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Schein-Zwerg Springer

Von Peter Lafahr

Die 68er Bewegung wollte das Medienhaus enteignen. Foto: JP06035 / Wikimedia , , gemeinfrei

Der letzte Skandal aus dem Hause Springer ist noch gar nicht lang her. Der Chefredakteur der Welt, Ulf Poschardt, hatte die neue Bundesinnenministerin, Nancy Faeser (SPD), dafür kritisiert, vor einiger Zeit mal für die Mitgliederzeitung der VVN-BdA geschrieben zu haben. Ganz der staatstragende Journalist warf er der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes vor, dass sie immer noch vom Inlandsgeheimdienst beobachtet wird, und forderte Abgrenzung nach links von Faeser (die nun wahrlich keine Linke ist). In einer ersten Version des Artikels stand die inzwischen berühmt gewordene Formulierung der »super Holocaust-Überlebenden«; verlinkt war in der Formulierung ein Artikel über die Holocaust-Überlebende Inge Auerbacher, die am 27. Januar im Bundestag gesprochen hatte. 

Nach einem Empörungssturm ruderte die Redaktion zurück und behauptete, die Formulierung sei durch einen technischen Fehler in die Online-Version des Kommentars gerutscht, eigentlich habe da »superlinke Aktivistinnen« stehen sollen. Tatsache ist, dass der Kommentar weiterhin die VVN-BdA, eine von Holocaust-Überlebenden gegründete Organisation, diffamiert: Wenn sie zu links sind, scheinen sie im Hause Springer egal zu sein, trotz Redaktionsstatuten gegen Antisemitismus. Tatsache ist auch, dass der Fehler in den drei langen Stunden, die der Kommentar mit der »super Holocaust-Überlebenden« online lief, niemandem aus der Redaktion auffiel und die Leser*innenschaft ihn hundertfach freudig teilte und zustimmend kommentierte. Warum störte sich kein*e Welt-Leser*in daran? Weil er in die endlose Reihe der gewollten Grenzüberschreitungen von Bild, Welt und Co. der letzten Jahre passte.

Bild hat trotz des (erneuten) Rechtsrucks der letzten Jahre ihre Leser*innen verloren, weil sie nicht mehr Stichwortgeberin des Stammtischs ist.

Die wiederum entspringt Überzeugung und Kalkül. Wie alle großen Zeitungen haben Bild und Welt in den letzten Jahren einen herben Auflagenverlust hinnehmen müssen. Während das große Boulevardblatt Ende der 1990er Jahre noch eine Auflage von 4,5 Millionen hatte, ist es mittlerweile bei 1,2 Millionen Exemplaren angelangt. Und Bild hat trotz des (erneuten) Rechtsrucks der letzten Jahre ihre Leser*innen verloren, weil sie nicht mehr Stichwortgeberin des Stammtischs ist. Hetze gibt es jetzt auch woanders.  

Seit Oktober 2021 ist Springer indes auch selbst Thema in den Medien. Der ehemalige Chefredakteur der Bild, Julian Reichelt, hat dem Verlagshaus einen veritablen #MeToo-Skandal beschert. Reichelt soll seine Position ausgenutzt und Frauen bedrängt haben. Neben einer Recherche von Ippen Investigativ, deren beinahe gescheiterte Veröffentlichung eine eigene männerbündlerische Provinzposse unter Zeitungsmillionären ist, war es vor allem die New York Times, die das Ganze an die Öffentlichkeit brachte. Der Konzern tat alles, um es noch schlimmer zu machen: abwiegeln, dementieren. Am Ende musste der Bild-Chef gehen. Aber der Skandal geht weiter: Die britische Financial Times (FT) hat nun veröffentlicht, dass entgegen anders lautender Behauptungen vor allem Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner mehr zu den Vorgängen gewusst und versucht habe, mithilfe eines Anwalts eine Art Gegenermittlung zu starten, um Menschen, die sich gegen Reichelt positioniert hatten, und Betroffene zu diskreditieren.

Dass gerade eine britische und eine US-amerikanische Zeitung so auf den Springer-Verlag schauen, ist kein Zufall. Springer versucht derzeit, zum Global Player auf dem Zeitungsmarkt zu werden. So kaufte das Unternehmen kürzlich Politico, ein journalistisches Portal, das extrem einflussreich im Washingtoner Politikbetrieb ist. Die internationale Presse ist entsprechend daran interessiert, wer sich da als ihr Konkurrent aufschwingt, wie auch einer der Journalisten betont, der an der FT-Recherche beteiligt war. Der erwähnte Niedergang des Springer-Verlages ist also nur ein Teil der Wahrheit, der andere ist, dass Springer ebenso aggressiv zu expandieren versucht, um diesen Niedergang aufzuhalten. Und dass das Medienhaus regelmäßig gegen Arme, Arbeitslose, Migrant*innen und so weiter hetzt.

Peter Lafar

lebt, schreibt und kämpft in Hamburg.