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Das Ende der Austerität dank Joe Biden?

Von Ingar Solty

Die neue US-Regierung unter Joe Biden hat ein großes Konjunkturprogramm aufgelegt. Es handelt sich um das dritte Corona-Soforthilfeprogramm seit Beginn der Pandemie. Der Umfang: 1,9 Billionen US-Dollar. Zusammen bringen es die drei Programme auf 5,1 Billionen Dollar. Das Besondere am dritten Programm ist: Im Gegensatz zu beiden Vorgängern kommt es weiten Teilen der Arbeiterklasse zugute, nicht den Unternehmen. So werden etwa Mietzuschüsse, Kindergelder, Ernährungsprogramme und Konjunkturschecks finanziert.

Zweifellos fällt Bidens Wirtschaftspolitik somit linker aus als die von Barack Obama, dem Biden als Vizepräsident diente. Die Summe der drei Soforthilfeprogramme beträgt mehr als das sechsfache von Obamas Konjunkturprogramm zur Bekämpfung der Finanzkrise 2007ff. Zudem trat Biden sein Amt mit den Worten an: »Alle wichtigen Wirtschaftswissenschaftler sind sich einig, dass wir in Deficit Spending investieren sollten, um Wirtschaftswachstum zu erzielen.« Keynesianismus also.

Angesichts von Bidens Vergangenheit als rechter Demokrat mit fiskalkonservativen Positionen kommen seine Maßnahmen durchaus überraschend. Doch mehrere Gründe erklären sie: Erstens befinden sich die USA in einem Hegemoniekonflikt mit China. Wenn die Corona-Krise nicht der Nagel im Sarg der US-Hegemonie sein soll, müssen die USA handeln – auch wirtschaftspolitisch. Bidens Politik ist zweitens die Lehre aus den Obama-Jahren: Sein Konjunkturprogramm war zu klein, die Massenarbeitslosigkeit blieb hoch, die Krise killte Hochlohnjobs, der Wiederaufschwung brachte Niedriglohnjobs. Zwei Jahre später gewannen die Republikaner die Zwischenwahlen. Ab da war Obama von rechts getrieben. Das Ergebnis: Trump. Eine Wiederholung will Biden vermeiden.

Die Summe der drei Soforthilfeprogramme beträgt mehr als das sechsfache von Obamas Konjunkturprogramm zur Bekämpfung der Finanzkrise 2007ff.

Die Zeiten, in denen Republikaner die Demokraten als »tax-and-spend liberals« vor sich hertreiben können, sind drittens vorbei. Trump war es, der 2018 durch die extrem unpopulären Steuersenkungen für Großkonzerne und Reiche die Staatsschulden fast verdoppelt hatte. Biden plant übrigens eine Steuererhöhung für Unternehmen und setzt sich für eine globale Mindestbesteuerung ein. Viertens: Weil der US-Sozialstaat so gering ausgeprägt ist, bedarf es im Notfall umso massivere Maßnahmen. Schon in der globalen Finanzkrise musste die Bezugsdauer des nur kurz gewährten Arbeitslosengeldes aufgestockt werden; jetzt läuft sie mindestens 39, maximal 41 Wochen. Krise heißt in den USA, der Staat muss handeln.

Die Bevölkerung ist fünftens nach vier Jahrzehnten Gewerkschaftsschwäche und Vermögensungleichheit mehr denn je auf den Sozialstaat angewiesen. Fast die Hälfte der US-Amerikaner*innen lebt von »Paycheck to Paycheck«, ist also nah dran an der Privatinsolvenz. Eine solche Bevölkerung ist nicht mehr wie früher antisozialistisch aufzupeitschen. Linke Politik ist mehrheitsfähig. So sind etwa Zweidrittelmehrheiten für einen bundesweiten 15-Dollar-Mindestlohn und eine kostenlose Gesundheitsversicherung. Entsprechend erfreut sich Bidens Programm großer Beliebtheit.

Sechstens sind auch die Bundesstaaten auf den Nationalstaat angewiesen. Mit der Ausnahme von Vermont haben alle Schuldenbremsen in ihrer Verfassung verankert. Die Corona-Krise hat, wie schon 2007ff., massive Kürzungen in Bildung, Wohnen, öffentlichem Verkehr, ja selbst bei Polizei und Gefängnissen zur Folge gehabt. Noch mehr geht nicht. Siebtens bewegt sich Biden wirtschaftspolitisch auch deshalb nach links, weil die Parteielite durch die sozialistische Graswurzelrevolte geschwächt ist und der innerparteiliche Kampf weitergeht. Die Kooptation von Teilen der Sanders-Demokraten-Ideen gehört dazu.

Dies fällt achtens umso leichter, weil Biden entgegen seiner Rhetorik nicht wirklich auf eine Stärkung der Gewerkschaften setzt. Der PRO-Act (Protecting the Right to Organize), der als gewerkschaftsfreundliche Gesetzesinitiative im Rennen ist, wird von ihm nicht tatkräftig unterstützt – angeblich, weil die Mehrheiten im Kongress nicht ausreichen. Biden könnte aber zum Beispiel in der wegweisenden Auseinandersetzung um das Organizing von Amazon durch Exekutivanordnungen voranschreiten. Möglich wäre die Anwendung der »Neutralitätsklausel«: Wer, wie Amazon, öffentliche Aufträge in Anspruch nehmen will, muss sich bei Organizing »neutral« verhalten und auf Union-Busting verzichten. Das tut er aber nicht. Somit verschiebt das Konjunkturprogramm nicht grundlegend die Kräfteverhältnisse zwischen Kapital und Arbeit.

Kurzum, es gibt Gründe für Bidens Politik. Diese ist nicht sozialistisch, aber sie ist linker als die Obamas. Sie wirkt in Teilen der Krise der Arbeiterklasse entgegen. Sie bietet Chancen für Druck von unten, wenn es gelingt, Ausnahmemaßnahmen wie das Kindergeld und das Geld an die Bundesstaaten in einen dauerhaften Politikwechsel umzumünzen.

Ingar Solty

ist Referent für Friedens- und Sicherheitspolitik am Institut für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung.