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|ak 681 | Alltag

Schau-Time und Showtime

Steinchen, Pommes, Sprungturm – die Freibad-Saison beginnt

Von Christof Meueler

Eine Frau und ein Mann braten auf einer Liege in der Sonne, das ganze offensichtlich im Freibad
Ausgeknockt von Wasser, Chlor und Sonne – eine universelle Freibaderfahrung. Badegäste in Belgrad. Foto: Philipp Fröhlich

Das Beste am Freibad ist, wenn man sich zum Trocknen auf den Steinboden legt. Scheint die Sonne, ist der Boden warm, sehr angenehm. Und von oben wird man langsam aufgeheizt. Ein Fünfminutenglück, dann wird es zu heiß und zu hart und man muss wieder ins Wasser.

Sonst liegt man natürlich auf der Wiese und kann nicht schlafen, weil es so laut ist. Es sei denn, man kommt vor zehn Uhr morgens. Wird mehr Rumgelegen oder geschwommen? Hängt vom Wetter ab. Ist es schlecht, kann man gar nicht liegen, aber soviel schwimmen wie man möchte. Regen im Freibad ist ein Geheimtipp, da hat man das Bad für sich. Man muss sich bewegen, um nicht zu frieren. Die Rutschen sind frei und auch der Dreier. Und man kann Ewigkeiten Bahnen ziehen, monoton und psychedelisch, weil das Gehirn dabei abschaltet und man anfängt, zu träumen. Wenn man aussteigt, ist einem leicht schwindlig. Doch diese Schwimmbadtrance kann man auch im Hallenbad haben.

Interessanter ist das Freibad bei gutem Wetter. Dann ist es voll und das Liegen fällt einem leichter als das Schwimmen im sogenannten Tiefen. Eigentlich geht da nur sehr gemäßigtes Brustschwimmen, weil man sonst nicht sehen kann, wem man ausweichen soll: Den knallharten Bahnenzieher*innen mit den Schwimmerbrillen, die so tun, als wären sie allein auf der Welt. Wie Drängler*innen auf der Autobahn, nur dass sie von vorne kommen. Den Nebeneinanderherschwimmer*innen, die niemals ihr Gespräch unterbrechen wollen, um die man herum schwimmen soll. Die Rückenschwimmer*innen, die einen nicht sehen können. Die Querschwimmer*innen, die von der Seite kreuzen, einmal quer rüber, weil ihnen eine ganze Bahn zu anstrengend ist. Und die ganzen Kinder, die mitten im Becken Kunststücke vollführen, als wären sie Delfine. Plötzlich schießen sie aus dem Wasser, um Luft zu holen. Oder sie springen seitwärts rein, um zu prüfen, ob das der Bademeister merkt.

Dieses Hindernisschwimmen ist nie langweilig, weil man so viel schauen muss. Freibad ist sowieso Schau-Time und Showtime. Dauergucken wie auf dem Campingplatz, nur dass man im Freibad die Reicheren nicht an den dicken Autos und Caravans erkennt. Ihre teuren Fahrräder parken sie vor der Kasse. Drinnen verschwimmt die Klassengesellschaft im Wortsinn, man kann sie in Badehose, Bikini oder Badeanzug nicht mehr auseinanderhalten. Erst wenn sich die Menschen wieder anziehen und sich entweder die Luxus-Rucksäcke überwerfen oder die blaue große Ikeatasche füllen, fängt die sichtbare soziale Spaltung wieder an.

Im Freibad aber gilt das alte Lied von DAF: Trägst du deinen Körper, steht dir alles, was du trägst. Oder eben nicht. Manche arbeiten dafür in der Fitnessbude, anderen ist das schnurz. Und manche scheinen den ganzen Sommer im Freibad zu leben. Das sind die mit den Dauerkarten und den braun-gelben, gegerbten Körpern, die sich am Beckenende versammeln und unterhalten, als wären sie in einer Kneipe. Zu viel Sonne scheinen sie gerade gut zu finden. Daran sollt ihr sie erkennen. Oder an ihren Bademänteln, in denen sie sich abtrocknen. Alle anderen haben Handtücher, die aber auch merkwürdig aussehen können, wenn sie witzig aussehen sollen. Dann schon lieber die von einem langweiligen Fußballklub. Wer braucht sie zum Umziehen, wer nicht? Sieht oft verkrampft aus, wenn es lässig aussehen soll. Unlässig sind auf jeden Fall die Leute, die auf einem Bein herum hüpfen, um das Wasser auf dem Ohr zu schütteln.

Richtig blöd sind fast immer die Umziehkabinen, weil sie tendenziell stinken, schlimmer als im Hallenbad. Dabei ist im Freibad doch viel mehr frische Luft. Sehr merkwürdig. Was gut riecht, sind die Pommes, vielleicht so gut wie nirgends sonst. Dafür steht man auch gerne zehn Minuten an und läuft barfuß über zwickende Steinchen, mit denen man nie rechnet, sonst hätte man doch Schuhe angezogen. Und dann hinsetzen und ein kaltes Bier trinken. Dabei schaut man auf den Sprungturm, das große Theater eines jeden Freibades, wenn es denn einen hat. Dort wird sogar noch mehr geschrien, als es sonst bei allen Adoleszenten im Freibad Pflicht ist.

Ein Sprung dauert 2,5 Sekunden, egal ob von Fünf-Meter oder von Siebenkommafünf. Muss man sich aber erst mal trauen. Raufsteigen, runtergucken und wieder runterklettern. Puhhh. Und wieder raufsteigen, nicht runtergucken und einfach springen. Körperspannung halten, sonst tut’s weh. Volles Adrenalin.

Ich weiß noch, als wäre es gestern gewesen, wie ich mit meinem Onkel zum Fünfer hochstieg, ich war zehn und er war 30. »Wie willst du springen?« fragte ich ihn und er sagte: »Köpper ist immer am sichersten.« Ich sprang Kerze, und er mit dem Kopf zuerst. Anschließend hatte er drei Wochen Rückenleiden. Fun Fact: 30 Jahre später wurde dieser Sprungturm gesperrt, weil er zu gefährlich sei. Denn irgendjemand hatte festgestellt, dass in der EU nur Sprungtürme erlaubt seien, die nach Norden ausgerichtet sind, sonst würde die Sonne die Springer zu sehr blenden und es bestünde die Gefahr, dass sie die Orientierung verlieren. Dieser Turm aber, er steht in der südhessischen Kleinstadt Dieburg, ragt in Richtung Osten. Und tatsächlich: Wenn man da drauf steht – er ist wieder offen – und runterschaut, hat man das Gefühl, das Wasser sei blauer als sonst. Wie in der Südsee, denkt man und ist glücklich.

Christof Meueler

leitet das Feuilleton des nd.