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Zölle und Spiele

Trump bietet mit seinen handelspolitischen Eskapaden von allem ein bisschen: satte Gewinne, hohe Verluste und die Angst vorm Crash

Von Andreas Kallert

Das Bild zeigt US-Präsident Donald Trump. der auf einer Bühne zwischen zwei USA Flaggen steht und gerade zu tanzen scheint.
The Master of Disaster. Foto: Liam Enea/Flickr , CC BY-SA 2.0

An der Frankfurter Börse müssten eigentlich fast täglich die Sektkorken knallen: Seit Anfang 2024 ist der deutsche Leitindex DAX um fast 45 Prozent gestiegen. Selbst die massiven Turbulenzen an den internationalen Märkten in Folge von Trumps Zoll-Rundumschlag Anfang April bedeuteten für den DAX nur einen kleinen Rückschlag; schon kurz darauf wurden wieder neue Rekordstände gemeldet. Tatsächlich ist die Entwicklung des Deutschen Aktienindex’ angesichts von Zollkrieg, globalen militärischen Konflikten und wirtschaftlicher Stagnation in Deutschland überraschend. »Aktuell massiv überkauft« sei der DAX einem Finanzmarktanalysten der ING-Bank zufolge. Und auch die Finanzaufsicht BaFin sieht noch ein »erhebliches Potenzial für weitere Rückschläge«, die »möglicherweise systemweite Auswirkungen haben könnten«.

Solchen Szenarien schien die Finanzwelt im April bereits sehr nahe: Nach Trumps »Liberation Day« Anfang des Monats und der Ankündigung weitreichender Zölle gab es Panikverkäufe auf den globalen Märkten; es kam zu drastischen Verlusten. Angesichts der drohenden Folgen für den Welthandel wurden allein in den USA bei den drei wichtigen Indizes Dow Jones, S&P und Nasdaq innerhalb zweier Tage mehr als sechs Billionen US-Dollar an Aktienwert vernichtet. Betroffen waren davon auch und besonders die Tech-Milliardäre in der Regierung und im Nahumfeld von Trump: Allein Elon Musk, Jeff Bezos und Mark Zuckerberg verloren angesichts drohender Gegenzölle und (erwarteter) Umsatzeinbrüche Anfang April rund 80 Milliarden US-Dollar und waren entsprechend wenig begeistert.

Sprunghafter Präsident

Seit Trumps aufsehenerregender Rücknahme der meisten Strafzölle nur wenige Tage später, am 9. April, hält sich zwar eine hohe Volatilität im Markt, aber der große Crash scheint fürs Erste verhindert worden zu sein. Aber wie ist diese Kehrtwende von Trump im Zollkrieg eigentlich zu erklären? Besonders überrascht dürfte der US-Präsident nicht gewesen sein, dass sein Angriff auf den Welthandel die Börsenkurse durcheinanderwirbelt. Hinweise auf Insider*innenhandel im Vorfeld von Trumps Rücknahme der Strafzölle sind zwar durchaus ernst zu nehmen: Die US-Demokraten werfen Trump Marktmanipulation vor, da dieser ebenso wie Musk und andere regierungsnahe Superreiche mit dem Wissen um die Rücknahme der Zölle von den Kurssprüngen auf den Aktienmärkten stark profitieren konnte. Als Hauptmotiv für die Kehrtwende in der Zollpolitik mitsamt der diplomatischen Verwerfungen taugt diese Erklärung allerdings nur sehr bedingt.

Bedrohlich dürfte aus Sicht von Trump aber die Entwicklung auf den Anleihenmärkten gewesen sein. Während die Börsenkurse weltweit sanken, stieg der Kurs der 10-jährigen US-Anleihe von 4 auf 4,5 Prozent. Dabei wäre grundsätzlich das Gegenteil zu erwarten gewesen: Stürzen Aktien ab, meiden Investor*innen entsprechend die Aktienmärkte und suchen sichere Anlagen für ihr Kapital. Einen solchen vergleichsweise »sicheren Hafen« stellt der Anleihenmarkt dar. Hier werden zum größten Teil Staatsanleihen gehandelt, weshalb dort die Zinssätze im Falle eines Börsencrashs für die besonders kreditwürdigen Staaten wie USA, Deutschland oder Großbritannien in der Regel sinken: Die Anleger*innen wollen krisensichere Staatsanleihen kaufen und bieten deshalb günstigere Zinssätze an.

