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|ak 690 | Alltag |Reihe: Komm bitte!

Komm bitte, Fantasie

Von Kuku Schrapnell

Wenn man das Wort Fantasie in eine Suchmaschine eingibt, kommt zum Beispiel das hier raus. Schön! Foto: gemeinfrei

Was gibt es Verrückteres als die Fantasie? Während ich diese Kolumne schreibe, ist ein kleiner Teil meines Bewusstseins damit beschäftigt, sich auszumalen, wie es sein wird, wenn ich die nächste Woche nach einer Operation im Krankenhaus verbringe. Zum Glück kann ich mir auch vorstellen, dass ich im Krankenhaus die Möglichkeit habe, mir noch ganz andere Sachen vorzustellen und mich aus dem langweiligen Krankenbett nach draußen zu träumen. Also damit jetzt schon herbei fantasiere, was und wie ich mich dann hinweg fantasiere. Was das menschliche Hirn so alles vermag, ist doch schon beeindruckend.

Nicht nur ich hab’ was von meiner Fähigkeit zur Fantasie, sondern auch ihr. Schließlich ist die Fantasie ja treibende Kraft hinter meiner Kolumne, aber auch hinter den meisten Bildern, Filmen, Serien, Büchern und so weiter. Diese ganzen Kulturgüter beruhen ja auf der Fähigkeit, dass sich irgendjemand etwas vorgestellt hat, das noch gar nicht da ist, und dann alles mögliche gemacht hat, damit es da ist. Selbst die Wissenschaften und dieses Ingenieurszeug, das ja immer als sehr rational und streng gilt, braucht ein enormes Maß an Fantasie und Vorstellungsvermögen, will es etwas Neues erschaffen, neue Modelle erdenken und überhaupt vorwärtskommen.

Dass wir uns Bilder davon machen können, wie es anders sein könnte, ist auch und vor allem extrem praktisch, wenn man der Meinung ist, dass die Gesellschaft, so wie sie gerade funktioniert, eben nicht so gut funktioniert. Jetzt ruft bestimmt jemand beim Lesen laut »Bilderverbot!« und mag auch daran glauben, aber selbst das Bilderverbot geht ja davon aus, dass es grundsätzlich schon die Fähigkeit gibt, sich etwas anderes vorzustellen und implizit auch, wenn man sich nicht komplett in der Totalität verloren glaubt, dass eine andere Welt möglich ist.

Dabei muss es ja gar nicht immer gleich um diese ganz großen Sachen wie Utopien oder gar die befreite Gesellschaft selbst gehen. Fantasie erlaubt es uns, schon im Hier und Jetzt ein besseres Leben zu führen und damit meine ich nicht nur dieses Wegträumen aus der kalten, grauen, schnöden Realität. Fantasie verleiht uns auch die wundervolle Fertigkeit zu lügen.

Lügen ist etwas so Fantastisches. Wenn Kleinkinder das erste Mal in der Lage sind zu lügen, können sie erstmal gar nicht damit aufhören. So viel Spaß macht es, und so wichtig ist es, das auch zu lernen. Dabei lernt man Empathie: Schließlich muss man sich vorher vorstellen können, was die andere Person weiß, denkt, fühlt. Und es vereinfacht das Leben enorm.

Was Kinder nutzen, um so lästige Dinge wie Zähneputzen zu umgehen, können Erwachsene brauchen, wenn es darum geht, den Chef anzuflunkern oder der Polizei einen Bären aufzubinden. Eine prächtige Fantasie ist ein gutes soziales Schmiermittel und ermöglicht es uns, der herrschenden Ordnung hier und da etwas abzuluchsen.

Doch auch darüber hinaus hilft uns Fantasie, ein verträgliches Miteinander zu führen. Fantasien sind Orte, an denen wir Dinge ausprobieren können. Nicht nur können wir damit ganz planerisch diese oder jene Variante unserer Handlungen durchspielen, wir können auch unsere niedersten Bedürfnisse dort abladen.

Als gelernte Pädagogin bin ich natürlich gegen Strafen und weiß, dass sie so gut wie nichts bringen. Positive Bestärkung ist da viel nachhaltiger. Auch bin ich ja grundsätzlich Fan von den Menschen und glaube, es wäre schön, wenn niemand gewaltsam sterben muss oder auch nur verletzt wird. Andererseits bin ich auch schrecklich emotional und bin in meiner Fantasie eine schreckliche Rachegöttin. Wer nach einer Demo nicht schon die eine oder andere Vergeltungsfantasie gegenüber den Cops hatte, werfe den ersten Stein – oder eben genau nicht.

Aber das soll hier nicht in Gewaltaufrufen enden. Auch schöne Dinge passieren in der Fantasie mehr als irgendwo sonst, und natürlich hab’ ich mir das beste bis zum Schluss aufbewahrt: Sex. Ich glaube, an keinem Ort hatte ich so viel Sex wie in meiner Fantasie. Nicht nur, kann man fast immer, selbst spontan dort vorbeischauen, auch gibt es ungeahnte Möglichkeiten. Egal wer, egal wie, alle Möglichkeiten und Unmöglichkeiten der Sexualität sind dort nicht nur möglich, sondern können auch ganz ohne äußere Bewertung erstmal vollzogen werden. Wer einmal queerer horny Teenager war, weiß, wie wertvoll das sein kann.

Egal ob wir die Fantasie jetzt für unseren Eskapismus, unsere revolutionären Bemühungen oder für ein bisschen Spaß benutzen: Allein dass wir das können, ist schon ganz schön geil.

Kuku Schrapnell

ist neben ihrem neuen Job als schwule Sex-Kommunistin auch Trans-Aktivistin, gut aussehend und Wahl-Ostdeutsche.