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Das Kartenhaus wackelt

Ein Befangenheitsantrag, eine Hausdurchsuchung und die Entkräftung weiterer Vorwürfe rütteln am Verfahren gegen Lina E.

Von Carina Book

Nachtaufnahme eines beleuchteten Schriftzugs "Free Lina" und eines beleuchteten Kartenhauses
Eine Kunstaktion von Freund*innen, Bekannten, Verwandten und anderen Unterstützer*innen aus Kassel. Foto: Michael Schürmann

Im Prozess gegen Lina E. und drei Mitangeklagte vor dem Dresdner Oberlandesgericht gibt es gute Nachrichten. Wie so oft in diesem Verfahren hatten rechts-konservative Medien Informationen der Generalstaatsanwaltschaft dankend aufgegriffen und insinuiert, die Schuldigen seien bereits gefunden. Eine Schlagzeile der WELT lautete am 11. Oktober: »Angriff auf Prokuristin in 2019: Spur führt zu Lina E.« Diese Mär machte gleich die große Runde durch viele Medien – auch durch die eigentlich seriösen. Die Erzählung von der »Hammerbande« scheint unendlich erweiterbar: Aus jeder Straftat, die nur im Geringsten mit einem linken Motiv in Verbindung gebracht werden könnte, wird ein neues Kapitel über Lina E. und eine vermeintliche »kriminelle Vereinigung« hochgeschrieben. Nun aber informierte die Generalstaatsanwaltschaft Dresden über die Einstellung der Ermittlungen wegen des Verdachts der Beteiligung an dem Überfall. In einer Pressemitteilung heißt es: »Die Tatbeteiligung von Lina E. konnte nicht mit der für eine Anklageerhebung notwendigen Sicherheit nachgewiesen werden.«

Einstellungsmitteilungen kennt auch Henry A. zur Genüge. Mehrere Ermittlungsverfahren gegen ihn mussten bereits ad acta gelegt werden. Dennoch gerät er immer wieder in den Fokus des Verfolgungseifers der Soko Linx. In sechs Teilen dokumentiert die Leipziger Zeitung, wie Henry A. seit acht Jahren unschuldig verfolgt wird. Zuletzt hatte es am 28. April 2021 eine Hausdurchsuchung bei dem ehemaligen Vorstandsmitglied der BSG Chemie Leipzig gegeben, bei der nach Beweisen für eine Beteiligung Henry A.s an einem Angriff auf rechte Fans des Fußballvereins Lokomotive Leipzig gesucht wurde. Doch die Durchsuchung blieb ergebnislos. Stattdessen fanden die Ermittler*innen der Soko Linx Bauakten, die Henry A. als Mitarbeiter der Baubehörde im Homeoffice in der Wohnung aufbewahrte. Die Soko Linx verdächtigte A. daraufhin, die Akten unterschlagen zu haben. Kurz darauf wurde bekannt, dass der Soko Linx-Ermittler Patrick H. womöglich eine persönliche Fehde mit dem Durchsuchten am Laufen haben könnte. Denn Henry A. ist im Bauordnungsamt zuständiger Sachbearbeiter für einen Neubauplan in Patrick H.s Nachbarschaft, gegen den sich Patrick H. in einer Bürgerinitiative engagiert. Nur zwei Wochen nach der Veröffentlichung dieser brisanten Informationen rückte die Soko Linx erneut nach Connewitz aus und wieder musste Henry A. eine siebenstündige Hausdurchsuchung über sich ergehen lassen. Der Vorwand diesmal: angeblicher Handel mit Betäubungsmitteln.

Die Obsession, mit der die Soko Linx Henry A. verfolgt, bereitet auch dem Solidaritätsbündnis Antifa Ost Sorgen: »Wir sehen hier ein Ausmaß an Repression, das uns in Deutschland bisher relativ unbekannt ist.

Alles in der Causa Henry A. erweckt den Anschein, dass die Soko Linx nach dem Motto »Strafen durch Verfolgung« zu Werke geht.

Obgleich alle Verdächtigungen gegen Henry A. mehrfach widerlegt wurden und mehrere Verfahren gegen ihn eingestellt wurden, lässt die Soko Linx nicht von ihm ab. Die Soko Linx hat den Rahmen der Rechtsstaatlichkeit offensichtlich schon lange verlassen,« sagt Sprecherin Marta Zionek. Gegen den Soko Linx Beamten Patrick H. ermittelt unterdessen die Staatsanwaltschaft Chemnitz. Nicht aber wegen der obskuren Ermittlungen gegen Henry A., sondern weil er verdächtigt wird, Dienstgeheimnisse verraten und Informationen an rechte Medien durchgestochen zu haben. Die neuerlichen Ermittlungen gegen Henry A. werfen allerdings die Frage auf, ob gegen die Soko Linx nicht zumindest ein Anfangsverdacht der Verfolgung Unschuldiger nach Paragraf 344 des Strafgesetzbuches vorliegen könnte. Denn alles in der Causa Henry A. erweckt den Anschein, dass die Soko Linx hier nach dem Motto »Strafen durch Verfolgung« zu Werke geht.

Freie Hand für die Soko Linx?

Vorgänge wie dieser könnten auch bei dem Richter im Verfahren gegen Lina E. Zweifel auslösen – darauf spekulierten auch die Aktivist*innen des Solidaritätsbündnis Antifa Ost: »Wir hatten die Hoffnung, dass die Prozesspause dazu führen würde, dass die vielfältigen Entlastungsmomente der vorangegangenen Prozesstage und der Auftritt des Soko Linx Beamten Patrick H., der von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machte, etwas Eingang finden würden in die Bewertung des Richters. Doch der vorsitzende Richter ist der festen Überzeugung, dass der Polizei eine Objektivität beigemessen werden kann.« Kritische Fragen der Verteidigung, die auf die Unabhängigkeit der Ermittlungstätigkeit der Soko Linx abzielten, ließ der Richter nicht zu. In einem Wortgefecht, in dem die Verteidigung darauf hinwies, dass es durchaus Aufgabe des Gerichts sei, die Arbeit der Exekutive zu überprüfen, erklärte der vorsitzende Richter stattdessen: »Nein, das ist es nicht. Das ist die Aufgabe der Dienstaufsicht und weiterer. Im Verwaltungsrecht ist das anders.« Eine interessante Rechtsauffassung, denn schließlich stellen die Ermittlungen der Soko Linx die Grundlage für die Konstruktion einer kriminellen Vereinigung dar.

Die Verteidigung stellte daraufhin einen Befangenheitsantrag und erklärte in einer Pressemitteilung: »Ein vorsitzender Richter, der es als seine Aufgabe ansieht, die Ermittlungsergebnisse unhinterfragt in die Hauptverhandlung einzuführen und sogar der Verteidigung das Hinterfragen untersagt, ist nicht unparteilich.« Das sahen die vier Kolleg*innen des vorsitzenden Richters anders und lehnten den Befangenheitsantrag ab, zur Erschütterung des Solidaritätsbündnis Antifa Ost. »Durch die ersten elf Prozesstage ist die Wahrnehmung entstanden, dass der Richter die Beweise, die die Soko Linx geliefert hat, möglichst schnell, möglichst unkompliziert und möglichst widerspruchslos in den Prozess eingeführt wissen will. Er setzt offenbar darauf, so ein revisionssicheres Urteil zu bauen. Das ist natürlich fatal bei einem Verfahren, in dem verschiedene Straftaten einfach aneinandergereiht und in den Corpus des Paragrafen 129 gepresst werden.«, so Marta Zionek.

Wenn nun also weder der vorsitzende Richter des Dresdner Oberlandesgericht noch die Generalbundesanwaltschaft in einem so prominenten Verfahren wie dem gegen Lina E. willens sind, die Arbeit der Soko Linx zu überprüfen, wer soll es denn dann tun? Das beunruhigt auch Marta Zionek: »Es scheint, als würde Soko Linx offenbar von niemandem in irgendeiner Weise reglementiert werden. Trotz all den bereits belegten Fehlern und Grenzübertritten der Soko Linx, sind kritische Nachfragen unerwünscht. Da bekommt man ein mulmiges Bauchgefühl, wenn man da länger drüber nachdenkt.«