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Dem Attentäter von Halle keine Bühne geben

Im Prozess steht die Nebenklage an der Seite der Angegriffenen. Das ist besonders wichtig, wenn die Justiz nicht richtig funktioniert, sagt Rechtsanwalt Alexander Hoffmann

Interview: Carina Book

Weder Gesellschaft noch Sicherheitsbehörden schützten die jüdische Gemeinde in Halle. Einzig diese Tür bewahrte die Angegriffenen vor dem Attentäter. Foto: Reise Reise / Wikimedia, CC BY-SA 4.0

Nach dem Angriff auf eine Synagoge und einen Döner-Imbiss in Halle am 9. Oktober 2019, dem Tag des jüdischen Feiertages Jom Kippur, hat der Prozess gegen den Attentäter vor dem Oberlandesgericht Naumburg begonnen. 43 Betroffene treten vor Gericht als Nebenkläger*innen auf. Rechtsanwalt Alexander Hoffmann, ein Vertreter der Nebenklage, über Ausfälle bei Polizei und Justiz und was aus Sicht der Nebenklage im Fokus steht.

Es hat ja bereits einige Prozesstage im Verfahren gegen den Attentäter von Halle gegeben. Was sind die Erwartungen seitens der Nebenklage an dieses Gerichtsverfahren?

Alexander Hoffmann: Unsere Mandant*innen ziehen klar die Verbindung zwischen Antisemitismus und Rassismus. Sie wollen sich nicht spalten lassen. Der erste Angriff ist zweifellos antisemitisch motiviert gewesen, aber offensichtlich waren von Anfang an zwei Angriffe geplant. Nach dem Angriff auf die Synagoge sollte es eine Fortsetzung auf das muslimische Zentrum geben. Unsere Mandant*innen machen deutlich, dass das einfach Ausdruck des immer stärker werdenden Rassismus und Antisemitismus ist. Sie sagen, wir müssen uns zusammenschließen und gemeinsam dagegen wehren.

Dagegen wehren heißt auch, besser geschützt zu werden?

Eine starke Kritik ist natürlich, dass die Synagoge in Halle keinen Polizeischutz hatte. Offenbar war einigen Polizeibeamten nicht mal bekannt, dass dort eine Synagoge steht. Die Polizeikräfte, die ankamen, wussten überhaupt nicht, wie sie mit der Situation umgehen sollten. Aber es reicht auch nicht, jede Synagoge in eine Festung zu verwandeln, weil das auch ausschließt, weil das ausgrenzt. Stattdessen müssen Wege gefunden werden, durch die sich in der Mehrheitsgesellschaft etwas ändert. Ständig heißt es, dass sie Minderheiten integrieren sollen, aber die größte Baustelle ist, dass die Mehrheitsgesellschaft diese Minderheiten nicht als Teil des Ganzen akzeptiert. Wir müssen es dringend umdrehen: Es ist die Mehrheitsgesellschaft, die eine Integrationsleistung nötig hat. Es ist die Mehrheitsgesellschaft, die sich verändern muss, und das steht leider überhaupt nicht in der Diskussion.

Die Mehrheitsgesellschaft scheint derzeit mit Einzeltäter-Erzählungen und der Verharmlosung rechter Attentäter als psychisch Kranke beschäftigt zu sein…

Den Mandant*innen ist sehr wichtig, dass erkannt wird, dass wir es hier eben nicht mit einer isolierten Einzelperson, einem Spinner, zu tun haben. Wir haben es hier mit einer neuen Organisationsform zutun. Es sind Netzwerke, in denen Anonymität überhaupt kein Problem ist und trotzdem ein ganz konkreter Austausch zustande kommt. Der Attentäter von Halle ist kein Einzeltäter, sondern eine Person, die zwar allein handelt, aber fest eingebunden ist in digitale Netzwerke. Es darf keinen Unterschied machen, ob man einmal die Woche zum Kameradschaftsabend geht oder stundenlang in diesen Netzwerken diskutiert und sich mit anderen ganz konkret austauscht. Der Attentäter hat beispielsweise online angedeutet, welche Tat er begehen will. Daraufhin hat er, so die bisherige Beweiserhebung, von einer anonymen Person Bitcoins im Wert von 1.000 Euro zur Finanzierung der Tat erhalten. Er hat viele präzise Tipps bekommen, wie er die Explosionswirkung der selbstgebauten Munition verbessern kann. All das hat zum Anschlag in Halle beigetragen. Unsere Mandant*innen kämpfen dafür, dass Schluss ist mit den Einzeltäter- und Spinnererzählungen.

Es geht also auch darum, die Netzwerke zu ermitteln?

Das müsste eigentlich die Polizei machen. Man hat in der Vergangenheit gesehen, dass an solche Attentate angeknüpft wird. Teilweise kann man nachweisen, dass es direkte Anstiftungen im Internet gibt. Ein brisanter Fall dreht sich um den Täter, der das Attentat am Olympia-Einkaufszentrum begangen hat: Er soll in Kontakt zu einem jungen Mann aus den USA gestanden haben und ihn zu Nachahmungstaten angestiftet haben. Ziemlich erfolgreich, denn ein paar Monate später hat dieser junge Mann eine ähnliche Tat begangen. Von Seiten der US-Behörden werden auch Vorwürfe gegen die deutsche Polizei laut. Es wird offen gefragt, ob sich die Polizei in Deutschland nicht zumindest moralisch mitschuldig gemacht hat, weil sie die Erkenntnisse über den Kontakt des deutschen Täters nicht an die US-Behörden weitergeleitet hat. Das sind Netzwerke und eben keine Einzeltäter.

