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Vom unvermeidlichen Verrat

Bleiben oder aus der Diktatur fliehen? Der Film »Sieben Tage« dreht sich um eine folgenschwere Entscheidung

Von Renate Clauss

Zu sehen sind drei Personen, eine Frau im Vordergrund, Mann und Tochter hinter ihr.
Die Menschenrechtlerin Maryam (Vishka Asayesh) kommt kurzzeitig aus dem Gefängnis und flieht, um ihre Familie wiederzusehen. Aber bleibt sie auch? Foto: bravenewwork

Irgendwo in Teheran. Eine Frau steigt von einem Auto in ein anderes. Die erste Szene, in der Maryam zu sehen ist. Sie wird von ihrem Bruder empfangen. Der Gefängnisbeamte übergibt ihm die Schwester mit den Worten: Falls »etwas passiere«, werde er verantwortlich gemacht. Maryam, eine Menschenrechtsaktivistin, erhält sieben Tage medizinisch bedingten Hafturlaub. 

Irgendwo in Hamburg: Ein Mann, Behnam, kauft Koffer und bringt sie nach Hause. Der zehnjährige Alborz packt voller Vorfreude auf die Mutter seinen Koffer, die halbwüchsige Tochter Dena ist nicht zuhause. Ihre Reise führt die drei zu Maryam, der Mutter der beiden und Frau von Behnam. Ein Wiedersehen nach sechs Jahren.

In Teheran erfährt Maryam von Mutter und Bruder, dass alle gemeinsam die Flucht in die Türkei geplant haben, wo sich die Familie treffen und Maryam mit nach Deutschland nehmen soll.

Die Flucht an die iranisch-türkische Grenze verläuft in Etappen; immer wieder andere Personen übergeben Maryam, Handys werden gewechselt, Namen verschwiegen. Maryams Gesicht ist bekannt, daher verbirgt sie – anders als normalerweise – Haare und Mundpartie: auf der Straße, allein im Bus, beim Umsteigen in das nächste Fahrzeug. Erst an der Grenze im Nirgendwo gibt sich ein Helfer als politischer Freund zu erkennen und nennt ihr seinen Namen.

In der Türkei trifft sich die Familie: Alles ist vorbereitet, nach den Strapazen ein warmes Haus, eine warme Dusche. Alborz und Behnam sind überglücklich, Dena zurückhaltend. Nach den Jahren der Trennung nähern sich die vier einander an; es entsteht eine zerbrechliche Normalität. Beim Einkauf im türkischen Dorf wird Maryam erkannt und gerät damit in Gefahr, die sie mit Verleugnung ihrer Person verhindern kann.

Die innere Zerrissenheit stellt Asayesh großartig dar, ebenso den Schmerz, den sie mit ihrer Entscheidung anderen zumuten wird.

Maryam muss dann jedoch eine Entscheidung treffen: Reist sie nach Hamburg in die Freiheit, oder kehrt sie zurück ins Gefängnis, um ihren Kampf fortzuführen? Nach und nach wird der Familie klar, dass ihr Fluchtplan möglicherweise nicht aufgeht. Die schwierige Annäherung zwischen Mutter und Tochter zerbricht, als Dena Maryam scharfe Vorwürfe macht und diese daraufhin zusammenbricht. Der Arzt ordnet Bettruhe und Schonung an. Alborz erkennt, dass unklar ist, ob Maryam mitkommt, läuft weg, versteckt sich. Irgendwann ist alles gesagt und der Entschluss Maryams steht fest. 

Der Film von Ali Samadi Ahadi (Regie) und Mohammad Rasoulof (Drehbuch) basiert auf wahren Ereignissen und Personen, die in der Geschichte von Maryam verdichtet werden. Der Schauspielerin und Künstlerin Vishka Asayesh gelingt es, in kleinen Gesten ihre Ablehnung vorgegebener Regeln darzustellen, etwa, indem sie im Beisein einer Frau mit Tschador ihr Tuch von den Haaren streift. Sie nimmt uns mit in die Gefahren und Unsicherheiten einer Flucht, bei der sie Menschen vertrauen muss, die sie niemals zuvor gesehen hat und niemals wieder sehen wird, vorbei an Leichen, die im Gebirge erfroren sind. Am Grenzfluss wird auf sie geschossen; sie watet durch eiskaltes Wasser. Sie ist eine Kämpferin voller Gefühle für ihre Familie und ihre Kinder – zugleich aber auch für Menschenrechte, Freiheit und Würde.

Es gelingt den Schauspieler*innen wie dem Regisseur, viele Schicksale zu einem Erzählstrang zu verdichten. Welche Entscheidung Maryam treffen wird, bleibt lange offen. Dialoge zwischen den Eheleuten, Gespräche mit Sohn und Tochter spiegeln die Aspekte einer Flucht oder des Zurückkehrens facettenreich wider. Die innere Zerrissenheit stellt Asayesh großartig dar, ebenso den Schmerz, den sie mit ihrer Entscheidung anderen zumuten wird. Wie sie die Entscheidung auch fällt: Entweder verletzt sie die Menschen, die sie liebt, oder sie verrät ihre eigenen Ideale. Als sie sich mit Behnam darüber streitet, sagt Maryam, sie sei es leid, gesagt zu bekommen, was sie zu tun und zu lassen habe. Was von Behnam, Dena und Alborz als Egoismus interpretiert wird, ist ein – im Wortsinn – radikales Beharren auf dem Selbstbestimmungsrecht über ihr eigenes Leben – mit allen Konsequenzen.

Renate Clauss

ist internationalistisch sowie antirassistisch aktiv und seit Oktober 2021 bei der Seebrücke.

Sieben Tage. Deutschland 2025. 115 Minuten. Regie: Ali Samadi Ahadi. Kinostart: 15. Mai