analyse & kritik

Zeitung für linke Debatte & Praxis

|ak 662 | Geschlechter­­verhältnisse

Endzeitliche Krieger

Die Corona-Krise verschärft patriarchale Herrschaft, verunsichert aber auch hegemoniale Männlichkeit

Von Max Lill

Donald Trump tätschelt die Hand von Jair Bolsonaro
Misogyne Proto-Faschisten unter sich: Jair Bolsonaro und Donald Trump beim gemeinsamen Abendessen im März in Mar a Lago, Florida. Foto: Palácio do Planalto / Flickr, CC BY 2.0

Gut fünf Monate nach Ausbruch der Pandemie in Europa haben sich anfängliche Hoffnungen auf eine progressive Wende im Modus des Ausnahmezustands verflüchtigt. Das gilt auch in geschlechterpolitischer Hinsicht: Die Aufmerksamkeit für die »Systemrelevanz« weiblich und migrantisch geprägter, prekärer Care-Sektoren hat sich nicht in deren materielle Aufwertung übersetzt. Mit Blick auf die anstehenden Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst fordern die Arbeitgeber gar neue Nullrunden, u.a. für die viel beklatschten Pflegekräfte in den Krankenhäusern. In Schulen und Kitas fehlt es an Personal, vielfach wurde nicht einmal die Sicherstellung ausreichender Belüftung garantiert. Das Dilemma zwischen pädagogischem Qualitätsanspruch und Infektionsschutz spitzt sich in der Folge genauso zu, wie die Unsicherheit für Eltern und Kinder.

Milliarden gehen dagegen an Kohlekonzerne, Lufthansa und Autoindustrie. Ähnlich wie bei den in der letzten Krise »geretteten« Banken, handelt es sich dabei nicht nur um ökologisch besonders zerstörerische Branchen, sondern auch um solche, in denen die Geschlechterungleichheit äußerst scharf ausgeprägt ist: Bei der Lufthansa etwa sind nur rund fünf Prozent der Pilot*innen, aber ca. 80 Prozent des Servicepersonals an Bord weiblich – und es fällt nicht schwer sich auszumalen, welche dieser Beschäftigtengruppen der anstehende Stellenabbau härter treffen wird.

Trotz Beerdigung der »schwarzen Null«, erster Schritte bei der notwendigen Entschuldung der kommunalen Haushalte und ein paar Notgroschen für Geringverdiener*innen und Eltern, sind die Prioritäten der Regierungspolitik im Grundsatz unverändert: Stabilisierung der Kapitalakkumulation und der nationalen Wettbewerbsposition ohne ernsthaften politischen Gestaltungsanspruch bei der Reorganisation der Wertschöpfung und der Strukturen sozialer Reproduktion. Auch die Wasserstandsmeldungen aus den Verhandlungen über EU-Hilfsgelder stimmen wenig optimistisch: Den am schwersten getroffenen südeuropäischen Staaten drohen erneut »Reform«-Auflagen bei Arbeitsmärkten und Renten, die chauvinistischen Autokraten in Osteuropa verteidigen ihre Pfründe und nur ein Bruchteil der Gelder ist bisher für ökologische und soziale Projekte vorgesehen.

Im globalen Maßstab schreiten das Massensterben durch Corona und die ökologischen Verwüstungen voran. Neue Hungerkrisen und Gewaltspiralen kündigen sich an. Brutalität als Form der sozialen Konfliktaustragung stärkt immer toxische Männlichkeiten: gestählte und zugleich verklemmte Körper, empfindungstaube Hanswurste, die sich als endzeitliche Krieger neu erfinden wollen und dafür ein Publikum in den völlig verrohten rechten Filterblasen finden.

Dank ungebrochener Wachstumsphilosophie und einer weitgehend individualisierten Corona-Prävention wird unterdessen auch hierzulande die nächste Infektionswelle immer wahrscheinlicher. Die (Langzeit-)Folgen müssen durch Familien und überlastete soziale Dienste – sprich: vor allem Frauen – aufgefangen werden.

