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Für wen Bubatz legal?

Warum der Gesetzentwurf zur Cannabis-Legalisierung ein Zweiklassensystem vorsieht

Von Paula Benedict und Mitali Nagrecha

Viele Menschen demonstrieren auf einer Straße in Berlin, die gesäumt ist von Bäumen für die Legalisierung von Cannabis. Einige Demonstrierende halten einen gebastelten Joint hoch, der größer ist als ein Mensch. Darauf steht Legalisierung in roter Schrift. Links und rechts von dem Schriftzug sind grüne Hanfblätter zu sehen.
Die weißen Durchschnittsdemonstrant*innen von der Hanfparade 2019 in Berlin dürfen sich auf legales barzen freuen. Foto: Fraktion DIE LINKE. im Bundestag/Flickr , CC BY-SA 2.0

Wenn die Bundesregierung ihre eigene Planung umsetzt, werden Besitz von 25 Gramm und Anbau von bis zu 50 Gramm Cannabis im Laufe des kommenden Jahres legal werden. Diese Teil-Legalisierung ist ein wichtiger Schritt, um die polizeiliche Überwachung, Kriminalisierung und Bestrafung rund um das Thema Marihuana zu reduzieren – 206.394 Straftaten wurden im Jahr 2022 von der Polizei registriert, 85 Prozent davon »konsumnahe Delikte«.

Dennoch würde der derzeitige Gesetzentwurf (CanG) die Kriminalisierung von Cannabis-Konsumierenden keineswegs beenden. Vielmehr ist absehbar, dass das CanG ein Zweiklassensystem schaffen wird: Legaler Zugang und Straffreiheit für einige, Kriminalisierung für rassifizierte, migrantisierte und andere überproportional polizierte Menschen. Um dies zu vermeiden, muss die Regierung beim Plan für die Cannabis-Legalisierung dringend nachbessern.

Heute werden Menschen aus von Rassismus betroffenen sowie migrantischen Gruppen unverhältnismäßig häufig wegen Cannabisdelikten kriminalisiert. Und das, obwohl Untersuchungen zeigen, dass der Konsum von Cannabis in allen Gruppen ähnlich verbreitet ist. Der Grund für diese Ungleichbehandlung ist einfach: Die Polizei betreibt Racial Profiling und kontrolliert weiße Deutsche seltener auf Marihuana-Besitz. Insgesamt waren im Jahr 2021 28,1 Prozent der wegen Drogenbesitzes verurteilten Personen nicht-deutsche Staatsbürger*innen, obwohl diese nur 14 Prozent der Bevölkerung ausmachten.

Im selben Jahr wurden mehr als 77.000 Menschen wegen Drogendelikten verurteilt, mit gravierenden Folgen unter anderem für ihre psychische Gesundheit und Erwerbstätigkeit. Die Kernidee des CanG sind sogenannte Cannabisclubs (»Anbauvereinigungen«). Um Cannabis legal erwerben zu können, müssen Konsumierende Mitglied in solchen Clubs werden – eine Regelung, die Menschen an den Schnittstellen wirtschaftlicher, sozialer und anderer Nachteile de facto ausschließen wird. Das neue Gesetz sieht beispielsweise vor, dass sich die Club-Mitglieder »aktiv« am Anbau beteiligen sollen, um im Gegenzug Zugang zu Cannabisblüten zu erhalten – ein Problem beispielsweise für Menschen mit gesundheitlichen Problemen oder mit mehreren Niedriglohnjobs.

Ohne Zugang zu legalem Cannabis können diese Menschen weiterhin nur den illegalen Markt nutzen. Aufgrund der restriktiven Regelungen des CanG-Entwurfs erwartet die Polizei derzeit, Cannabisdelikte auch weiterhin zu verfolgen (womöglich unrechtmäßig). Besitz ab einer bestimmten Menge und Konsum im Umkreis von 100 Metern von Schulen, Kitas, oder sonstigen Kinder- und Jugendeinrichtungen bleiben verboten und somit strafbar. In städtischen, dicht besiedelten Gebieten, wo verhältnismäßig mehr Menschen ohne deutschen Pass leben, betrifft das relativ viele Flächen. Mutmaßlicher Cannabis-Besitz wird der Polizei also weiterhin einen Vorwand für Racial Profiling liefern. Das CanG setzt zudem die lange Geschichte harter Bestrafung für Cannabishandel in Deutschland fort, trotz der »reduzierten Risikoeinschätzung« der Regierung im Hinblick auf die Schädlichkeit der Substanz.

Der aktuelle Entwurf geht nicht annähernd weit genug, da er zwar die Obergrenzen für einige Strafen herabsetzt, dafür aber einige der willkürlichsten und härtesten Aspekte der Strafzumessungsrichtlinien beibehält, einschließlich der obligatorischen Mindeststrafen, wenn Cannabis-Handel »gewerbsmäßig« erfolgt. Dieser unklare Begriff führt in der Praxis zur Bestrafung von Erwerbs- und Mittellosigkeit, wovon rassifizierte Menschen überproportional betroffen sind.