Alexander Hoffmann

Alexander Hoffmann ist Rechtsanwalt in Kiel. Er verteidigt in Strafverfahren und vertritt Betroffene nazistischer und rassistischer Übergriffe als Nebenklagevertreter. Zuletzt vertrat er die Nebenklage im NSU-Prozess und ist aktuell Nebenklagevertreter im Prozess gegen den Attentäter von Halle und den Mörder von Walter Lübcke.

In der Berichterstattung geht es meist um die Frage, wie sich der Täter radikalisieren konnte und was seine Motive waren. Wie kommt das bei den Nebenkläger*innen an?

Die Nebenkläger*innen haben in ihrer gemeinsamen Erklärung gefordert, dass man den Namen des Täters nicht öffentlich nennt, um ihn nicht auf eine Bühne zu heben, auf der er dann seine Ideologie und Propaganda verbreiten kann. Ich finde spannend, dass der MDR sich auch davon hat überzeugen lassen. Natürlich ist ein Strafprozess immer auch eine Auseinandersetzung mit dem Täter, der Tat und der Motivation. Man muss sich aber auch fragen, ob es wirklich von prozessualer und gesellschaftlicher Relevanz ist, warum jemand zu einem Rassisten und Antisemiten wird. Wir haben eine 1000 Jahre lange Geschichte des Antisemitismus und Rassismus in unserer Gesellschaft. Es gibt ganze Bücher darüber, wie Antisemitismus und Rassismus eingesetzt werden, welche Formen von Sündenbocktheorien dadurch entstehen. Es ist nicht so erstaunlich, dass Menschen in Deutschland zu Rassisten und Antisemiten werden.

Was steht denn aus Sicht der Nebenklage im Vordergrund?

Der juristische Prozess soll feststellen, wie der Täter zu verurteilen ist. Deswegen ist meiner Ansicht nach auch die Frage des Netzwerkes und der Hilfe, die er von anderen erhalten hat so wichtig, denn das ist wiederum für das Strafmaß relevant. Wenn der Täter mit anderen zusammengearbeitet hat, wenn er unterstützt worden ist von anderen, dann ist das gefährlicher und auch die Strafe höher zu bewerten. Auch die Frage, ob er versucht hat, mit seiner Tat andere zur Nachahmung zu ermutigen, spielt hierfür eine Rolle. Es gilt bereits als bewiesen, dass der Täter für zwei Morde verantwortlich ist. Daher ist mit einer lebenslänglichen Haftstrafe zu rechnen. Im Prozess geht es vor allem darum, die besondere Schwere der Schuld festzustellen.

Du siehst die Institution der Nebenklage ja durchaus kritisch, trittst aber selber als Nebenklageanwalt auf. Warum?

Wir haben normalerweise eine Staatsanwaltschaft, die Verteidigung und in der Mitte das Gericht, das auch zur Aufklärung verpflichtet ist. Durch die Nebenklage kommt auf Seiten der Staatsanwaltschaft noch eine weitere aktive Einheit dazu. Das verschiebt natürlich das Gewicht zu Ungunsten der Angeklagten, was ich als Strafverteidiger eher kritisch sehe. Eine Nebenklage ist nur dann sinnvoll, wenn die Justiz nicht funktioniert. Die Notwendigkeit von Nebenklagen in bestimmten Verfahren ergibt sich aus ihrer Entstehungsgeschichte. Die Nebenklage in ihrer heutigen Form ist Ergebnis von feministischen Kämpfen der 1970er Jahre. Die Aktivistinnen haben damals vor Gericht Situationen vorgefunden, in denen weder Polizei noch Richter oder Staatsanwälte vernünftig gearbeitet haben, wenn es um Gewalt gegen Frauen und Vergewaltigung ging. Stattdessen kam es regelmäßig vor, dass das Verschulden bei den Frauen gesucht worden ist. Um diesen Missstand zu verändern, wurde massiver Druck aufgebaut und dadurch erkämpft, dass die Rechte der Nebenklage deutlich ausgeweitet wurden. Ich bin der Meinung, dass man als Nebenklage diesem Beispiel folgen muss, wenn der Staat und die Justiz ihre Aufgaben nicht erfüllen.

Und dieser Prozess ist so ein Fall?

Wenn wir rassistische Polizeibehörden haben, die nicht vernünftig ermitteln, wenn wir eine politische Stimmung haben, in der gar nicht gewünscht ist, dass die Justiz Rassisten und Nazis verfolgt und die Taten wirklich aufgeklärt, dann muss man jedes Mittel nutzen, um dagegen zu steuern. Wenn die Staatsanwaltschaften und Gerichte im Grunde genommen Ausfälle sind, dann muss man die Nebenklage benutzen und dafür sorgen, dass wenigstens im Ansatz eine Aufklärung stattfindet und wenigstens versucht werden kann, die rassistischen Motivationen der Täter herauszuarbeiten. Außerdem ist es wichtig, an der Seite der Betroffenen zu stehen. Nicht selten ist es in der Vergangenheit zu einer Täter-Opfer-Umkehr gekommen. Letztlich wurde dann so getan, als hätten die Geschädigten eine Auseinandersetzung angefangen. Auch deshalb muss man die Position der Angegriffenen stärken – insbesondere dann, wenn die Justiz nicht funktioniert.

Carina Book

ist Redakteurin bei ak.