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Von der Bürgerwehr zum Terror

Die Gruppe S. agierte in einem Nazi-Netzwerk, und einige sind noch auf freiem Fuß, erzählt Martina Renner im Interview

Interview: Carina Book

Aus der Nähe betrachtet sieht die Lage auch nicht viel besser aus. Foto: Suzanne Forbes/ Flickr, Public Domain

Seit September 2019 wurde gegen die sogenannte Gruppe S. ermittelt, im Februar 2020 führten die Behörden Razzien und Festnahmen im ganzen Bundesgebiet durch. Nun hat der Prozess gegen die Gruppe S. begonnen. Wir sprachen mit der Bundestagsabgeordneten Martina Renner über das Netzwerk der Gruppe S. und welche Konsequenzen zu ziehen wären.

Was hat die Gruppe geplant, und wie weit waren die Pläne fortgeschritten?

Martina Renner: Soweit wir wissen, plante die Gruppe in einem ersten Schritt bundesweite Anschläge auf Moscheen, ebenso sollten demokratische Politiker*innen getötet werden. Diese Anschläge sollten eine behördliche und gesellschaftliche Reaktion hervorrufen, auf die dann eine zweite Terrorwelle folgen sollte. Letztlich ging es darum, eine Dynamik in Gang zu setzen, die auf einen Bürgerkrieg hinausläuft.
Die Mitglieder der Gruppe hatten sich zum Teil schon über Anschlagsziele verständigt und waren dabei, die Waffen zu beschaffen.

Was ist über die Angeklagten bisher bekannt?

Die Angeklagten sind Neonazis, die zum größten Teil aus rechten Bürgerwehrstrukturen kommen. Es sind weiße, mittelalte Männer, die vor allem ihr Rassismus und ihre Gewaltbereitschaft eint. Auch teilten viele der Mitglieder der Gruppe S. das Faible für rechten Germanenkult. Das hat natürlich auch viel mit einem rechten Männlichkeitsbild zu tun.

Viele der Angeklagten waren in Bruderschaften wie Wodans Erben Germanien, Viking Security Germanien oder Freikorps Heimatschutz, um nur einige zu nennen. Welche Verbindungen bestehen unter den Bruderschaften, und welche Gefahr geht von ihnen aus?

Wie gefährlich solche Vereinigungen sind, beweist ja gerade die Gruppe S. Diese sogenannten Bürgerwehren oder Bruderschaften sind eine Art Durchlauferhitzer des rechten Terrors. Sie organisieren rassistische Männer und bieten ein Forum, das die Eskalation hin zu terroristischer Gewalt unterstützt. Die Gruppe S. ist dann eine Art nächste Stufe. Hier ist diese terroristische Gewalt das erklärte Ziel. Werner S. war außerdem darum bemüht, verschiedene Gruppen dieser Art zu vernetzen und eine bundesweite Struktur aufzubauen. Doch auch jenseits dieser konkreten Organisierung gehe ich von einem Austausch der einzelnen Mitglieder in sozialen Netzwerken aus.

Foto: Martina Renner

Martina Renner

ist stellvertretende Parteivorsitzende der LINKEN und Mitglied des Bundestages, im Innenausschuss und stellvertretend im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz. Sie ist Sprecherin für antifaschistische Politik der Linksfraktion im Bundestag und Obfrau im parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum Anschlag auf dem Breitscheidplatz.

Wie viele dieser Gruppen gibt es? Wie viele sind von ihnen bewaffnet?

Das ist eine ebenso gute wie schwer zu beantwortende Frage. In der letzten Wahlperiode habe ich eine Anfrage zu rechten Bürgerwehren gestellt. Aus der geht hervor, dass solche Gruppen erst dann in den Fokus von Bundesbehörden kommen, wenn sie entweder vom Verfassungsschutz beobachtet werden oder Anhaltspunkte für Straftaten vorliegen und zudem eine Bundeszuständigkeit gegeben ist. Unter diesen Bedingungen bleibt natürlich der größte Teil unerkannt. Das könnte auf Landesebene etwas anders aussehen, aber auch da ist das Problem, dass die Informationen meistens von den Geheimdiensten kommen. Ich gehe davon aus, dass es etliche Gruppen gibt, die mehr oder weniger formell organisiert sind. Waffen spielen in diesen Gruppen eine wichtige Rolle, ebenso wie Uniformen. Beides ist ganz wesentlich für die Attraktivität solcher Organisierungen auf Männer.

Einer der Angeklagten ist der Polizeiverwaltungsangestellte Thorsten W. aus Hamm. Seit NSU 2.0 sind immer wieder illegale Datenabfragen durch Polizeiangestellte bekannt geworden. Ist das hier auch der Fall? Spielen noch weitere Beamte eine Rolle?