Auf Basis der Erfahrungen anderer Länder erwarten Expert*innen, dass das CanG einen signifikanten Anteil des Cannabis-Handels in den legalen Bereich verlagern wird. Dennoch wird auch in Zukunft ein großer illegaler Markt existieren. Heute besteht dieser illegale Markt aus zwei Segmenten. Entgegen landläufiger Meinung finden heute etwa 90 Prozent des Cannabis-Handels in privaten Räumen statt, also hinter geschlossenen Türen. Dieser Teil des Marktes, der mehrheitlich von weißen Deutschen bedient wird, ist für die Polizei weitgehend unsichtbar und wird nur selten verfolgt.

Die rassifizierten und migrantisierten Dealer*innen, die keinen Zugang zum privilegierten Marktsegment haben, handeln hingegen häufig in öffentlichen Räumen. Nicht selten handelt es sich um Menschen ohne Arbeitserlaubnis, die mangels Zugang zum offiziellen Arbeitsmarkt kein legales Einkommen generieren können, oder um anderweitig strukturell diskriminierte Menschen.

Das Ausmaß der Diskriminierung könnte sich durch die Cannabis-Legalisierung sogar vergrößern.

Das Ausmaß dieser Diskriminierung könnte sich also durch das CanG sogar vergrößern: Während der heute »unsichtbare« Markt weitgehend in Cannabis-Clubs und somit in die Legalität wechseln wird, werden Illegalität und Kriminalisierung nahezu gänzlich auf rassifizierte und migrantisierte Gruppen fallen.

Auch in den USA wurden rassifizierte Personen seit jeher in unverhältnismäßig hohem Maße für den Vertrieb von Cannabis kriminalisiert. Bundesstaaten, die Cannabis legalisieren wollten, kannten das Risiko, dass diese Ungleichbehandlung auch nach der Reform fortbestehen könnte

Vorstrafenlöschung

Aus diesem Grund haben mehrere Bundesstaaten im Zuge der Legalisierung die Löschung von Vorstrafen ermöglicht – auch für Handelsdelikte. Zudem wurden die Bestrafung von Handel neu evaluiert und für Menschen mit Vorstrafen Wege in die Selbstständigkeit im legalen Markt für Cannabis geschaffen. Einige US-Bundesstaaten haben auch Reparationspakete verabschiedet, die in Stadtviertel und Communities investieren, die zuvor besonders von polizeilicher Verfolgung und Kriminalisierung in Bezug auf Cannabis betroffen waren.

Der CanG-Entwurf ist weit davon entfernt, Ausgleich für solche Muster von Kriminalisierung in der Vergangenheit zu schaffen. Auch hierzulande sollte der Staat die hohen und willkürlichen Strafen für Cannabisdelikte revidieren. Er sollte sich außerdem verpflichten, Vorstrafen proaktiv zu identifizieren und aufzuheben, statt dies nur auf Initiative von Betroffenen zu tun. Dies sollte auch Vorstrafen für Cannabishandel umfassen. Schließlich sollte das CanG auch verhindern, dass Cannabisdelikte in Einwanderungsverfahren oder bei Polizeikontrollen gegen eine Person verwendet werden können.

Das Beispiel der USA zeigt, dass die Gesetzgebung auch hierzulande mutiger agieren kann. Will der Staat die tiefer liegenden Ursachen der Kriminalisierung von Cannabisdelikten angehen, muss er aufhören, Menschen die Arbeitserlaubnis zu verweigern und sie so in den illegalen Markt zu drängen, um ihnen dann mit harten Strafen zu begegnen. Strafrechtliche Reformen sind ein guter Anfang, doch Diskriminierung und Kriminalisierung sind immer auch einwanderungs- und sozialpolitische Fragen. Ganz oben steht hier die Möglichkeit, legal in Deutschland zu arbeiten.

Das CanG ist in seiner aktuellen Fassung darauf ausgerichtet, imaginierte, weiße deutsche »Normalkonsumierende« von Stigmatisierung und Kriminalisierung in Bezug auf Cannabis zu befreien. Dadurch, dass er vor allem mit Blick auf diese Zielgruppe formuliert wurde, ist der Entwurf diskriminierend. Hier muss dringend nachgebessert werden.

Paula Benedict

ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Strafrecht an der Freien Universität zu Berlin, leitet die Law Clinics und ist Vorstandsmitglied des Projekts Fehlurteile und Wiederaufnahme e.V.

Mitali Nagrecha

ist die Gründerin von Justice Collective e.V., einer in Berlin ansässigen Forschungs- und Advocacy-Organisation, die sich mit Fragen der Polizeiarbeit und Bestrafung befasst.