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|ak 715 | Kultur

Sehnsucht, Träume, Liebe

Die Trilogie »Oslo Stories« zentriert die transformative Kraft von Begehren und Gesprächen

Von Kornelia Kugler

Zwei Schornsteinfeger sitzen auf einem Dach und unterhalten sich. Der Himmer ist Wolkenlos. Einer hat dunkle Haare und trägt eine Cappy. Der andere hat blonde Haare und einen Schnauzbart. Beide haben Sicherheitskleidung an. Neben ihnen ist ein großer schwarzer Schornstein.
Über den Dächern von Oslo überdenken zwei Schornsteinfeger das Thema Sex und Sexualität. Foto: © Alamode Film

Die Themen der gefeierten Trilogie stecken im Titel: »Sehnsucht« (im Original: »Sex«) lief  2024 auf der Berlinale, »Liebe« im Wettbewerb von Venedig, und »Träume« wurde schließlich 2025 mit mit dem Goldenen Bären der Berlinale ausgezeichnet. Alle drei Filme kommen zwischen Mitte April und Ende Mai in die deutschen Kinos und lassen sich in beliebiger Reihenfolge anschauen. Sie erzählen, obwohl lose zusammenhängend, jeweils eigenständige Geschichten.

In »Sehnsucht« begleiten wir zwei befreundete Schornsteinfeger und Familienväter. Zu Beginn des Films erzählt der eine von einem ihn verstörenden Traum über David Bowie, in dem er angesehen wurde wie noch nie zuvor – als wäre er »kein Mann, sondern etwas anderes« – woraufhin der andere ganz nebenbei berichtet, er habe gestern spontan Sex mit einem Kunden gehabt. Es war »sensationell«, so begehrt zu werden. In ihren so unaufgeregt wie offenen Gesprächen auf den Dächern Oslos hinterfragen die beiden ganz nebenbei normative Männer- und Beziehungsbilder.

»Träume« handelt von der ersten großen Verliebtheit der 17-jährigen Johanne in ihre Lehrerin. Im Voice Over erzählt Johanne, was diese Liebe ausgelöst hat und was danach geschehen ist, – wie sie ihr Erlebnis schriftlich festzuhalten versucht und den Text schließlich ihrer Großmutter, einer Schriftstellerin, zu lesen gibt. Was für Johanne »das Schönste, was ich je erleben werde« war, wirft für ihre Großmutter und Mutter die Frage auf, ob die Beziehung missbräuchlich war. Und, ob der Text veröffentlicht werden sollte. Alle drei Generationen werden mit ihrer Sehnsucht, lieben und geliebt werden zu wollen, konfrontiert.

In »Liebe« verfolgen wir einige Tage im Leben von Marianne und Tor, die als Ärztin und Krankenpfleger auf der urologischen Station einer Klinik zusammenarbeiten. Prostatakrebs und seine Folgen bestimmen ihren Arbeitsalltag. Als sie sich zufällig auf einer Fähre treffen, erzählt Tor seiner Kollegin von seinen Grindr-Dates auf dem Schiff. Marianne ist inspiriert von der Vorstellung, einem Fremden körperlich nah zu sein, ohne eine weitere Verbindung eingehen zu müssen. Sie war nie verheiratet, ist kinderlos, und hat, entgegen den Bemühungen ihrer besten Freundin, auch nicht vor, das zu ändern. Auch wenn sie nach einem One-Night-Stand im Hafenbecken mit den sexistischen Vorstellungen ihres Gegenübers konfrontiert wird, fühlt sie sich für den Moment »glücklich und frei«.

Regisseur, Bibliothekar und Romanautor Dag Johan Haugerud hat mit den Oslo-Stories zwar formal eher brave, aber – ohne es vor sich herzutragen – in ihrer Haltung überraschend queere Filme gemacht, voller Empathie und Offenheit. Die Trilogie erzählt von der Sehnsucht nach sexueller und emotionaler Nähe zu anderen, ohne sich dabei unbedingt an die Konventionen zu halten, die Beziehungen meist regeln. In allen drei Filmen geht es um Begehren abseits von Monogamie, Heteronormativität und gesellschaftlichen Normen – ohne die dafür üblichen konfliktreichen Narrative in den Vordergrund zu stellen. Haugerud erklärt im Interview, dass allen drei Filmen die Überzeugung innewohnt, dass Sexualität und Begehren etwas Befreiendes sein können: »Ich bin (als schwuler Mann) während Aids aufgewachsen, in einer Zeit, in der Sex tatsächlich etwas potenziell Todbringendes sein konnte. Vielleicht ist das aber auch der Grund, warum es mir so wichtig ist, einen anderen Blick auf Sexualität zu werfen, das Stigma zu beseitigen.«

Bildlich und in der Handlung eher reduziert, stehen in den Oslo-Stories Dialoge und Sprache im Vordergrund. Alltägliche Situationen bauen in den Filmen aufeinander auf und werden durch ausführliche Gespräche miteinander in Beziehung gesetzt. Trotz oder vielleicht sogar wegen der »tell don’t show«-Erzählweise der Filme schaffen es Haugerud und sein Team, einen Möglichkeitsraum zu öffnen: Was ändert sich, wenn sich die Geschlechter- und Machtverhältnisse verschieben? Wenn man gesellschaftliche Regeln ausblendet? Was passiert, wenn heterosexuelle Männer auch andere Männer begehren? Was wäre, wenn cis-Frauen cruisen könnten, wie cis-Männer? Wenn diese Kategorien von geschlechtlicher und sexueller Identität weniger rigide, weniger einschränkend wären? Und: Ist das noch naiv oder schon utopisch? Die realen Einschränkungen lässt Haugerud nicht ganz außen vor, aber er stellt sie auch nicht in den Mittelpunkt seiner Filme. »Man braucht jemanden, der die Welt größer macht, nicht kleiner«, sagt einer der Schornsteinfeger zum anderen, als die beiden über Beziehungen sprechen.

Kornelia Kugler

ist Filmemacherin und Teil der Gruppe analyse & kino, die sich aus der Schreibwerkstatt »Filmkritik und die Klassenfrage« im Rahmen der Woche der Kritik Anfang 2025 gegründet hat. Ab sofort lest ihr regelmäßig Filmkritiken von wechselnden Autor*innen der Gruppe in ak.