestimmten Personengruppen vorzugehen«, so Bijan.

Ob die Stadt Berlin das Mahnmal abreißen wird, ist noch nicht geklärt. Die Initiative kämpft in einem offenen Brief und mit einer Petition für den Erhalt. »Ich halte es für wichtig, dass Menschen, denen die Stadt gehört, ihre Denkmäler und alles, was sie für notwendig halten, auf die Straße stellen können, solange es nicht das Leben anderer Menschen einschränkt. Da ich aus einem Land komme, das von einer Diktatur regiert wird, leuchtet mir überhaupt nicht ein, dass sich die Bürger hier einer höheren Macht völlig unterwerfen und das, was die Regierung tut, als absolutes Recht betrachten«, erklärt Bijan. Der einzige Grund, warum es in Ländern wie Deutschland vergleichsweise mehr Freiheiten gibt, sei, dass Menschen für jedes einzelne Recht eingetreten und dafür gekämpft hätten. »Die Stadt gehört den Menschen, nicht den Regierungen, und daran sollten wir uns immer erinnern.« Für den Fall, dass die Stadt Berlin das Mahnmal doch abreißen lässt, gibt es einen Plan B. Denn das Mahnmal lässt sich mit einfachen Mitteln aus dem Baumarkt nachbauen und wieder errichten. Das Kollektiv, das das Mahnmal aufgestellt hat, kündigt an: »Wir arbeiten an einer DIY-Anleitung, damit noch viele weitere Mahnmale gegen rassistische Polizeigewalt entstehen. Am besten überall, wo sie stattfindet.«

Marie Hoffmann

ist Antifaschistin.