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Stimmen der Freiheit

Der Mord an Zara Alvarez in den Philippinen ist Teil von Präsident Dutertes zunehmender Repression gegen Aktivist*innen

Von Catherine Abon und Jaazeal Jakosalem

Zara Alvarez lächelnd vor der Berliner Mauer
Zara Alvarez bei ihrem Bersuch in Berlin. Dort sprach sie über die Menschenrechtslage in den Philippinen. Foto: KARAPATAN Philippines

Rodrigo Roa Duterte, der populistische Präsident der Philippinen, versprach schon während seiner Wahlkampagne 2016, Drogenkonsument*innen und Drogenbosse zu töten, und sagte sogar, er würde sich persönlich daran beteiligen. Und schon bald nach seiner Wahl begann in vielen Städten und Gemeinden des Landes das Morden, angeblich durch staatliche Sicherheitskräfte. Das Morden macht selbst vor der Covid-19-Pandemie vier Jahre später nicht halt.

Die als »War on Drugs« geführte Kampagne trifft vor allem unschuldige Zivilistinnen, darunter 122 Kinder. Diese Taten ziehen allesamt keine Ermittlungen nach sich. Insgesamt schätzen internationale Beobachterinnen die Zahl der Opfer auf 25.000 bis 30.000, wohingegen konservative Schätzungen der UNO von 8.663 ausgehen. Der jüngste Bericht des UN-Menschenrechtsbüros, der am 4. Juni 2020 veröffentlicht wurde, wies auf die bedrohliche Menschenrechtssituation in den Philippinen hin: »Seit 2015 wurden mindestens 208 Menschenrechtsverteidiger*innen, Journalist*innen und Gewerkschafter*innen, darunter 30 Frauen, sowie mindestens 40 Juristinnen getötet, von denen viele an politisch heiklen Fällen arbeiteten oder sich für die Land- und Umweltrechte von Bauern und indigenen Gemeinschaften sowie für Wohnrechte der städtischen Armen einsetzten.«

Der Vertreter der philippinischen Streitkräfte, der damalige Brigadegeneral Antonio Parlade Jr., reiste 2019 durch die EU, um für Verteidigungshilfen für Dutertes »War on Drugs« zu werben. Nicht rechtfertigen musste er sich für die gewalttätigen Kampagnen gegen kommunistische Gruppen und Personen. Die deutsche Regierung – aber auch jede andere Regierung – sollte daher jede Form der Unterstützung einstellen, wenn sie sich nicht an den systematischen Tötungen auf den Philippinen beteiligen und diese ermöglichen will.

Mit Militär und Panzern gegen Covid-19

Präsident Duterte festigte seine Macht weiter, als er das am 3. Juli 2020 vom Kongress verabschiedete Antiterrorgesetz (Republikgesetz Nr. 11479) in Kraft setzte – mitten in der Covid-19-Pandemie. Das Gesetz ist höchst umstritten, da es den staatlichen Militär- und Polizeikräften volle Befugnisse für Verhaftungen ohne Gerichtsbeschluss einräumt und diese Institutionen jeglicher demokratischen Kontrolle entzieht. Den staatlichen Streitkräften des Duterte-Regimes wird dadurch per Gesetz erlaubt, was schon lange Praxis ist: Aktivist*innen, Regierungskritiker*innen und einfache Bürger*innen werden gefoltert und ermordet. Michelle Bachelet, die Hohe Kommissarin für Menschenrechte der Vereinten Nationen, bemerkte: »Die jüngste Verabschiedung des neuen Antiterrorgesetzes verstärkt unsere Besorgnis über die Verwischung wichtiger Unterscheidungen zwischen Kritik, Kriminalität und Terrorismus.« Sie fürchte, dass das Gesetz die humanitäre Arbeit in den Philippinen behindern und die Unterstützung für gefährdete Gruppen behindern könnte. Zudem sehe sie die Einhaltung der Menschenrechte in Gefahr, so Bachelet.

Die philippinische Regierung – ähnlich wie viele andere – ist mit ihrer Covid-19-Strategie gescheitert. Die Menschen fordern einen stärker gesundheitsorientierten Ansatz, anstatt Militärtruppen und Kriegspanzer unter strikter Abriegelung in die Großstädte zu schicken. Duterte schaltete Militärgeneräle und politische Kumpane ein, um die Pandemie-Maßnahmen zu steuern und zu leiten. So veranlassten diese am 15. Juli 2020 ein Haus-zu-Haus-Tracking der Covid-19-Infizierten durch staatliche Streitkräfte.

Indes spitzt sich auch die Versorgungslage in der Bevölkerung zu. Millionen sind bereits ohne Arbeit und unzählige Familien ohne Nahrung und Verpflegung. Die Regierung ist nach wie vor ratlos und ignoriert bewusst Forderungen von Gesundheitspersonal und Expert*innen. Unterdessen wurde bekannt, dass die Regierung Milliarden-Darlehen von internationalen Geldgebern erhielt. Es stellt sich allerdings die Frage, wohin das Geld geflossen ist. Wurden diese Mittel sinnvoll für die Ausstattung von Krankenhäusern, die Bewältigung der Nahrungsmittelkrise, die Vorbereitung von Wiederaufbauprogrammen in Bezug auf Lebensunterhalt und Bildung ausgegeben?

Keine Spur von Pressefreiheit

Duterte hat es auch auf auch die Pressefreiheit abgesehen. Am 10. Juli 2020 veranlasste er die Schließung von ABS-CBN, dem wichtigsten Fernsehsender für Nachrichten und Unterhaltung. Alles begann mit Dutertes persönlichem Groll auf den Sender. Er hatte im Wahlkampf keines seiner Wahlwerbespots gezeigt. Duterte veranlasste daraufhin, dass die Sendelizenz nicht verlängert wurde. Durch die Schließung verloren 11.000 Menschen ihren Arbeitsplatz, und Millionen von Filipinas und Filipinos haben nun keinen Zugang zu Nachrichten- und Informationsdiensten mehr.