Dies traf auch Anfang April auf die meisten Staatsschulden zu, nicht jedoch auf die der USA. Der Anstieg der 10-jährigen US-Anleihe um einen halben Prozentpunkt innerhalb weniger Tage löste in Washington und New York große Besorgnis aus. Nicht nur wird dadurch die (Re-)Finanzierung der gigantischen Schulden der USA in Höhe von über 36 Billionen US-Dollar teurer: Jährlich nehmen die USA Kredite im Wert von mehreren Billionen US-Dollar auf, sodass eine solche Zinsänderung milliardenschwere Konsequenzen in den öffentlichen Haushalten nach sich zieht und den Handlungsspielraum für Trumps Regierung beschneidet. Auch hängen die privaten Kredite für Immobilien, Studium, Autokauf etc. vom Kurs der US-Anleihen ab, weshalb eine Verteuerung von Krediten und entsprechend eine Verringerung der Binnennachfrage drohte.

Dies hätte der vom Zollkrieg ohnehin gebeutelten US-Wirtschaft weiteren Schaden zugefügt und eine Wirtschaftskrise auslösen können. Diese für Trumps Regierung äußerst problematische Entwicklung des Marktes für US-Anleihen dürfte einer der Hauptgründe dafür gewesen sein, dass Trump die temporäre Aussetzung der Strafzölle außer für China verkündete und damit eine spektakuläre Kehrtwende einleitete. Mittlerweile haben sich selbst China und die USA auf eine Pause im Zollkrieg verständigt.

US-Schuldenkonstrukt wackelt

Doch wie kam es zu dieser unerwarteten gegenläufigen Entwicklung von sinkenden Preisen an den Börsen und steigenden Zinsen für US-Staatsanleihen? Einerseits mussten Hedgefonds US-Staatsanleihen verkaufen, da sie mit hohen Summen auf minimale Preisunterschiede gewettet hatten. Hedgefonds agieren mit sehr viel Fremdkapital in Gestalt von Kreditaufnahmen, um den maximalen Hebeleffekt zu erzielen. Die kreditgebenden Akteur*innen verlangten jedoch angesichts der massiven Preisschwankungen auf dem Anleihenmarkt nach zusätzlichen Sicherheiten, sodass die Hedgefonds zum Verkauf von US-Staatsanleihen gezwungen waren, um die notwendigen liquiden Mittel zu beschaffen.

Andererseits formierte sich im Hintergrund Berichten zufolge eine mächtige Allianz gegen die USA: Unter Federführung von Kanada, das sehr heftigen Attacken von Trump bis hin zur Forderung der Einverleibung ausgesetzt ist, einigten sich einige EU-Länder und Japan darauf, nicht nur mit Gegenzöllen zu reagieren, sondern einen Teil der von ihnen gehaltenen Staatsanleihen auf den Markt zu werfen. Diese Länder vereinen US-Staatsanleihen im Wert von deutlich über einer Billion US-Dollar, und selbst das Abstoßen eines kleinen Teils dieser Anleihen sorgte bereits für den deutlichen Anstieg der US-Zinsen. Damit sendeten sie das Signal an die Märkte aus, dass der US-Dollar ebenso wie US-Staatsanleihen verwundbar sind.

Der Ausverkauf der US-Anleihen sei ein Hinweis, dass »US-Treasuries nicht mehr als sicherer Hafen im globalen Rentenmarkt gelten«, so ein Experte der Citigroup. Trump und seiner Notenbank wurde damit deutlich gemacht, dass das Schuldenkonstrukt der USA – der US-Dollar als unangefochtene Leitwährung und damit die schier unbegrenzte Möglichkeit zur Verschuldung der USA – auf wackeligen Beinen stehen kann. Das koordinierte Vorgehen – wohlgemerkt ohne China als weiteren Big Player in Sachen US-Staatsanleihen – zeigte, dass die von den US-Zöllen besonders betroffenen Exportnationen nicht völlig schutzlos der protektionistischen Politik des US-Präsidenten ausgeliefert sind.