In den Chats spielen zumindest weitere, zum Teil ehemalige Polizisten eine Rolle, deren Identität leider bislang noch nicht ermittelt wurde. Ob Thorsten W. auch Daten abgefragt hat, wissen wir nicht. Angesichts der Erfahrungen und des Umstandes, dass neben seinem Fall noch weitere Beamte der Hammer Polizei als Mitglieder rechter Chats aufgeflogen sind, würde ich den Verdacht allerdings für begründet halten.

Welche Rolle spielt der Informant des LKA Baden-Württemberg? Hat sich der VS dazu geäußert, warum er den Informanten zuvor ignoriert hat?

Nein, dazu äußert sich der Geheimdienst leider nicht. Dem LKA hat er über die Gruppe S. und die Bruderschaft Deutschland berichtet. Ich gehe davon aus, dass er im Prozess als Kronzeuge auftreten wird. In der Gruppe S. hatte er eine wichtige Funktion und war an entscheidenden, auch juristisch relevanten Vorgängen beteiligt.

Der Reichsbürger Ulf Rösener aus Porta Westfalica starb in der U-Haft. Was ist zu den Hintergründen bekannt?

Auch dazu habe ich die Bundesregierung gefragt, aber leider keine Antwort bekommen, weil die Todesermittlungen in der Zuständigkeit der Landesregierung liegen.

Werner S. behauptete, in einem Tunnel unter seinem Anwesen mehrere Kalaschnikow-Maschinengewehre und 150.000 Schuss Munition deponiert zu haben.

Es sollten Waffen beschafft werden. Woher? Von wem?

Die Waffen waren ein breit erörtertes Thema in der Gruppe. Werner S. behauptete, in einem Tunnel unter seinem Anwesen mehrere Kalaschnikow-Maschinengewehre und 150.000 Schuss Munition deponiert zu haben. Außerdem sollten sogenannte Slam-Guns beschafft werden. Mit einer solchen Waffe hatte sich auch der Attentäter von Halle ausgerüstet. Außerdem reiste einer der Beschuldigten regelmäßig nach Tschechien, um dort Waffen zu kaufen. Und schließlich waren die Mitglieder der Gruppe S. schon dabei, mehrere 10.000 Euro für den Kauf von Waffen und Munition zu sammeln.

Gibt Hinweise, die auf eine Verbindung zu Nordkreuz hindeuten?

Ich kenne keine personellen Verbindungen. Ideologisch sehe ich allerdings starke Verbindungen. Beide Gruppen wollten Anschläge begehen, um einen Tag X, einen rechten Bürgerkrieg auszulösen. Beide Gruppen waren bestimmt von Rassismus und dem Hass auf alles Linke und Humanistische.

Kürzlich wurde auch eine Verbindung nach Hamburg bekannt. Welche Rolle spielt diese Verbindung?

Der Hamburger Arm der Gruppe S. war zumindest so wichtig, dass dessen Mitglieder zum zweiten Treffen der Gruppe von Werner S. eingeladen wurden. Sie erschienen allerdings nicht. In Hamburg wollte S. weitere Mitglieder rekrutieren, die ich als milieuorientiert beschreiben würde. Unter ihnen waren Türsteher, Kampfsportler, Personenschützer aber auch ein AfD-Kommunalpolitiker.

Bisher richtet sich die Anklage gegen die Teilnehmenden des zweiten Treffens der Gruppe S. Gibt es Erkenntnisse darüber, ob es noch andere Mitglieder geben könnte, die an diesem Treffen nicht teilnahmen?

Davon ist auszugehen, gerade die angesprochene Hamburger Gruppe war nicht Teil des zweiten Treffens. Umgekehrt waren wiederum Leute bei dem ersten und zweiten Treffen, die bisher noch nicht angeklagt wurden.

Welche Konsequenzen sind nun zu ziehen?

Rechte Bürgerwehren müssen schon frühzeitig als Gefahr erkannt und entsprechend behandelt werden. In diesem Fall ist der neonazistische Charakter der Gruppe gut dokumentiert. Ich vermute aber, hinter vielen Meldungen von Waffenfunden stecken ganz ähnliche Organisierungen. Sie werden nur zu oft nicht als rechte Strukturen erkannt. Und natürlich spielt auch Rassismus hier eine Schlüsselrolle. Der Rassismus der Gruppe-S.-Mitglieder unterscheidet sich kaum von dem, den die AfD in den Parlamenten verbreitet und auch nicht von dem Rassismus, der von vielen bürgerlichen Medien und Parteien immer noch als »Sorgen und Ängste« entpolitisiert und verharmlost wird. Er ist aber der Nährboden rechtsterroristischer Gewalt und muss deshalb auch dort als Problem angegangen werden, wo er noch nicht bewaffnet ist.