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Erfüllung eines Traums?

Die Afrikanische Freihandelszone AfCFTA soll die größte ihrer Art werden – viele Fragen bleiben jedoch offen

Von Boniface Mabanza Bambu

Container und Kräne, zwei Arbeiter laufen im Vordergrund
Um die eigenen Industrien voranzubringen, braucht die Freihandelszone Schutz nach außen. MEAACT PHOTO, Stuart Price/ Flickr, Gemeinfrei

Am 1. Januar 2021 soll die Afrikanische Freihandelszone (AfCFTA) in Kraft treten. Damit käme ein langer Prozess zu einem vorläufigen Abschluss, der mit den Unabhängigkeiten afrikanischer Länder begann. Einige der Väter und Mütter der Unabhängigkeiten wie der Ghanaer Kwame Nkrumah sahen eine konsolidierte wirtschaftliche Entkolonisierung nur in der Einheit Afrikas. Sein Satz »We must unite now or perish« (»wir müssen uns jetzt einen oder untergehen«), den er in seiner Rede bei der Gründung der Organisation der Afrikanischen Einheit (OAE) am 24. Mai 1963 äußerte, unterstrich dies deutlich. Für ihn war klar, dass nur die Einheit der unabhängigen Staaten Afrikas helfen konnte, das Ende der kolonialen und neokolonialen Durchdringung festzuschreiben. Ein spätes Ergebnis dieser Vision ist unter anderem die Agenda 2063 (»The Africa we want«) der Afrikanischen Union, die sich zu einer panafrikanischen Perspektive durch Solidarität, Integration, Umsetzung von Afrikas Programmen und gebündelte Souveränität in kritischen Fragen von kontinentaler und globaler Dimension verpflichtet. Eine ihrer Säulen ist die Freihandelszone AfCTA. Die AfCFTA ist ein ambitioniertes Projekt, das die weltweit größte Freihandelszone im Blick auf die Anzahl der teilnehmenden Länder schaffen will. Ist der Kontinent bereit für solch ein ambitioniertes Projekt? Die Antwort ist nein, weil zu viele Faktoren, innere wie äußere, unberücksichtigt bleiben.

Ein ambitioniertes Projekt

AfCFTA will den binnenafrikanischen Handel, die regionale und kontinentale Integration und vor allem die ökonomische Entwicklung der Mitgliedstaaten durch Industrialisierung und Diversifizierung fördern. Dafür wollen die Länder des Kontinents in der ersten Phase 90 Prozent des Warenhandels und 100 Prozent der Dienstleistungen liberalisieren und einen Einzelmarkt von mehr als 1,3 Milliarden Menschen entstehen lassen. In der zweiten Phase folgen dann Verhandlungen über handelsbezogene Sektoren wie Wettbewerbs-, Investitionsregeln, Schutz des geistigen Eigentums und E-Commerce. Dadurch sollen der binnenafrikanische Handel, der im Moment bei weniger als 16 Prozent liegt, um mehr als 50 Prozent in den ersten zwei bis drei Jahren seiner Umsetzung erhöht und das Außenhandelsdefizit des Kontinents stark reduziert werden. Millionen Arbeitsplätze sollen geschaffen und mehr als 30 Millionen Menschen von der Extremarmut befreit werden. Mittlerweile haben 54 der 55 Mitglieder der AU das Abkommen unterzeichnet. Allein Eritrea verweigert bislang die Unterzeichnung.

Zu den harten, bisher noch nicht erfüllten Voraussetzungen gehören die Infrastrukturen und die Produktion. Zwar gibt es große Infrastrukturprojekte, doch es wird noch dauern, bis diese in Betrieb genommen werden. Ohne belastbare und moderne Infrastrukturen (Eisenbahnlinien, Autobahnnetze, moderne Häfen und Flughäfen, Energie, modernisierte Grenzposten ) ist das Projekt zum Scheitern verurteilt, denn die Bewegungsfreiheit von Waren und Menschen ist stark beeinträchtigt.

Innere und äußere Faktoren

Dies gilt auch für den Bereich der Produktion. Viele Ökonomien des Kontinents sind außenorientiert und basieren auf ein paar wenigen agrarischen, energetischen und mineralischen Primärerzeugnissen und haben entsprechend nichts, was sie sich gegenseitig anbieten können. Dies ist einer der Hauptgründe des schwachen binnenafrikanischen Handels. Die Antwort auf diese Herausforderung kann nicht Liberalisierung heißen, vor allem nicht auf einem Kontinent, dessen Ökonomien von ausländischen Unternehmen dominiert werden. Richtig wäre eine Beschleunigung der Erhöhung der Produktion in der verarbeitenden Industrie, deren binnenafrikanischer Marktanteil stetig gestiegen ist, und vor allem eine Diversifizierung der monolithischen Ökonomien.

