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Abstieg einer Supermacht

Donald Trumps Iran-Politik zeigt das strategische Dilemma der USA

Von Jörg Kronauer

Der Krieg, den keiner wollte, findet nicht statt: Das zumindest lässt sich nach dem US-Drohnenmord an dem iranischen Kommandeur Qasem Soleimani und dem iranischen Gegenschlag auf zwei von den US-Streitkräften genutzte Militärbasen im Irak als Zwischenbilanz konstatieren. Vorläufig jedenfalls: Der Konflikt zwischen den USA und Iran kocht nach wie vor hart am Siedepunkt vor sich hin. Ein Ende ist nicht in Sicht; er kann jederzeit neu eskalieren.

Die USA haben im Mittleren Osten ein strukturelles Problem: Eigentlich wollen sie weg. Schon George W. Bush hatte im Februar 2002 bei einem Japanbesuch mit Blick auf das aufsteigende China von einem »pazifischen Jahrhundert« gesprochen und betont, die USA seien eine »pazifische Nation«. Dann verkämpfte sich seine Administration jedoch im Irak – in dem größenwahnsinnigen Glauben, mal einfach so den Mittleren Osten auf prowestliche Linie bomben zu können. Barack Obama ging dann daran, die Truppen tatsächlich heimzuholen: Für seinen »Pivot to Asia«, den »Schwenk nach Asien«, den er im Herbst 2011 offiziell verkündete, wollte er auch die militärischen Kapazitäten zur Verfügung haben. Kaum hatte er angefangen, die Streitkräfte stärker in Richtung Pazifik zu orientieren, da zwang der IS Washington in einen nächsten Krieg in Mittelost.

Donald Trump macht nun Ernst mit dem Machtkampf gegen China. Auch er will die US-Truppen aus dem Nahen und Mittleren Osten abziehen, um größtmöglichen Spielraum in Ostasien zu haben; daher auch der chaotische Abzug aus Syrien. Ein Krieg wäre für einen Truppenabzug natürlich kontraproduktiv, einer gegen Iran erst recht – denn verglichen damit, da sind sich die Auguren weitgehend einig, wäre der Irakkrieg nur ein begrenzter Konflikt. Den Aggressionen der Trump-Administration gegen Iran sind also – im strategischen Eigeninteresse der US-Eliten – Schranken gesetzt.

Das wiederum nutzt Teheran, kalt kalkulierend und strategisch planend, aus. Militärisch gegen die USA ohne jede Chance, ökonomisch durch die Sanktionen an die Wand gedrückt, bleibt dem Regime eine einzige Option: schmerzhafte Nadelstiche gegen Interessen der USA und ihrer Verbündeten in der gesamten Region. Wie eine solche Strategie aussieht, konnte man im vergangenen Jahr beobachten. Da wurden Öltanker angegriffen, Katjuscha-Raketen prasselten auf US-Militärstützpunkten und unweit der US-Botschaft in Bagdad nieder; Drohnen legten schlagartig einfach mal so einen Großteil der saudischen Ölproduktion lahm. Iran muss die Nadelstiche gar nicht selbst ausführen; es verfügt inzwischen in vielen Ländern der Region über schiitische Verbündete, die zwar eigenständig operieren, aber auch mal Auftragsarbeiten übernehmen.

Das Netzwerk verbündeter Milizen im Irak, in Syrien, im Libanon, im Jemen hat maßgeblich Qasem Soleimani aufgebaut. Der Drohnenmord an ihm – er war immerhin einer der mächtigsten offiziellen Funktionsträger in Iran – ist aus Sicht der Trump-Administration wohl die ultimative Warnung unterhalb eines offenen Krieges gewesen. Teheran, militärisch klar unterlegen, kann einen Krieg nicht wollen; also hat es vor seinem Gegenschlag gewarnt und US-Opfer vermieden. Damit aber ist der Konflikt wieder dort, wo er zuvor war. Trump allerdings hat seine schärfste Karte verzockt. Sollte er, wenn Iran und seine Verbündeten die Nadelstiche fortsetzen, sagen wir: Soleimanis Nachfolger umbringen lassen, dann käme der iranische Gegenschlag wohl schnell und mit vielen US-Opfern. Einen Probelauf hatte Iran jetzt ja schon.

Gelöst ist also nichts. Die Trump-Administration wird sich, will sie die Nadelstiche nicht auf Dauer stoisch hinnehmen, womöglich entscheiden müssen: Bindet sie weiterhin ihre Kräfte in Mittelost, dann hilft das China; zieht sie aus der Region ab, triumphiert Iran. Für beides reichen die Kräfte nicht mehr aus: Zeichen des Abstiegs einer Supermacht.

Jörg Kronauer

ist Soziologe und freier Journalist und lebt in London.