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Ökologisches Label

Der Sammelband »Grüner Kolonialismus« zeigt die verheerenden Auswirkungen der neuen Energiepolitik auf den Globalen Süden

Von Frank Braßel

Ein Laster vor einer kargen Landschaft
Für grüne Energie werden ganze Mondlandschaften durch den Bagger geschaffen: Kupfermine in Chile. Foto: Reinhard Jahn , CC BY-SA 3.0

Die Staaten und auch viele Bewegungen des Globalen Nordens nehmen bei ihren Versuchen, die Klimakrise zu überwinden, die Auswirkungen ihrer Politik auf den Süden kaum wahr. Das kritisieren 25 Autor*innen des lesenswerten Sammelbandes »Grüner Kolonialismus«.

Die Autor*innen des Buchs gehen von zwei zentralen Prämissen aus. Zum einen, dass die von den Ländern des Globalen Nordens propagierte »Umweltpolitik« keinesfalls »darauf ausgerichtet (ist), komplexe Ökosysteme zu erhalten, sondern darauf, Kapital anzuhäufen.« Zum anderen folgen sie, egal, ob grün oder konservativ regiert, »einer kolonialen Logik«. Sie beanspruchen, »dass einige Regionen der Welt, einige Menschengruppen und ihre Körper anderen zu Diensten sein müssen, wenn es um Umweltbedingungen geht, die ein Leben in Würde ermöglichen«, wie es in der Einleitung der drei Herausgeber*innen heißt.

Anhand dieser These zeigen die Autor*innen Beispiele geplanter und existierender Energiegewinnung in Afrika und Lateinamerika, wie etwa große Solarparks in Marokko oder den Lithiumabbau im Länderdreieck Argentinien, Bolivien und Chile. Die Folgen für die lokale Bevölkerung sind – mit Landraub und Umweltschäden – vielfach ähnlich katastrophal wie im klassischen, kolonial geprägten Bergbau oder der Plantagenwirtschaft. Allerdings weist das Buch nicht explizit darauf hin, dass diese langjährigen spätkolonialen Ausbeutungsstrukturen neben den »grünen« Projekten weiterhin existieren. Analog dazu bleibt auch der Blick auf ältere soziale Bewegungen wie Gewerkschaften unterbelichtet.

Die Folgen für die lokale Bevölkerung sind ähnlich katastrophal wie im kolonial geprägten Bergbau oder der Plantagenwirtschaft.

Neue Protestbewegungen gegen die genannten »grünen« Energiegewinnungsprojekte sowie Alternativbewegungen wie ökofeministische Netzwerke in Afrika oder agrarökologische Initiativen in Bangladesh finden in dem Sammelband hingegen viel Platz. Daraus ergeben sich eine Fülle an Forderungen und Perspektivdebatten, die nicht immer einheitlich sind, sich aber an einem gemeinsamen Ziel orientieren: Der ökosoziale Übergang müsse sich als ein breiterer Prozess der Transformation der Kultur, der Wirtschaft, der Politik und der Gesellschaft in ihrer Beziehung zur Natur verstehen. Das impliziert bewusst eine Abkehr sowohl von dem dominanten kapitalistischen Wirtschaftsmodell als auch von traditionellen Entwicklungskonzepten linker Bewegungen des Südens, die bis heute überwiegend auf Naturausbeutung und Nachahmung der Entwicklungsprozesse des Nordens setzen.

Auf den ersten Blick mögen die vorgestellten lokalen Alternativen klein wirken im Vergleich zu den gigantischen Herausforderungen der diversen globalen Krisen. Auf der anderen Seite zeigen sie vielfach bemerkenswerte Weitsicht, wenn etwa das kolumbianische Indigena-Volk der U´wa das Erdöl als das »Blut der Erde«, also als ein überlebensnotwendiges, begrenztes Element des Lebens bezeichnet. Daraus entwickelte sich nicht nur ein breiter internationaler Widerstand gegen ein Ölprojekt des US-Konzerns Oxy. Eine weitergehende Analyse verlangt zudem eine partizipative, die lokal Betroffenen einbeziehende Debatte um das Haushalten mit dieser Ressource und ihrer Kontrolle, die offensichtlich nicht nur einigen wenigen Großkonzernen überlassen werden kann. Hier könnte offensichtlich eine Verlinkung zur Debatte um Vergesellschaftung großer Energiekonzerne in den Industriestaaten ansetzen, vielleicht in einem zweiten Band. Verfasserin des Beitrags zu diesem Thema ist übrigens mit Tatiana Roa eine seit langen Jahren aktive kolumbianische Umweltaktivistin, die seit Januar 2024 Vizeministerin für Umwelt und nachhaltige Entwicklung im Kabinett des ersten linken kolumbianische Präsidenten Gustavo Petro ist.

Zu gerne würde man von ihr einen Erfahrungsbericht über die enormen Schwierigkeiten der sozialen wie ökologischen Transformation in dem südamerikanischen Land lesen. Offensichtlich kann dieser Band auch nicht – da bereits davor entstanden – eine Einschätzung der zunehmend von »grünen« und »Nachhaltigkeits«-Rhetorik entkleideten Strategien des entfesselten, deutlich neokolonial geprägten Kapitalismus und Kolonialismus à la Trump und von der Leyen für den Globalen Süden und den Globalen Norden leisten.

Insgesamt bietet der Band ein umfassendes Szenario von Herausforderungen gegenüber dem grünen Kolonialismus und Debatten über ökosoziale Transformationen in Zeiten der existenziellen Klimakrise. Die ursprüngliche spanische und die folgende englische Version sind im Netz frei verfügbar, um insbesondere den Austausch im Globalen Süden zu erleichtern. Es bleibt zu hoffen, dass zukünftig die Perspektive globaler Gerechtigkeit stärker in die hiesige bzw. internationale Klima- und Transformationsdebatte einfließen. Fragen der Dekolonialisierung werden immerhin zunehmend, wenn auch zögerlich, im Kontext internationaler Umwelt-, Entwicklungs- und Menschenrechtsorganisationen gestellt.

Frank Braßel

ist Historiker und Journalist und hat für diverse internationale Menschenrechts- und Entwicklungsorganisationen sowie das alternative Agrarforschungsnetzwerk SIPAE in Quito gearbeitet.

Miriam Lang, Mary Ann Manahan, Breno Bringel (Hrsg.): Grüner Kolonialismus. Zwischen Energiewende und globaler Gerechtigkeit. Oekom Verlang, München 2025. 336 Seiten, 25 EUR.