Im Hintergrund einigte sich eine mächtige Allianz darauf, einen Teil der US-Staatsanleihen auf den Markt zu werfen

Dieser Erfolg sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Aussichten alles andere als rosig sind: Trotz der vielfachen Beteuerungen der Finanzaufsichten, dass das Finanzsystem seit der Krise 2007 bis 2009 stärker reguliert und damit resilienter gegenüber Marktschocks geworden sei, stellt die deutlich gestiegene weltweite Verschuldung eine große Gefahr für die Stabilität des Finanzsystems und damit für die gesamte Weltwirtschaft dar. Das gilt insbesondere für den sogenannten Schattenbankensektor, also bankähnlichen Finanzinstitutionen wie Hedgefonds oder Lebensversicherer, die außerhalb des regulären Banksystems ebenfalls Kredite vergeben. Dem Financial Stability Board nach vereint dieser Sektor mittlerweile mit rund 250 Billionen US-Dollar knapp die Hälfte des weltweiten Finanzvermögens. Hedgefonds verwalten heute das 15-fache Vermögen im Vergleich zu 2008 und sind neben den regulären Geschäftsbanken und institutionellen Renten- und Versicherungsfonds zu wichtigen Akteuren im Handel mit Staatsanleihen aufgestiegen. Allerdings sind sie deutlich weniger reguliert und nicht den vergleichsweise strengen Eigenkapitalanforderungen unterworfen.

Bail-Out-Szenario

Heftige Kursschwankungen im Anleihenmarkt, wie kürzlich im April, könnten sich, so wird befürchtet, negativ auf die globale Finanzstabilität auswirken, da im Schattenbankensektor mit ungemein großen Geldsummen agiert wird. Dabei übersteigt das investierte und geliehene Fremdkapital das Eigenkapital dieser Institutionen um ein Vielfaches und kann damit im Krisenfall für massive Verluste bei den Geldgebern sorgen. Anders als bei den stark regulierten Geschäftsbanken spielen im Schattenbankensektor klassische Spareinlagen von Kleinanleger*innen keine Rolle. Zumeist handelt es sich um institutionelle Anleger wie Versicherungsgesellschaften oder Pensionsfonds sowie um vermögende Privatpersonen. Eine Schieflage einiger Schattenbanken könnte Regierungen zum »bail-out«, also zu staatlichen Rettungsaktionen zwingen – weniger, um das Geld der Kund*innen zu retten, als vielmehr, um die Finanzstabilität zu sichern.

Neu wäre das nicht: Bereits 1998 wurde mit Long-Term Capital Management (LTCM) ein US-Hedgefonds als »too big to fail« eingestuft und schließlich mit einem 3,6 Milliarden US-Dollar schweren Paket gerettet, da sich LTCM im Zuge der damaligen Währungskrise in Russland mit Staatsanleihen verspekuliert hatte. Angesichts der extrem hohen Kreditaufnahmen von LTCM von deutlich über 100 Milliarden US-Dollar und laufenden Derivaten gar über einer Billionen US-Dollar war im Falle einer Insolvenz und damit Abschreibung der Kredite eine Kettenreaktion auf die internationalen Finanzmärkte befürchtet worden.  Ähnliche Szenarien sind im aktuellen Marktumfeld tendenziell wahrscheinlicher geworden, jedoch nun in ganz anderen Größenordnungen.

Trumps unberechenbare Politik und das von ihm gestiftete Chaos an den Märkten sollten allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass das globale Finanzsystem angesichts struktureller Schieflagen wie im Falle der weitgehend unregulierten mächtigen Schattenbanken ohnehin früher oder später in eine Krise mit der weitreichenden Entwertung der angehäuften Kapitalien geraten wird – die Hausse an der Frankfurter Börse trotz wirtschaftlicher Stagnation spricht eher dafür, dass es nicht mehr allzu lange dauern wird.

Andreas Kallert

ist Politikwissenschaftler und hat zur Bankenrettung während der Finanzkrise 2007 bis 2009 promoviert.