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Der Preis der Restitution

Die Rückgabe der Benin-Bronzen erfolgt vor allem, weil die Bundesregierung sich daraus geopolitische und wirtschaftliche Vorteile erhofft

Von Bafta Sarbo

Die Skulptur eines Kopfes
Sie kehrte nur als Teil einer Einkaufstour nach Nigeria zurück, Raubkunst aus Berlin. Foto: Richard Mortel / Flickr, CC BY 2.0

2017 entfachte der französische Präsident Emmanuel Macron mit einer Rede in Ouagadogou, Burkina Faso, eine Debatte über die europäische Schuld am und die Aufarbeitung des Kolonialismus. Darauf folgte 2018 ein Bericht zur Restitution von kolonialem Raubgut. Dieser Bericht sorgte auch in Deutschland für Diskussionen.

Außenministerin Annalena Baerbock ist im Dezember nach Nigeria gereist. Als Anlass ihres Besuches galt in der Öffentlichkeit die Rückgabe der Benin-Bronzen. Die Bronzen wurden vor 125 Jahren als koloniales Raubgut von der britischen Armee entwendet und an Deutschland verkauft.

In ihrer Rede vor Ort kündigte Baerbock ein neues Kapitel der Völkerfreundschaft und Beziehungen zwischen Deutschland und Nigeria auf Augenhöhe an. Die Rückgabe der Güter wurde zwar vor einigen Monaten in Berlin bereits begonnen, die Reise der Außenministerin in Begleitung von Kulturstaatsministerin Claudia Roth gilt dennoch als besondere Geste der Annäherung.

Doch der Besuch ist von deutscher Seite nicht ganz uneigennützig, denn Nigeria ist für Deutschland wirtschaftlich und politisch ein wichtiger Partner auf dem afrikanischen Kontinent. Das westafrikanische Land ist nach Südafrika die zweitgrößte Volkswirtschaft und der größte Ölproduzent auf dem afrikanischen Kontinent. In der Vergangenheit hatte Nigeria signalisiert, auf erneuerbare Energien umsteigen zu wollen. Es könnte damit als wichtiger Energielieferant für Deutschland infrage kommen. Denn die Bundesrepublik möchte die Energiekrise nicht durch die Umgestaltung der Produktion, sondern vor allem durch Investitionen in erneuerbare Energien lösen.

Die Beziehung zu Nigeria zu stärken, ist ein strategischer Zug der Bundesregierung.

Die Beziehung zu Nigeria zu stärken, ist ein strategischer Zug der Bundesregierung. Es war eines der afrikanischen Länder, dass den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine verurteilte und eine Vermittlerrolle in Konfliktregionen wie Mali und Äthiopien einnahm. Beide Länder hatten sich in den vergangenen Jahren vom Westen abgewandt. Nigeria gilt damit als empfänglich für geopolitisch prowestliche Positionen. Auch in der Migrationspolitik, das heißt in der Abschiebung von afrikanischen Migrant*innen, wollen die Regierungen beider Länder in Zukunft enger zusammenarbeiten. Besonders zynisch: Am gleichen Tag, als die Benin-Bronzen mit viel öffentlicher Aufmerksamkeit zurückgegeben wurden, fand eine Sammelabschiebung von Deutschland nach Lagos, die größte Stadt des Landes, statt.

Diese Rückgabe zeigt vor allem, wie internationale Beziehungen im postkolonialen Zeitalter aussehen. Der Kolonialismus ist in den 1960er Jahren zwar in fast allen Ländern formal beendet worden, die Herrschaft über afrikanische Staaten wird jedoch mit anderen Mitteln fortgesetzt. Gerade Institutionen wie die Europäische Union oder ihre Vorgängerin, die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, und andere internationale Organisationen wie der Internationale Währungsfonds spielen hier eine strategische Rolle. Diese Beziehungen sind durch eine stetige ökonomische Abhängigkeit, eine hohe Verschuldung und eine politische Bevormundung der afrikanischen Länder gekennzeichnet, denen auch immer die militärische Intervention der europäischen Staaten innewohnt. In Mali ist immer noch die Bundeswehr im Einsatz.

Ein Begriff wie Neokolonialismus versucht, diese spezifische Form der imperialistischen Herrschaft zu beschreiben, ein Herrschaftsprojekt ohne die manifesten Eroberungen des alten Kolonialismus.

Die Debatten, die in Deutschland und den meisten ehemaligen Kolonialmächten unter dem Begriff Dekolonisierung laufen, gehen an dieser Realität jedoch völlig vorbei. Sie greifen vor allem kulturelle Fragen auf und wollen etwa Lehrpläne oder in Großstädten den öffentlichen Raum dekolonisieren. Sicher ist die Auseinandersetzung mit dem kulturellen Erbe des Kolonialismus und der ihn begleitende rassistische Chauvinismus politisch geboten. Jedoch legt dieser Zugang nahe, dass für eine umfassende Dekolonisierung nur eine andere Haltung einzunehmen wäre. Entscheidend wäre aber, die postkolonialen Grundlagen des kapitalistischen Weltmarktes zu hinterfragen und politisch zu bekämpfen.

Bafta Sarbo

arbeitet zu dem Verhältnis von Marxismus und Antirassismus. Sie ist aktiv in der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland.