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Friedrich Merz stellt sich zur Wahl – woher er kommt und was er will

Von Anne Seeck

Man wird ihn einfach nicht los. Foto: CDU/wikimedia, CC BY-SA 3.0

Wegen der Corona-Pandemie wurde der ursprünglich für den 4. Dezember geplante CDU-Parteitag auf Mitte Januar 2021 verschoben. Dort soll der nächste CDU-Vorsitzende gewählt werden. Im Februar dieses Jahres gab Friedrich Merz seine Kandidatur bekannt, im Januar hatte er noch getwittert: »Ich bin unverändert der Auffassung, dass wir bis zur Hälfte der AfD-Wähler zurückgewinnen können.« In Sachen Neoliberalismus kennt sich Friedrich Merz bestens aus; offensichtlich beherrscht er aber auch die rechtspopulistische Klaviatur.

Friedrich Merz wurde 1955 geboren. Schon sein Vater war Jurist. Als Stipendiat der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung studierte Merz Rechtswissenschaften. Vor seiner politischen Karriere war er für den Verband der Chemischen Industrie (VCI) tätig, der »aufstrebende Leute mit politischen Ambitionen« (Lobbypedia) in seinem Lobbybereich arbeiten ließ, bevor sie in die Politik wechselten. Von 1989 bis 1994 gehörte Friedrich Merz dem Europäischen Parlament an, von 1994 bis 2009 dem Deutschen Bundestag – mit verschiedenen Funktionen. So war er von 2000 bis 2002 als CDU-Fraktionsvorsitzender Oppositionsführer. Wegen parteiinterner Differenzen, vor allem mit Angela Merkel, zog er sich schließlich komplett aus der Politik zurück. Aber er bewegte sich in neoliberalen »Denkfabriken« und Netzwerken, unter anderem bei der Atlantik-Brücke und der Stiftung Marktwirtschaft. Merz war auch Gründungsmitglied des Fördervereins der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. Im Jahre 2018 dann folgte sein Comeback als Politiker. Er kandidierte für den Parteivorsitz der CDU und verlor die Wahl gegen Annegret Kramp-Karrenbauer. Diese gibt nun ihren Posten auf – der machtfixierte Merz will sie unbedingt als CDU-Vorsitzender beerben und Kanzlerkandidat der Union werden. Er witterte jüngst eine Verschwörung des CDU-Partei-»Establishments« gegen sich, als der ursprünglich für Dezember 2020 geplante CDU-Parteitag verschoben wurde; seine Umfragewerte sollen prächtig sein.

Einblicke in seine Gedankenwelt

In den vergangenen Jahren provozierte Merz immer wieder mit markigen Sprüchen. Vor zwanzig Jahren setzte er eine breite Debatte um die »deutsche Leitkultur« in Gang, vor zwei Jahren stellte er das Asylrecht in Frage, er warnt vor »Parallelgesellschaften« und spricht von »Überfremdungsängsten«. In der TV-Sendung »Anne Will« mochte er die Genderdiskussion nicht, er äußerte sich abschätzig über Homosexuelle und stimmte im Bundestag gegen die Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe.

Anfang November erschien sein aktuelles Buch »Neue Zeit. Neue Verantwortung: Demokratie und Soziale Marktwirtschaft im 21. Jahrhundert«. In den Medien wurde darüber gespottet – ob Merz sein Buch selbst geschrieben oder gelesen hätte? Bei der Lektüre falle man in einen Dornröschenschlaf, das Buch komme staatsmännisch daher wie ein Bewerbungsschreiben für das Bundeskanzleramt. Sein Freund Christian Lindner (FDP) hatte das Vergnügen, das Buch vorzustellen. Merz versucht es mit Generationengerechtigkeit und viel Klimaschutz. Dem Sozialstaat widmet er sich diesmal nur kurz, aber dieser trage nun mal »in hohem Maß zum sozialen Frieden in Deutschland bei«. Niemand müsse hier existenzielle Not leiden. Merz widerspricht explizit der Kritik an der Armutsentwicklung in Deutschland; ein weiterer Anstieg der Sozialausgaben im Bundeshaushalt sei nicht durchzuhalten, behauptet er.

Im Jahr 2008 verteidigte Merz eine Studie, in der ein Hartz-IV-Regelsatz von 132 Euro als ausreichend bezeichnet wurde.

