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|ak 713 | Kultur

Nicht alles, was glänzt …

Früher war mehr Lametta, außer im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg, das sich dem Thema »Glitzer« widmet

Von Anne Meerpohl

Eine Person mit grünem Glitzer im Gesicht und einer grünen Maske vor dem Mund, die in die Kamera blickt.
Im Kampf für das Recht auf sichere und kostenlose Abtreibung gründete sich 2005 in Argentinien die Kampagne Marea Verde (Grüne Welle). Das grüne Halstuch wurde zum Symbol des Protests – hier in Kombination mit grünem Glitzer zu sehen. Foto: Gisela Vola, Untitled, aus der Serie »Marea Verde«, 2018, © Gisela Vola

Es ist nicht alles Gold, was glänzt« stammt so ähnlich aus Shakespeares »Der Kaufmann von Venedig« um 1600 und verweist darauf, dass ein äußeres Erscheinungsbild trügerisch sein kann – nur weil etwas funkelt, muss es nicht kostbar sein. Die Ausstellung »Glitzer« im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg legt ein Augenmerk auf genau das nicht so Wertvolle, das »Trashige«, die funkelnde Umweltsünde Glitzer, die Menschen über Generationen hinweg (»Früher war mehr Lametta«) schlichtweg Freude bereitet, sich aber auch in diversen Subkulturen entfaltet und bis zum Protestmaterial flittert.

Glitzer ist widersprüchlich: Es wertet Dinge, Objekte, etwa Kleidung auf und genauso oft als klassistisches Merkmal ab. Sehr stark mit Feminität aufgeladen, denunziert als aufgetakelt, Tussi, »trash«, »camp« stricken sich misogyne und queerfeindliche Konstruktionen um Glitter.

Die nun weltweit erste Ausstellung zum Thema »Glitzer« wurde kuratiert von Nina Lucia Groß und Julia Meer, letztere hatte bereits 2023 die viel besprochene Ausstellung »The F*Word – Die Guerilla Girls und feministisches Grafikdesign« (ak 691) verantwortet. Das Projekt untersucht die subversiven Momente des Glitzerns und Funkelns, das Material als Akt des Zelebrierens, als Protestform und geschlechtsspezifische Konnotationen sowie deren Aufbrechen. Zuerst erwartet die Besucher*innen die »Hall of Glitter«, einen Raum mit knapp hundert Exponaten, die dem Museum aus Hamburg und weltweit von Jung und Alt für die Ausstellung zugeschickt wurden.

Martina Lu aus Prag schreibt beispielsweise zu ihrem glitzernden Burlesque-Top in Form eines Schmetterlings auf der dazugehörigen Inventarkarte: »Wenn es kein Patriarchat gäbe, würde ich nichts anderes tun, als Glitzer zu tragen und zu tanzen«. Das Abgewertete und Aufgeladene an Glitzer verarbeitet die Hamburger Künstlerin Jenny Schäfer in einer Rauminstallation, die ein Teenager-Zimmer nachstellt. Es ist der Prototyp eines Raumes aus verschiedenen Generationen gleichzeitig, denn seit den 1980er Jahren scheint das funkelnde Material Einzug in die Jugend- und Popkultur gewonnen zu haben, wie die Recherchen Schäfers ergeben. Nicht selten beschäftigt sie sich mit Themenkomplexen rund um Klassismus in Kunst und Kultur und stellt auch hier eine Art strahlenden Schrein entgegen gesellschaftlicher Abwertung und Ablehnung in Form einer fiktiven, aber doch authentischen Assemblage.

Im Raum »Glitter Up!« werden verschiedene Protestfotografien auf wechselnden Bildschirmen gezeigt, installiert in einem Haufen pinkfarbenen Glitzers an verbogenen Hamburger Gittern montiert. Gisela Volá zeigt die Serie »Marea Verde« (Grüne Welle) aus 2018-2023, die feministische Proteste Lateinamerikas mit grünem Glitzer als Markenzeichen portraitiert und dokumentiert hat. Mirjana Mitrović hat mit ihren Fotografien »Pink.Glitter.Violence.« aus 2019 ebenfalls Glitzer als zu werfendes Material feministischer Proteste eingefangen, das sich auf den Bildern stellenweise mit Glasscherben auf dem Boden mischt, im Gesicht oder auf der Kleidung als Markierung der Teilhabe und der Wut haftet.

Auch die historische Entwicklung und Materialgeschichte ist in der Ausstellung vertreten, allerdings außerhalb der Ausstellungsräume und auf sehr vielen Karten zum in die Hand nehmen und Durchlesen. Man kann so selbst auswählen, was einen visuell anspricht, allerdings kann man diese Möglichkeit leicht verpassen und in der Fülle der Informationskarten nur einen Bruchteil richtig aufnehmen. Man erfährt aber, dass sogar die Neandertaler um die 50.000 v. Chr. Minerale gemahlen und möglicherweise als Schminke verwendet haben sollen oder die Entwicklung zur industriellen Produktion von meist sechskantigem Glitzer ab 1934 in New Jersey bis hin zur viel diskutierten EU-Verordnung von 2023, die Glitzer zur Umweltsünde deklariert und anstatt weitaus schädlicheren Mikroplastiken aus diversen Produkten verbannt.

Neben funkelnden Drag-Perücken, einer Auswahl exquisiter Nailart, glitzernden Kostümen wie unter anderem ein Bühnenoutfit von Bill Kaulitz, sind zahlreiche Geschichten zu entdecken; zum Teil sehr persönlich, politisch und eindringlich. Glitzer wird nicht nur als ästhetisches Dekomaterial oder Spaßfaktor dargestellt, sondern in seinen Facetten aufgerollt aus einer politisch motivierten Haltung heraus, die mit feminisierten Klischees und Machtmechanismen brechen will.

Man könnte sogar behaupten, dass auch der Staub alteingesessener, hochschwelliger Museumsinstitutionen mal glänzen kann – man muss es nur wollen. Eine Tendenz, die gerade angesichts regressiver Kulturpolitik, aggressiver Kürzungen hoffentlich noch eine Weile in Ecken und unter Teppichen wochenlang anhaftet. Es ist nicht alles schön, was glänzt, es kann auch mal widerständig oder subversiv wirken – und manchmal auch einfach nur ein wenig Sparkle bringen in diesen dunklen Tagen. 

Anne Meerpohl

schreibt in freudiger Erwartung des Endes des Patriarchats. Sie lebt in Hamburg und beschäftigt sich mit queerfeministischen Themen in Form von Illustrationen, Malerei und Texten. Im Fokus steht dabei eine Utopie von Geschlechtlichkeit, Sexualität und Körpern.