Der zweite Aspekt hängt mit den Beziehungen des Kontinents mit anderen Regionen der Welt zusammen. Gut informierte Beobachter*innen wie der ehemalige südafrikanische Minister für Handel und Industrie, Rob Davies, glauben Anzeichen von Ambitionen aus anderen Regionen und Ländern wahrgenommen zu haben, die in der AfCFTA eine Chance sehen, den Kontinent mit ihren verarbeiteten Produkten zu überschwemmen. Dafür wollen sie entweder die ambitionierten bilateralen Freihandelsabkommen, die sie mit einzelnen afrikanischen Ländern oder Regionen verhandeln, oder die vielleicht am Ende schwachen Ursprungsregeln der AfCFTA nutzen. Letztere befinden sich noch in Verhandlungen, es bleibt offen, wie schützend für die afrikanischen Ökonomien sie am Ende ausfallen. Vor dieser Gefahr der Nutzung der AfCFTA zur Beherrschung der Märkte des Kontinents haben vor Rob Davies schon andere gewarnt. So sagte der togolesische Ökonom Kaku Nubukpo in einem Interview: »Dieser Raum darf nicht zu einem trojanischen Pferd für den Rest der Welt werden. Afrikanische Unternehmen müssen diesen Markt massiv beliefern und dabei auf die strikte Einhaltung der Ursprungsregeln achten. Es sollte einen lokalen Anteil von mindestens 50 Prozent bei den Produktionsfaktoren und Produkten geben. Aber Vorsicht, der Markt ist nicht genug. Um ihn zu versorgen, ist eine Produktion unabdingbar, eine Produktion, die Einkommen generiert.«

Diese Warnung ist ein Hinweis auf ein grundsätzliches Problem, das die AfCTA betrifft: die Vereinbarkeit der Ziele mit den bestehenden Instrumenten zu deren Erreichung. Ein Beispiel macht dies deutlich: Ghana, die Elfenbeinküste und Kamerun haben mit der EU Interimswirtschaftspartnerschaftsabkommen (WPS) unterzeichnet. Diese beinhalten Klauseln wie etwa ein Verbot der Exportsteuer und eine alte Formulierung der Meistbegünstigungsklausel. Diese wird dafür sorgen, dass Ghana der EU alle Handelsvorteile gewährt, die das Land den afrikanischen Partnern im Rahmen der AfCFTA zugute kommen lässt. Außerdem darf es die Exportsteuer nicht nutzen. Diese wäre jedoch ein wichtiges Instrument zur Erhöhung der Staatseinnahmen und vor allem zur Förderung der Verarbeitung seiner Rohstoffe vor Ort, um Mehrwert und qualitative Arbeitsplätze zu generieren. Beide Klauseln stehen im eklatanten Widerspruch zu den Zielen der AfCFTA, Industrialisierung, Diversifizierung und binnenafrikanischen Handel zu fördern. Damit Industrialisierung in Afrika vorangetrieben werden kann, »müssen afrikanische Volkswirtschaften somit nicht nur ihre derzeitigen Verpflichtungen gegenüber der WTO verletzen, widerrufen und neu verhandeln, sondern sie dürfen auch keines der anstehenden Freihandels- und Investitionsschutzabkommen unterzeichnen«, schrieb Rich Rowden im Jahr 2016. (1) Dies gilt noch heute, besonders vor dem Hintergrund der bevorstehenden Öffnung nach innen, welche einen starken Schutz nach außen verlangt.

Keine Beteiligung »von unten«

Die hier skizzierten Unsicherheiten sind nur eine Facette der Faktoren, die einen erfolgreichen Start der AfCFTA bezweifeln lassen. Hinzuzufügen ist die Tatsache, dass die afrikanische Union keine Risikoanalyse durchgeführt und keine Mechanismen zur Kompensation der Länder geplant hat, die aufgrund der asymmetrischen Machtverhältnisse innerhalb des Kontinents Zolleinnahmen verlieren werden. Darüber hinaus haben es die meisten Länder des Kontinents versäumt, Gruppen wie Bauernorganisationen, informelle Händler*innen, kleine und mittlere Unternehmen, Gewerkschaften und auf Handel spezialisierte zivilgesellschaftliche Organisationen in nationale Konsultationsprozesse einzubeziehen. Einige dieser Gruppen sprechen sich für eine Verschiebung des Starts der AfCFTA aus.

Die dadurch gewonnene Zeit würde es möglich machen, die noch offenen Fragen zu klären und die Instrumente den Zielen besser anzupassen. So eine Verschiebung könnte auch ermöglichen, einem anderen Faktor Rechnung zu tragen, der die Ökonomien des Kontinents in Unsicherheit versetzt: die Corona-Pandemie. Diese hat die Schwächen und Abhängigkeiten der Ökonomien des Kontinents deutlich zu Tage treten lassen. Angesichts dessen empfehlen Intellektuelle aus Afrika und aus der Diaspora den afrikanischen Entscheidungsträger*innen, »sich von problematischen Entwicklungsstrategien abzuwenden, die von internationalen Finanzinstitutionen gefördert werden, wie etwa die Liberalisierung des Außenhandels, der Investitionen und des Finanzwesens.« Stattdessen plädieren sie für ein Wirtschaftsmodell auf der Grundlage von Vollbeschäftigung, sozialer Sicherheit für alle, Ernährungs- und Energiesouveränität und ökologischer Transformation. (2) Die AfCFTA ist noch weit davon entfernt, die Alternative zu sein, die hier angesichts der durch Covid-19 offensichtlich gewordenen Schwächen angemahnt wird.

Boniface Mabanza Bambu

hat Philosophie, Literaturwissenschaften und Theologie in Kinshasa studiert und an der Universität Münster promoviert. Seit 2008 arbeitet er hauptsächlich als Koordinator der Kirchlichen Arbeitsstelle Südliches Afrika in Heidelberg. Er beschäftigt sich u.a. mit handelspolitischen Fragen.

Anmerkungen:
1) Rick Rowden, Das Ende des Mythos. Afrika hat sich nie wirklich entwickelt, in Internationale Politik und Gesellschaft, 1.2.2016.
2) Ndongo Samba Sylla, Mit erhobenem Kopf. Über die Covid-19-Krise als Chance für fortschreitende Transformation in Afrika, In: Maldekstra. Globale Perspektiven von Links: Das Auslandsjournal, September 2020.