Differenziertes Bild

Es gibt also viel Anlass, ein düsteres Bild der akuten Verschärfung patriarchaler Herrschaft zu zeichnen. Dennoch ist die Entwicklung widersprüchlicher. Erste Untersuchungen liefern nicht nur Hinweise auf eine Zunahme der Gewalt gegen Frauen und Kinder. Sie zeichnen auch ein nach Milieus und Berufsfeldern sehr differenziertes Bild hinsichtlich der geschlechtlichen Arbeitsteilung in der familiären Reproduktion (1): Teilweise hat sich diese, wie vielfach befürchtet, zuungunsten der Frauen verschoben. In ähnlich vielen Fällen war es aber offenbar auch umgekehrt, z.B. weil die Männer in Kurzarbeit geschickt wurden. Lebensweltliche Krisenbearbeitung führt also keineswegs automatisch zu einer Re-Traditionalisierung.

Das bestätigt schon länger bestehende Befunde der Geschlechterforschung, die eine Tendenz zur »pragmatischen Modernisierung« und Differenzierung der Lebensmodelle und Geschlechterverhältnisse nachweisen. Zum einen zeigen sich darin die langfristigen Erfolge der Emanzipationsbewegungen von 1968ff: Frauen erkämpfen sich nach wie vor wachsende Partizipationsräume in den Feldern des Öffentlichen (Erwerbsarbeit, Politik, Kultur etc.). Handlungsnormen und Identitätsentwürfe werden insgesamt vervielfältigt, Aspekte der (Selbst-)Sorge und der sozialen Empathie werden vermehrt Teil männlicher Sozialisationserfahrung und Alltagspraxis.

Diese fortschrittlichen Impulse werden allerdings seit Jahrzehnten auch erfolgreich integriert in einen neuen kapitalistischen Geist des »flexiblen Selbstmanagements«: Erwerbsarbeit und Reproduktion, Öffentlichkeit und Intimität – diese Sphären lassen sich längst nicht mehr klar voneinander trennen. Die Entgrenzung der Arbeitswelt und die Ökonomisierung vormals »privater« Lebensbereiche haben auch traditionelle Geschlechterarrangements zusätzlich unter Druck gesetzt – auch wenn konservative Politiken deren Privilegierung hartnäckig verteidigen. Die wachsende Aggressivität, mit der gegen »Genderismus«, queere Lebensentwürfe und Gleichstellung gehetzt wird, ist insofern auch Ausdruck einer Verunsicherung und wachsenden Dysfunktionalität hegemonialer Männlichkeit und patriarchaler Rollenbilder.

Naturbeherrschung und Konkurrenz

Corona wirkt auch hier wie ein Brandbeschleuniger, denn die Pandemie vergegenwärtigt uns unsere allseitige Abhängigkeit und Verletzlichkeit als soziale und biologische Wesen. Das rührt an den Grundfesten androzentrisch-kapitalistischer Rollenbilder: Hegemoniale Männlichkeit war, über alle historischen Veränderungen hinweg, spätestens seit dem 19. Jahrhundert eng geknüpft an Vorstellungen von Autonomie und der rationalen Beherrschung der »Natur«. Dieses Bild der Natur als das andere, externalisierte, zu beherrschende Gegenüber wurde sowohl auf Frauen als das »andere Geschlecht« (Simone de Beauvoir), als auch auf kolonialistisch ausgebeutete Menschen projiziert.

Konkurrenz und Statuskämpfe, wie sie in den »ernsten Spielen des Wettbewerbs« (Pierre Bourdieu) in vorzugsweise geschlechtshomogenen Räumen unter Männern eingeübt werden, prägen dominante männliche Rollenbilder. Es entsteht ein ständiger Druck zur Behauptung, der sich wie ein Identitätskorsett über die reale Widersprüchlichkeit der Bedürfnisse legt und dabei existenzielle Unsicherheiten erzeugt. Männliche Gewalt gegen die Körper von Frauen und vermeintlich untergeordnete Gruppen kann, wie Klaus Theweleit herausgearbeitet hat, vor diesem Hintergrund eine destruktive Art sein, damit umzugehen, dass es nicht gelingt, das eigene vielstimmige Selbst und seine instabilen Beziehungen sinnhaft zu integrieren und zu gestalten. Die Angst vor dem Fremden im eigenen Innern drückt sich dann auch in der gesteigerten Furcht vor der Unbeherrschbarkeit der eigenen Körperlichkeit aus. (2)

Mit der Entwicklung des modernen Kapitalismus wird die instrumentelle Beherrschung von menschlicher und nicht-menschlicher Natur tatsächlich perfektioniert, aber auch immer weiter intensiviert. Sie wird maßlos ausgeweitet, bis der Raubbau in periodisch auftretende Krisen umschlägt. Heute ist der Punkt einer womöglich irreversiblen Zerstörung der Lebensgrundlagen für eine breite Öffentlichkeit in Sichtweite gerückt. Mit dieser Erkenntnisdämmerung ist auch eine Kränkung insbesondere männlich-patriarchaler Subjektentwürfe verbunden: Die Illusion der Souveränität und Kontrolle lässt sich nicht mehr aufrechterhalten. Das Scheitern dieser Hybris trägt schon länger entscheidend bei zum bizarren Irrsinn der Realitätsverweigerung neurechter Mobilisierungen. Der entfesselte Sexismus und die narzisstische Egozentrik, die evangelikal-fundamentalistische Bigotterie, gepaart mit skrupelloser Geschäftemacherei – all das ist keine plötzliche Regression, wie sie in liberalen Leitartikeln gern beklagt wird. Beim Aufstieg der Trumps und Bolsonaros dieser Welt handelt sich um das logische Produkt der kompromisslosen kapitalistischen Verwertungslogik der vergangenen Jahrzehnte: Reproduktionsbedürfnisse lebendiger Lebenszusammenhänge werden unter den Bedingungen der finanzmarktgetriebenen kapitalistischen Landnahme immer radikaler beschnitten, korrupte Klientelpolitik gedeiht.

Das explizit über Leichen gehende Corona-Krisenmanagement der misogynen Proto-Faschisten rückt die Unterordnung des Lebens unter Verwertungsinteressen nun in denkbar grelles Licht. Mitunter wird dabei ganz unverhüllt der Apokalypse gehuldigt. In der Folge verlieren die Repräsentanten dieses kollektiven Todeskults erheblich an Zustimmung. Slavoj Zizek glaubt, etwas verfrüht, gar schon an einen dauerhaften Niedergang des maskulin-autoritären »Populismus« und seine Verdrängung durch neue, rationalere Anführerinnen. Zutreffend ist immerhin, dass die Bewegungen für solidarische Alternativen von Greta bis Alexandria Ocasio Cortez vor allem von jungen Frauen mit wissenschaftlich informierter Vernunft und klaren moralischen Grundsätzen repräsentiert werden. An immer mehr Orten stellt sich so die Frage: »which side are you on?«

Symbolische Erschütterungen

In solchen Verschiebungen zeigen sich mindestens symbolisch-diskursive Erschütterungen. Und in einigen Fällen, wie etwa bei der umjubelten neuseeländischen Premierministerin Jacinda Ardern, verbinden sie sich auch mit einer reellen politischen Neujustierung, weg vom Neoliberalismus und hin zu mehr Armutsbekämpfung und Gesundheitsschutz. Die zentrale Auseinandersetzung um die Verteilung der Krisenlasten hat gerade erst begonnen. Die Turbulenzen werden weiter zunehmen und es ist offen, ob die aktuelle Rückkehr des Vertrauens in ordnungsstaatliche Lösungen anhalten wird – zumal dieser politische Stimmungswandel hierzulande paradoxer Weise politisch gerade der von Lobbyinteressen ausgehölten Union in die Hände spielt. In der Corona-Krise geraten jedenfalls auch einige besonders reaktionäre Typen männlicher Dominanz als Modelle des Regierens ins Wanken. Trump, Bolsonaro oder Lukaschenko wirken in ihrer Ignoranz, Zerstörungswut und Eitelkeit wie Zerrbilder. Die Krise birgt aber auch das Potential, zum Ausgangspunkt für die Etablierung noch brutalerer Formen männlicher Herrschaft im Kapitalismus zu werden. In jedem Fall steht auch die Linke vor der Aufgabe, mit der großen Kränkung des androzentrisch geprägten Glaubens an umfassende Naturbeherrschung und immerwährende Expansion umzugehen.

Anmerkungen:
1) Karsten Hank & Anja Steinbach: The virus changed everything, didn’t it? Couples’ division of housework and childcare before and during the Corona crisis. Journal of Family Research 2020.
2) Zur körperlichen Dimension faschistoider Männlichkeit siehe Klaus Theweleit: Männerphantasien, Berlin 2019.

Max Lill

Max Lill ist in der Klimagerechtigkeitsbewegung aktiv und arbeitet als Sozialwissenschaftler in Berlin.