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Knallhart sparen

Der Finanzmister geht in die neoliberale Offensive – die Linke braucht neue Antworten

Von Fabian Westhoven

Ein Porträt von Christian Lindner.
Christian »Die Zeit der Wünsche is vorbei« Lidner. Foto: Robin Krahl/Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0

Zeitenwende – das steht seit Olaf Scholz (SPD) für einen militärpolitischen Paradigmenwechsel. 100 Milliarden werden in den militärisch-industriellen Komplex gesteckt. Sein Kabinettskollege, Finanzminister Christian Lindner (FDP), bemüht den Begriff nun auch für seine Finanz- und Wirtschaftspolitik: »Der Haushalt 2024 ist Teil der finanz- und wirtschaftspolitischen Zeitenwende, bei der wir erst am Anfang stehen«, schreibt er in der FAZ. Ein bemerkenswerter Gastbeitrag, weil in ihm ein neoliberales Programm par excellence skizziert wird. Mit Formulierungen wie »Viele Jahre haben Politik und Gesellschaft darauf vertraut, der Staat könne fast alles finanzieren« oder der Behauptung, Transferzahlungen seien erhöht und neue Leistungen geschaffen worden, erweckt er den Eindruck, die in Deutschland lebenden Menschen hätten sich bis zum Spätsommer 2023 frei nach Helmut Kohl in der sozialen Hängematte ausgeruht.

Entsprechend schreibt ihnen der strenge Zuchtmeister Lindner nun ins Stammbuch: »Die Zeit der Wünsche ist vorbei.« Jetzt gehe es um eine Trendwende: weg »vom reinen Verteilen des Wohlstands« hin zum Erwirtschaften desselben, also um mehr Wirtschaftswachstum. Lindners Rezepte dafür: »restriktive Staatsausgaben«, eine »stringente Angebotspolitik« (für die Kapitalseite) und natürlich die Einhaltung der Schuldenbremse.

Was das konkret bedeutet, zeigt sein jüngst vorgestellter Haushaltsplan für das Jahr 2024. Hier regiert der Rotstift. Alle Ressorts müssen Millionen einsparen – mit einer Ausnahme. Die Bundeswehr bekommt 1,7 Milliarden mehr. Sollte dieser Haushaltsentwurf, der sich derzeit im parlamentarischen Verfahren befindet, in dieser oder ähnlicher Form Realität werden, würde dies zwar keine »Zeitenwende« bedeuten – dafür hat die Austeritätspolitik die deutsche Politik in den letzten Jahrzehnten in unterschiedlichen Schattierungen zu stark geprägt -, aber doch eine Rückkehr zu einer knallharten neoliberalen Wirtschafts- und Finanzpolitik.

Wie aber könnte eine Wirtschafts- und Sozialpolitik im Anthropozän aussehen? Prämisse muss eine Reduktion des Energie- und Materialverbrauchs sein.

Am deutlichsten zeigt sich dies in Lindners Weigerung, Familienministerin Lisa Paus die notwendigen Mittel zur Bekämpfung eines der wichtigsten sozialen Probleme zu geben: der skandalösen Kinderarmut im reichen Deutschland. Ebenso skandalös ist Lindners Plan, bei ökologisch sinnvollen Projekten wie der Förderung des Radverkehrs, Bildung oder humanitärer Hilfe zu sparen und stattdessen viel Geld in fossile Energieträger zu stecken. Der Posten für Flüssiggasterminals soll um fast 900 Millionen aufgestockt werden.

Die Kritik an dieser unsozialen Sparpolitik, wie sie jetzt aus dem Spektrum der Linkspartei kommt, ist zwar richtig. Sie überwindet aber nicht keynesianische Denkweisen, die sich im kapitalistischen und wachstumsfixierten Denkrahmen bewegen. Wer auf Nachfragepolitik und Stärkung der Massenkaufkraft setzt, um Wachstum zu fördern, das eine sozial gerechtere Umverteilung ermöglicht, verkennt: Im Zeitalter des Einreißens von planetaren Grenzen braucht es eine andere Wirtschafts- und Sozialpolitik als in den 1970er Jahren. Weiteres Wirtschaftswachstum führt nur dazu, dass die Umwelt stärker geschädigt wird. Und außer Acht bleibt zudem, dass die »imperiale Lebensweise« auf Ausbeutung von Natur und Menschen im Globalen Süden beruht.

Wie aber könnte eine Wirtschafts- und Sozialpolitik im Anthropozän aussehen? Prämisse muss eine Reduktion des Energie- und Materialverbrauchs sein. Nur so können Emissionen und Eingriffe in das Ökosystem reduziert werden. Ein Bruch mit dem »immer mehr« ist aber nur jenseits des auf Wachstum basierenden Kapitalismus denkbar. Ressourcenintensive Industrien wie die Chemie- oder die SUV-Branche müssten also geschrumpft und vergesellschaftet werden. Und natürlich muss die extreme Vermögenskonzentration abgebaut werden. Aber nicht durch bloße Umverteilungsforderungen, wie sie auf sozialdemokratischer Seite üblich sind.

Vielmehr geht es darum, den materiellen und finanziellen Reichtum – angefangen bei den Superreichen bis hin zur oberen Mittelschicht – in großen Teilen zu reduzieren. Und nur an diejenigen umzuverteilen, denen Lindner de facto unterstellt, zu faul zum Arbeiten oder zur Weiterbildung zu sein: Bürgergeldbezieher*innen, Erwerbslose, Familien mit geringem Einkommen oder Working Poor.

Fabian Westhoven

Fabian Westhoven wohnt in Hamburg und schreibt nebenberuflich über Ökonomie und Ökologie.