In Publikationen aus den Jahren 2004, 2008 und 2010 wünschte er sich eine »große Sozialstaatsreform«, vor allem Vollbeschäftigung durch eine »Lohnspreizung nach unten«, den Umbau der Sozialversicherung mittels Mindestrente und Pensionsfonds wie in den USA sowie die »Kopfpauschale« bei der Krankenversicherung. 2008 verteidigte Merz eine Studie, in der ein Hartz-IV-Regelsatz von 132 Euro als ausreichend bezeichnet wurde. Im selben Jahr behauptete er, CDU und FDP könnten viel mehr Zuspruch »auch in der Arbeitnehmerschaft« erhalten, »wenn wir nicht über die Ausweitung, sondern die Begrenzung des Sozialstaats« reden würden. Unzufrieden zeigte sich Merz im September dieses Jahres mit den Corona-Hilfen: »Der Finanzminister haut zur Zeit das Geld raus, als gäbe es kein Morgen mehr.« Nach der Corona-Krise sollten alle staatlichen Leistungen, also Subventionen und soziale Transferleistungen von Bund, Ländern und Gemeinden, auf den Prüfstand gestellt werden. Viele Deutsche könnten sich in der Krise an ein »Leben ohne Arbeit« gewöhnen, befürchtete Merz.

Arbeiten kann er

Er selbst arbeitet nicht zu knapp: 2006 hatte Friedrich Merz mit acht weiteren Bundestagsabgeordneten beim Bundesverfassungsgericht Klage gegen die Veröffentlichung von Nebeneinkünften eingelegt. Er übte damals elf Nebentätigkeiten aus. Von 2005 bis 2014 war er für die Anwaltskanzlei Mayer, Brown, Rowe & Maw LLP tätig, die vor allem Wall-Street-Firmen vertritt und mit einem Jahresumsatz in Milliardenhöhe zu den 20 größten Anwaltskanzleien der Welt gehört. Die Kanzlei ist auch einer der ersten Anlaufpunkte, um Steuern zu »optimieren«. Qualifiziert hatte sich Merz zuvor mit seinem Vorschlag für ein vereinfachtes Einkommenssteuersystem für Deutschland, das vor allem den (Super-)Reichen Milliardenersparnisse bescheren würde. 2003 ging seine »Steuererklärung auf einem Bierdeckel« durch die Medien. Als Repräsentant der Kanzlei Mayer & Co wurde Merz 2010 beauftragt, ein*e Käufer*in für die marode WestLB zu finden. Dafür kassierte er eine Vergütung von 5.000 Euro am Tag, bezahlt von Steuerzahler*innen. Den Zuschlag der WestLB-Aktiva bekam das Bankhaus HSBC Trinkaus & Burkhardt. Als Dank dafür erhielt Merz den gut dotierten Vorsitz des Verwaltungsrats von HSBC. 2016 geriet das Bankhaus HSBC schließlich ins Zentrum der Ermittlung der Düsseldorfer Staatsanwaltschaft zu Cum-Cum- und Cum-Ex-Straftaten.

Die Liste der »(neben-)beruflichen« Tätigkeiten von Merz ist lang, insbesondere setzt er die Interessen der Finanzbranche durch. Bekannt wurde, dass er von 2016 bis März 2020 als Aufsichtsratsvorsitzender beim deutschen Ableger des Vermögensverwalters BlackRock die Strippen zog. Dessen Konzernchef Larry Fink hofft nach eigener Aussage auf eine weitere Zusammenarbeit mit Merz, sollte es mit dem Vorsitz der CDU nicht klappen. 2017 wurde Merz zum Aufsichtsratsvorsitzenden des Flughafens Köln-Bonn benannt, was gegen den Ethikkodex des Landes NRW verstieß, denn er hatte zu der Zeit mehr als zwei Aufsichtsratsposten inne. Um Millionen reicher wurde der 65-Jährige durch seinen Posten im Verwaltungsrat des schweizerischen Zugherstellers Stadler Rail. Er erhielt im April 2019 anlässlich des Börsengangs 150.000 Aktien im Wert von damals 5,7 Millionen Euro.

Merz selbst ordnet sich übrigens der »gehobenen Mittelschicht« zu.

Anne Seeck

ist Autorin und lebt in Berlin.