Dutertes Zorn auf Medienorganisationen – insbesondere diejenigen, die ihm kritisch gegenüberstehen – ist offensichtlich. Er verunglimpft sie in der Öffentlichkeit und wies seine Handlanger an, Wege zu finden, gegen sie zu ermitteln und Beteiligte zu verhaften. Maria Ressa, eine mehrfach ausgezeichnete Enthüllungsjournalistin, CEO der Online-Informationswebsite Rappler und Kritikerin von Dutertes »War on Drugs«, wurde am 15. Juni 2020 wegen Verleumdung verurteilt.

Doch es regt sich Widerstand gegen Dutertes despotisches Regime. Eine wichtige Stimme war die von Zara Alvarez, einer 39-jährigen Aktivistin und Community-Organizerin. Beim Forum Anticolonial Berlin am 5. Oktober 2019 (ak 653) stellte Zara Alvarez die alarmierenden Morde des Duterte-Regimes auf der Insel Negros vor und sprach über Bergbau- und Landbauprojekte, gegen die sich viele Aktive aus Armutsbekämpfungs- und Umweltorganisationen wehrten.

Am 17. August 2020 wurde Zara Alvarez – vermutlich von den staatlichen Sicherheitskräften – ermordet; sechs Kugeln töteten sie an einem regnerischen Abend, während sie Reis und Lebensmittel für das Abendessen kaufte. Der Angreifer sorgte dafür, dass sie nie mehr gegen die Menschenrechtsverletzungen der Regierung Duterte sprechen wird. Zara Alvarez engagierte sich in vielen Bürgerversammlungen auf der Insel Negros, insbesondere arbeitete sie mit dem Negros Island Integrated Program (NHIP) und als Rechtsanwaltsgehilfin für Menschenrechtsorganisation KARAPATAN.

»Eine Stimme ist nur ein kleines Geräusch, doch viele Stimmen ergeben zusammen eine Stimme für die Freiheit.«

Zara Alvarez

Viele prangerten die grausame Ermordung von Zara Alvarez an. Aus der ganzen Welt kamen Rufe nach Gerechtigkeit: »Wir sahen in ihr eine unglaubliche Kämpferin, aber auch eine fürsorgliche Person, die bereit ist, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um ihre Genoss*innen, Schwestern und Brüder zu unterstützen«, hieß es in einer Erklärung der Convergencia Social aus Chile. Auch Anticolonial Berlin schloss sich der Verurteilung an. Die Organisation Voces Guatemala en Berlin erinnerte an Zaras Ausspruch: »Eine Stimme ist nur ein kleines Geräusch, doch viele Stimmen ergeben zusammen eine Stimme für die Freiheit. Auf dass wir bald merken, dass wir alle zusammen das Lied der Menschen singen und uns für ein Ende der politischen Verfolgungen einsetzen und Gerechtigkeit für alle Opfer von Menschenrechtsverletzungen fordern. Es wird die Zeit kommen, in der uns keine Angst mehr davon abhalten kann, den Drang nach Freiheit in uns allen zu kultivieren.«

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Der letzte Aufruf von Zara Alvarez war: Setzt Duterte ab! Sie war entschlossen, dass der Pseudo-Diktator durch eine Regierung ersetzt werden müsse, die menschenfreundlich ist; eine Regierung, die Wiedergutmachung und nicht Hinrichtungen schätzt.

Deutschland als relevanter Entwicklungspartner der Philippinen muss einen mutigeren Standpunkt einnehmen, um einen gewaltfreien Ansatz der Regierungsführung integral zu unterstützen; über die Wirtschafts- und Entwicklungshilfe hinaus gibt es Möglichkeiten, diplomatischen Druck auf Grundlage von Zivilität und Menschenrechten, die den Menschen in den Philippinischen zugutekommen, auszuüben. Die alarmierenden Morde an einfachen Filipinos und Filipinas und Aktivist*innen müssen aufgedeckt werden.

So wie sich das Land um Tausende philippinische Auswanderer*innen kümmert, die in Deutschland arbeiten und leben, sollte es auch die Forderung nach einer gerechten und zivilen Gesellschaft widerspiegeln, jede Form von Gewalt verurteilen, jeden diktatorischen Akt politischer Macht anprangern, sich gegen alle repressiven Mittel zur Unterdrückung der Freiheit wehren und all dies an Präsident Rodrigo Roa Duterte und seine Regierung richten. In der Tat können die Menschen in Deutschland gemeinsam und mutig mit den Filipinos und Filipinas rufen: Beendet das Morden! Gerechtigkeit für Zara Alvarez!

Catherine Abon

ist Wissenschaftlerin, Lehrerin und Aktivistin. Sie lebt seit 2011 in Deutschland und arbeitet zum Schwerpunkt Frauen- und Migrant*innenrechte. Sie ist Mitglied der philippinischen Frauenorganisation Gabriela Deutschland und des Interimsrates der europaweiten Koalition 28. April für die Rechte und das Wohlergehen von Migrant*innen und Flüchtlingen.

Jaazeal Jakosalem

Jaazeal Jakosalem ist Mitglied der Augustiner-Rekollekten und Kämpfer für Klimagerechtigkeit auf den Philippinen, unter anderem bei der Promotion of Church People’s Response-Europe (PCPR-Eu). Er hat an vielen Klimaverhandlungen der UNFCCC teilgenommen. Er lebt derzeit in Madrid.

Übersetzung: Paul Dziedzic